"Return to Monkey Island": Eine schwermütige Rückkehr zur Affeninsel

"Return to Monkey Island" hat Gerald Himmelein bewegt wie kaum ein anderes Spiel. Warum ihn manche Fan-Reaktionen befremden, erklärt er in der Spoiler-Analyse.

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(Bild: heise online)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Gerald Himmelein
Inhaltsverzeichnis

Warnung vorab: Dieser Artikel enthält Spoiler zu "Secret of Monkey Island", "Monkey Island 2: LeChuck’s Revenge" und vor allem zum neuen "Return to Monkey Island", also Spiele 1, 2 und 6 der Reihe. Wer diese Grafik-Adventures noch nicht hinter sich hat und sie unbefangen durchspielen will, sollte an dieser Stelle kehrtmachen und etwas anderes lesen – meinen spoilerfreien Test von "Return to Monkey Island" zum Beispiel.

Es ist eher selten, dass bei der Rezension eines Spiels viel persönlicher Ballast hochkommt. Es ist auch eher selten, dass ein Spiel subtile Denkanstöße zum Umgang mit tiefer gehenden Themen unterbringt, darunter Nostalgie, Älterwerden und Erinnerungen.

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"Return of Monkey Island" ist ein solches Spiel, zumindest kann es ein solches Spiel sein. Es lässt sich entweder als lustiges Adventure spielen oder Anlass zur Auseinandersetzung mit der eigenen Gaming-Vergangenheit geben. Ich wollte den Spaß, saß am Ende aber etwas benommen brütend vor dem Monitor.

Ich bin erst vergleichsweise spät zu "Monkey Island" gekommen. Als 1991 der zweite Teil erschien, hatte ich einen Freund, der ein kolossaler LucasArts-Fan war – Franz. Franz schwärmte lautstark von "Monkey Island", bis mir die Ohren bluteten.

Franz rief bei jeder Gelegenheit "Hinter Dir! Ein dreiköpfiger Affe!", bis ich allen Mut zusammenraffte und ihm sagte, wie sehr das auf Dauer nervte. Franz ist ein herzensguter Kerl, aber "Monkey Island" hat mir sein messianischer Eifer auf Jahre verleidet.

Als zwei Jahre später "Day of The Tentacle" und "Sam & Max Hit The Road" auf den Markt kamen, war hingegen ich der nervende Über-Fan. Vielleicht wollte ich Franz etwas heimzahlen. Vielleicht lag es auch daran, wie sehr mich Laverne und Max amüsierten ("I’m not a malefactor, I’m a lagomorph!"). Es würde mich nicht wundern, wenn mehrere Freunde meinetwegen einen Bogen um diese Spiele gemacht haben.

"Return to Monkey Island" im Test (6 Bilder)

Ein waschechtes Piratenduell! Gestritten wird vor allem mit Worten.
(Bild: heise online)

Zu "Monkey Island" fand ich erst, als 2010 die Special Editions von "The Secret of Monkey Island" und “Monkey Island 2: LeChuck’s Revenge” erschienen waren. Plötzlich reizte es mich nachzusehen, was meinen guten Freund damals so fasziniert hatte.

Und verflixt noch mal, Franz hatte recht: Die ersten beiden "Monkey Island"-Spiele sind definitiv Meilensteine des Adventure-Game-Genres. Atmosphäre, Puzzles und Story zogen mich sofort in ihren Bann. Am meisten beeindruckte mich, dass die Hauptfiguren der Spiele tatsächlich als Persönlichkeiten herüberkommen, nicht nur als Zahnräder in einer starr vorgegebenen Handlung.

Story geht vor

"Monkey Island"-Erfinder Ron Gilbert betont immer wieder, dass für ihn stets die Story im Vordergrund steht. Und zu jeder packenden Geschichte gehören gute, konsequent handelnde Figuren. Möchtegern-Pirat Guybrush Threepwood verfolgt seine Ziele mit unbekümmerter Rücksichtslosigkeit und nimmt dabei jeden Schaden in Kauf. Er schummelt sich durch Wettbewerbe, sperrt einen Agoraphobiker in einen Sarg und jagt Waldstücke in die Luft, alles ohne eine Spur Mitgefühl. Wenn er ausnahmsweise mal das Richtige tut, dann aus Eigennutz.

An einer Stelle in "Monkey Island 2" listet ein Steckbrief alle Straftaten auf, die Guybrush bis dahin begangen hat. Brav liest er alles laut vor – es ist eine lange Liste. Dann überklebt er das Foto mit dem Porträt einer anderen Spielfigur, damit diese an seiner Stelle hinter Gittern landet.

Als sich Guybrush in Elaine Marley verliebt, durchschaut sie seine Ichbezogenheit sofort und verweigert konsequent die Rolle als "Jungfrau in Nöten", wie sie in vielen Piratengeschichten üblich ist. Immerhin schreckt es Guybrush nicht ab, dass Elaine sich gut selbst retten kann. Elaine hingegen findet erst später Gefallen an der Hauptfigur.

Der designierte Bösewicht, der Geisterpirat LeChuck, wirkt gegenüber Guybrush fast harmlos – davon abgesehen, wie schäbig er seine Gefolgsleute behandelt. Ach ja, und dass Elaine wider Willen zu seiner Frau machen will. Dann war da noch die Sache mit dem Voodoozauber. Trotzdem: LeChuck ist größenwahnsinnig und machtbesessen, aber seine finsteren Pläne haben einen fixen Fokus, der Schaden ist also eingegrenzt und absehbar. Guybrushs Handlungen sorgen hingegen immer wieder für unberechenbare, chaotische Zerstörung.

