25 Jahre "Team Fortress Classic": Der Teamwork-Shooter mit dem Häschen-Problem

Seite 2: Die üblichen Verdächtigen

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Inhaltlich blieb "Team Fortress Classic" seiner Vorlage treu: Klassisches Deathmatch gab’s nach wie vor nicht, das blieb dem Mehrspielermodus des regulären "Half-Life" vorbehalten. Stattdessen durften hier in jeder Spielvariante bis zu 32 Spieler zusammen gegeneinander antreten, aufgeteilt in blaue und rote Teams. Jeder Teilnehmer hatte dabei die Wahl unter neun Figurenklassen, die sich nicht nur äußerlich stark voneinander unterschieden, sondern auch komplett unterschiedliche Spielweisen ermöglichten: Der Scout zum Beispiel taugt als Kämpfer praktisch nichts, ist dafür aber wahnsinnig schnell unterwegs, was ihn natürlich zum perfekten Flaggenklauer macht. Der Spion kann sich zumindest optisch in jede beliebige andere Klasse verwandeln und seinen Tod vortäuschen – rennt ein Spieler des gegnerischen Teams vorbei, während er regungslos am Boden liegt, kann er diesem blitzschnell in den Rücken fallen und mit dem Messer seinen patentierten One-Hit-Kill ausführen.

Ein Großteil der Spielmodi dreht sich um Varianten des klassischen "Capture The Flag".

(Bild: heise online)

Soldier, Demoman und Heavy Weapons Guy befinden sich am anderen Ende des Einsatzspektrums: Gefährlich wie ein bissiger Panzer, dafür aber auch genauso langsam unterwegs. Dazwischen warten noch Medics, Engineers oder Pyros, die alle ihre klar definierten Einsatzgebiete haben, welche man erstmal kennenlernen muss. "Team Fortress Classic" war (und ist) daher kein Spiel, in das man reinschlittert und sofort loslegt: Es erfordert schon einiges an Einspielzeit und viel Experimentieren mit den unterschiedlichen Klassen und ihren mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten.

Die gute Nachricht ist, dass dieser Variantenreichtum enorme Flexibilität ermöglicht. Es gibt in "Team Fortress Classic" keine überlegene Klasse: Jede Figur hat ihre klaren Vor- und Nachteile, und auf jede Waffe gibt es eine gleichwertige Antwort. Ein gut ausgewogenes Team, das klar miteinander kommuniziert, ist hier also tausendmal wichtiger und wertvoller, als der eine Möchtegern-MVP, der mit seiner hohen K/D protzt. Obwohl es den natürlich auch immer gibt, gerade auf öffentlichen Servern.

Dieser starke Fokus auf koordinierte Teamarbeit war von Anfang an gleichzeitig Segen wie Fluch für "Team Fortress Classic". Denn ein Team ist bekanntermaßen immer nur so gut wie sein schwächstes Mitglied. Und eine gut funktionierende Mannschaft aus im Zweifelsfall lauter fremden Personen zusammenzustellen, war schon immer eine Sisyphusaufgabe. Der Shooterspieler im Allgemeinen sehnt sich halt nach dem schnellen Frag und einem Platz in den oberen Bereichen der Rangliste. Aber in "Team Fortress" ging es noch nie darum, die meisten Kills zu machen. Genau genommen war der Wunsch nach einer die Teamarbeit betonenden Spielvariante ja die ursprüngliche Motivation für die drei Freunde, die originale "Quake"-Mod überhaupt erst zu erschaffen. Wer einen klassischen Deathmatch-Shooter sucht, hat Tausende andere zur Auswahl. "Team Fortress Classic" dreht sich noch bis heute darum, gemeinsam auf die Erfüllung der Missionsziele hinzuarbeiten. Auch wenn das bedeutet, dass das Individuum dabei zur Abwechslung mal weniger im Mittelpunkt steht.

Im Spielmodus "The Hunted" muss eine Figur beschützt werden, während das gegnerische Team alles versucht, um sie auszuschalten. Ein Riesenspaß!

(Bild: heise online)

Wenn man diesen Gedanken akzeptiert und sich auf das "andere" Spielerlebnis einlässt, belohnt einen "Team Fortress Classic" auf eine Art und Weise, wie es noch bis heute nur wenige andere Spiele tun: Wenn der Scout zur Flagge rennt, gedeckt von Raketenwerfern schwingenden Soldaten und im Hintergrund agierenden Snipern, während Heavys mit ihren Miniguns die eigene Fahne verteidigen und Ingenieure Engstellen mit automatischen Geschützen sichern, der Pyro mit seinem Flammenwerfer für Chaos sorgt, während er vom Doc geheilt wird – wenn das mal fließt, dann sorgt das selbst heute für wohlige Schauer.

