30 Jahre AT&T VideoPhone 2500: Ein Bild von einem Telefon​

In Deutschland ging Bildtelefonie schon 1936. Doch bis zu ihrem Durchbruch lief viel schief – so auch der Versuch von AT&T im Jahr 1992.​

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(Bild: AT&T, Scan von Vintage Computing)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Ein Fernsprecher, mit dem man sein Gegenüber nicht nur hören, sondern auch sehen kann? Diese Anwendung der elektronischen Bildübertragung fehlte in kaum einem Science-Fiction-Film: Schon in Fritz Langs "Metropolis" tauchte 1927 ein Bildtelefon auf, an Bord des Raumschiffs Enterprise ("Star Trek") war es Standard, ebenso in "2001: Odyssee im Weltraum". In Star Trek und 2001, beides Werke aus den 1960ern, zeigten die Geräte selbstverständlich farbige, ruckelfreie Bilder. Nur: Die kamen aus der Trickkiste.

Im richtigen Leben ging es bedeutend langsamer, umständlicher und teurer voran. So war AT&Ts 1992 angekündigtes "VideoPhone 2500" nicht das erste Bildtelefon – und es sollte nicht das letzte bleiben. Vorgestellt wurde es am 7. Januar 1992, im Sommer kam es in den Handel.

Der Ansatz von AT&T war neu: Bisherige Systeme übertrugen analog, für Bild und Ton bedurfte es eigener, breitbandiger Leitungen. Beim VideoPhone 2500 hingegen nutzte AT&T einen brandneuen, von Compression Labs Inc. (CLI) entwickelten Chip, der die Videosignale in Echtzeit digitalisierte und eindampfte. Eine gewöhnliche, ursprünglich nur für Sprache dimensionierte Telefonverbindung genügte fürs Videogespräch. Neben dem CLI-Chip war ein Modem essenzieller Bestandteil des Geräts – es übertrug Bild und Ton mit maximal 19,2 Kilobit pro Sekunde (kbps). Von dieser Datenrate standen fürs Bild 11,2 kbps zur Verfügung, was bereits ahnen lässt, dass es mit den Videokünsten des einzeln 1600 (heute rund 3.330) US-Dollar teuren Telefons nicht weit her war.

Bis zu zehn Bilder pro Sekunde bei 112 mal 128 Pixeln: das AT&T VideoPhone 2500.

(Bild: AT&T)

Mehr als zehn Bilder pro Sekunde bei idealer Verbindungsqualität packte das System nicht, die Videoauflösung betrug nominell 112 mal 128 Pixel, entsprach also nicht einmal der im HD-Zeitalter verpönten VGA-Darstellung (640 mal 480). Zudem jonglierte die Technik zwischen Bewegungsdarstellung und Detailtreue – bewegten sich die Gesprächsteilnehmer, ging die Auflösung in den Keller. Auf dem Flüssigkristall-Farbbildschirm mit 8,4 Zentimetern Diagonale fiel dies aber wohl nicht übermäßig auf, denn zu jener Zeit steckte auch diese Displaytechnik noch in den Kinderschuhen.

Kein Wunder, dass sich bei diesen Preisen und technischen Daten die Nachfrage in Grenzen hielt – zumal man die Videokünste des Geräts nur mit Gesprächspartnern nutzen konnte, die ebenfalls ein kompatibles Bildtelefon besaßen. Stichwort Kompatibilität: AT&T war zwar bereit, seine Technik mit anderen Herstellern zu teilen und bot sein Telefon ab 1993 in 32 Ländern der Welt an, aber beim zugrundeliegenden Global VideoPhone Standard (GVS) handelte es sich um ein proprietäres Protokoll. Nicht zuletzt wohl deshalb steigerte auch eine Preissenkung im Jahr 1993 auf 999 Dollar pro Telefon die Nachfrage nicht. 1995 nahm AT&T das Bildtelefon vom Markt. Es reihte sich damit ein in die vielen anderen vergeblichen Anläufe zur Bildtelefonie.

Visionen, wie man sich in Zukunft über große Distanzen unterhalten würde, kamen in der Literatur schon um 1870 auf, noch bevor der nur Töne übertragende Fernsprecher wirklich praxisreif war. Und schon bei den allerersten Fernsehversuchen um 1900 hatte man Bildtelefonie auf dem Zettel: Am 7. April 1927 sprach der damalige Handelsminister der USA, Herbert Hoover, von der US-Hauptstadt Washington aus per "Ikonophone" mit dem Chef von AT&T, Walter S. Gifford, in New York. Die Sprachverbindung bestand wie üblich in beide Richtungen, die von einem mechanischen Abtaster produzierten 18 Bilder pro Sekunde liefen aber nur von Hoover zu Gifford und seinen Gästen. 1929 zeigte das deutsche Reichspostzentralamt auf der 6. Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin die von Gustav Krawinkel konzipierte "Gegenseh-Anlage". Auch die war nicht viel mehr als eine Technikdemonstration – die Verbindung überbrückte nur wenige Meter. Die Bildqualität war mit einer Auflösung von 30 Zeilen bescheiden und die mechanische Bildabtastung machte tüchtig Lärm.