Mit 30 Jahren Abstand erscheint LeChucks unbändige Wut über Guybrush jedenfalls nicht ganz abwegig. Guybrush ist die Karikatur eines unbekümmerten Emporkömmlings, der sich nicht um die Folgen seiner Taten schert. LeChuck erinnert hingegen eher an einen schlechten Chef, der falsche Prioritäten setzt.

LeChuck als Chef: Wer bezahlt seine Angestellten dafür, dass sie mitdenken?

(Bild: heise online)

In Vorbereitung zu diesem Text habe ich "Monkey Island 2" noch einmal in Angriff genommen. Nachdem ich das Spiel über die Jahre hinweg schon zweimal durchgespielt hatte, rechnete ich im dritten Durchgang mit einem leichten Spiel. Stattdessen steckte ich immer wieder fest.

An einige Puzzles konnte ich mich noch halbwegs erinnern. Beim berühmten Puzzle mit der Pumpe dachte ich, das schaffe ich mit links, so was vergisst man nicht. Tatsächlich scheiterte ich jämmerlich daran, den Affen vom Klavier loszueisen. Irgendwann war der Frustpegel hoch genug, um einen Walkthrough aus dem Web zurate zu ziehen.

Rückblickend waren meine Fehler offensichtlich: Ich hätte mir händisch Notizen machen sollen, welche Aufgaben noch offen sind – und wo. Der Walkthrough war zwar hilfreich, erledigte einige Aufgaben jedoch in einer anderen Reihenfolge. So las ich plötzlich versehentlich Lösungen zu Puzzles, denen ich mich noch gar nicht gestellt hatte. Verflixt und zugespoilert.

Das Hauptziel wurde dennoch erreicht: Ich wusste danach heftigst zu schätzen, wie Gilbert und Grossman in "Return to Monkey Island" das Gameplay modernisiert hatten, ohne aufs Spiel zu setzen, was die ersten "Monkey Island"-Teile ausgemacht hatte. Dass "Return to Monkey Island" eine To-do-Liste einführte, empfand ich zunächst als zu viel des Guten. Nach einigen Spielstunden war es aber eine enorme Hilfe dabei, die Spielziele im Auge zu behalten. Auch das ins Spiel integrierte Hinweis-Buch ist eine gute Idee, weil es das Spoiler-Problem löst. Das Verben-Interface der ersten "Monkey Island"-Spiels habe ich nie vermisst.

Genial fand ich die Idee, wie "Monkey Island 6" reagiert, wenn Spieler nach ein paar Tagen Pause zurückkehren: Beim Laden eines Spielstands gibt Guybrush erst eine (gesprochene!) Zusammenfassung, was bisher geschah und was noch bevorsteht. Dieses Detail fiel erst nach Abschluss der Rezension auf.

Im Heise-Forum hat tatsächlich jemand geschrieben, er werde "Return of Monkey Island" allein deshalb nicht spielen, weil der Grafikstil unerträglich sei. Nicht für ihn, sondern absolut. Mehr noch: "Monkey Island 6" würde seine Kindheitserinnerungen für immer zerstören.

Mein Mitgefühl geht an alle Personen, deren Kindheitserinnerungen so zerbrechlich sind, dass sie beim Anblick von etwas Neuem zu Staub zerfallen. Vermutlich haben da schon die Screenshots irreparable Schäden angerichtet. (Nein, ich glaube das nicht ernsthaft.)

Gilbert & Co. scheinen damit gerechnet zu haben, dass es solche affektierten Ausbrüche geben würde. Vermutlich war es eine weise Idee, die Entwicklung des Spiels zwei Jahre streng geheim zu halten. Wie radikal die Reaktionen auf die ersten Bilder aus dem Spiel ausfielen, hat die Macher dennoch überrascht.

Als Ende Juni der erste Gameplay-Trailer erschien, bombardierten selbsternannte Fans die Kommentare von Ron Gilberts Blog mit derart hässlichen persönlichen Angriffen, dass er die Kommentarfunktion bis auf Weiteres abschaltete. This is why we can’t have nice things.

Murray, der zynische Totenkopf, gibt seine ungefilterte Meinung kund.

(Bild: heise online)

Tatsächlich gab es bei der Grafik keinen Weg, der allen Fans gerecht geworden wäre. Je nach Geburtsjahr haben Spieler eine komplett andere Vorstellung davon, was der "klassische Look" der Figuren ist. Inzwischen hat ja sogar der fünfte Teil ("Tales of Monkey Island") schon 13 Jahre auf dem Buckel.

Ron Gilbert suchte einen Stil, der den Pixelblock-Charme des ersten beiden "Monkey Island"-Adventures aufgriff, ohne Retro-Pixelgrafik zu sein. Diesen Wunsch erfüllten die blockartigen Illustrationen von Rex Crowle – so sind Guybrush & Co. klotzig geblieben, aber in HD.

Steam zufolge habe ich insgesamt über 25 Stunden mit "Monkey Island 6" verbracht. Teil 2 dürfte mich – mit Walkthrough – 8 bis 12 Stunden gekostet haben. Dabei habe ich über manche Sache gegrummelt, etwa dass Guybrush so lahm über Mêlée Island läuft. Worüber ich mich kein einziges Mal geärgert habe, war die Grafik.

Der Grafikstil von "Return to Monkey Island" ist eben kein fauler Kompromiss, sondern eine mutige Synthese aus Retro-Ästhetik und Bilderbuch-Look. Das passt großartig zu einem Spiel, in dem es um Rückblicke und Erzählungen geht – dazu gleich mehr.