Natürlich muss man in anderen Bereichen ganz klar anerkennen, dass seit der Veröffentlichung von "Team Fortress Classic" mittlerweile 25 Jahre vergangen sind. Das Spiel war schon 1999 nicht sonderlich hübsch, und das letzte Vierteljahrhundert hat diesen Status nicht verbessert: Super-niedrig aufgelöste Umgebungstexturen, grob gehauene Figuren und matschige Effekte erinnern einen schnell daran, dass die "GoldSrc"-Engine ihre besten Jahre schon sehr, sehr lange hinter sich hat. Für den Spaß an sich spielt das aber dankbarerweise nicht die geringste Rolle. Allzu hoch sollte man seine Grafikansprüche aber echt nicht schrauben, wenn man das Ganze heute noch mal ausprobieren möchte.

Was man jederzeit problemlos tun kann, denn "Team Fortress Classic" ist nach wie vor erhältlich, direkt über Steam, wenn auch nicht mehr kostenlos wie einst. Dafür benötigt man dafür kein "Half-Life" mehr, denn seit dem im Mai 2000 veröffentlichten Update 1.5 ist "Team Fortress Classic" selbständig lauffähig. Diese Fassung beinhaltete damals auch verbesserte Grafik, 3D-Modelle und Soundeffekte sowie frische Levels und Spielvarianten.

Als das Spiel seinerzeit offiziell bei uns erschien, im Vertrieb von Sierra, musste es, genau wie das Hauptprogramm, inhaltlich stark verändert werden, um veröffentlicht werden zu dürfen. Dass es keinen Splatter und keine Bluteffekte mehr gab, ließ sich dabei noch leicht verschmerzen, auch wenn die neuen, gelb gefärbten Blutlachen ein bisschen an Urinpfützen erinnerten. Dass sämtliche Figuren aber zu Robotern umgemodelt wurden, war ein echtes Problem – denn die sahen dadurch für sämtliche Spielerklassen gleich aus, wodurch man nur noch an den Waffen erkennen konnte, welche Art von Gegner man vor sich hatte.

Gelegentlich fliegen Blutspritzer oder einzelne Körperteile durchs Bild. In der ursprünglichen deutschen Fassung wurden all diese Effekte entfernt und sämtliche menschlichen Figuren durch Roboter ersetzt.

(Bild: heise online)

Auch international hatte das Spiel im Laufe der Jahre mit Problemen zu kämpfen, allen voran mit dem "Bunnyhopping". Im Kontext von Computerspielen steht dieser Begriff für eine Technik, die mit einer Kombination aus pausenlosen Sprüngen und parallel dazu erfolgenden Richtungsangaben dafür sorgt, dass man sehr viel zügiger unterwegs ist als mit dem normalen Laufen – im Falle von "Team Fortress Classic" etwa doppelt so schnell. Diese Technik ist nicht ganz einfach zu meistern, da sie sehr präzises Eingabetiming erfordert. Aber wenn sie einem erstmal in Fleisch und Blut übergegangen ist, dann hat man Nichtkennern gegenüber einen eklatanten Vorteil, der sich negativ auf die Spielbalance auswirkt, da Bunnyhopper zum Beispiel sehr viel schneller an kritische Kartenpunkte oder Fahnen gelangen können.

Das Problem wurde in "Team Fortress Classic" auf Dauer derart groß, dass Spielbetreiber Bunnyhopping auf ihren Servern zum Teil verbieten und Anwender der Technik rausschmeißen mussten. Das sorgte dafür, dass sich die Fangemeinde im Laufe der Zeit aufteilte, in Bunnyhopper und Nichthüpfer, wodurch die Spielerzahl kontinuierlich sank und "Team Fortress Classic" immer weniger aktiv gespielt wurde.

Allerspätestens mit der im Oktober 2007 erfolgten Veröffentlichung von "Team Fortress 2" im Rahmen der "Orange Box" (die neben "Team Fortress 2" auch "Half-Life 2", dessen Episoden 1&2 sowie den Geschicklichkeits-Meilenstein "Portal" enthielt, was sie zu einem der besten Spielepakete aller Zeiten macht) war "Team Fortress Classic" endgültig Geschichte. TF2 nahm alles, was das Original großartig machte, und verbesserte es in jeder Hinsicht. Nach wie vor gehört es zu den meistgespielten Games auf Steam überhaupt.

Und dennoch existiert unverändert eine verbissene kleine Gemeinde, die populäre Karten wie "2fort" oder "dustbowl" noch bis heute spielt und "Team Fortress Classic" dadurch am Leben erhält. Natürlich ist das Spiel mittlerweile nicht viel mehr als eine schöne Erinnerung der Shooterwelt, und es hatte ehrlicherweise auch niemals die durchschlagende Wirkung eines "Counter-Strike", das in seiner aktuellsten Inkarnation "Counter-Strike 2" die Steam-Charts unverrückbar auf Platz 1 anführt. Aber man darf seine Bedeutung auch nicht unterschätzen: Ohne "Team Fortress Classic" hätte es den modernen Teamshooter in dieser Form nicht gegeben. Und man kann es nach wie vor ohne Reue spielen – und wenn es nur für die schönen Erinnerungen an den "Hunted"-Modus und das damit verbundene Geschrei der Kumpels ist.

(dahe)