Im Jahr darauf schafft es AT&T in den USA ebenfalls, einen experimentellen Zweiwege-Bildbetrieb zu installieren. Den ersten kommerziellen Dienst etablierte einmal mehr die Reichspost: Von 1936 bis 1940 gab's mit dem von Georg Oskar Schubert entwickelten "Fernseh-Sprechdienst" Bildtelefonie. Zunächst nur zwischen Berlin und Leipzig, weitere Großstädte folgten. Beide Gesprächsteilnehmer mussten für ihren Videochat einen Termin beim Postamt buchen. Zwar fußte dieses Netz nicht mehr auf den dünnen, für Sprache genutzten Klingeldrähten, sondern auf leistungsfähigen Koaxialkabeln. Dennoch störten die Bildgespräche parallel übertragene andere Telefonate. Das und der Zweite Weltkrieg setzen dem Bildtelefon ein Ende. Zudem war die "Weitverkehrs-Fernsehsprechverbindung" mit einem Tarif von drei Reichsmark zuzüglich 50 Pfennig "Herbeirufgebühr" für ein Dreiminutengespräch doppelt so teuer wie eine rein akustische Konversation. Mit einer Auflösung von jetzt 180 Zeilen und einer Bildröhre als Display war die Qualität gegenüber dem Versuch von 1929 zwar verbessert worden, wirklich ansehnlich waren aber auch diese Schwarzweißbilder noch nicht.

Weiter ging es erst nach dem Zweiten Weltkrieg: Im August 1952 war auf der Londoner Radio-Ausstellung ein Muster eines Bildtelefons zu sehen, 1956 zeigten die Bell Labs (AT&Ts Forschungseinrichtung) den "Picture Phone" genannten Prototyp eines Geräts, das entfernte Ähnlichkeit mit seinen neueren Nachkommen aufwies. 1964 richtete AT&T mit in Kleinserie gefertigten Picture Phones Videotelefonieverbindungen von der New Yorker Weltausstellung nach Chicago und Washington D.C ein, wo man – wie die Reichspost – Video-Telefonzellen aufstellte. Für 160 US-Dollar (heute rund 1500) im Monat konnte man ein Gerät mieten, das Dreiminutengespräch kostete zwischen 18 und 27 Dollar (170 bis 250 heute). 1970 ging das Picture Phone Mod. 2 an den Start – aber immer noch ergänzte die Kamera-/Bildschirmeinheit das eigentliche Telefon nur.

Bis 1975 erwartete man in den USA 100.000 Nutzer. Weil das nie erreicht wurde, ließ AT&T bis zum VideoPhone 2500 die Finger von der Technik. In Japan probierten es Ende der 1980er verschiedene Hersteller mit Ergänzungssets zum Telefon, die statt des Gesprächs Schwarzweiß-Standbilder transportierten – auch die verkauften sich kaum.

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Aber in den 1980ern zog in viele Firmen professionelle Videokonferenztechnik ein. Entsprechend präparierte Säle, ausgestattet mit großen TV-Bildschirmen, hochwertigen Kameras und einer leistungsfähigen Datenverbindung erlaubten wenigstens volle SD-TV-Auflösung und ruckelfreie Bewegungsdarstellung. Diese Qualität kostete dann aber 4000 D-Mark pro Stunde – nur für die Leitung.

Bigfon und ähnliche Projekte sollten über Glasfaserkabel auch dem Normalverbraucher Bildtelefonie in hoher Qualität ermöglichen. Dies geschah allerdings entweder analog oder per Pulsbreitenmodulation (PWM). Bei einem Versuch von 1981 bis 1991 im französischen Biarritz konnten die Teilnehmer dank des dicken Glasdrahtes die Technik noch für einen ganz besonderen Dienst nutzen: Netflix 0.1! Ein Anruf bei der örtlichen Videothek und der Mitarbeiter legte die gewünschte Kassette ins Abspielgerät, von wo sie aufs "Visiophone" oder ein TV-Gerät gesendet wurde.

Für Normalverbraucher bezahlbar waren all diese Lösungen nicht. Die Videokonferenzsysteme kosteten fünf- oder sechsstellige Summen, die Glasfaserversuche wurden massiv subventioniert. Erst Anfang der 1990er hatte dann nicht nur AT&T Zugriff auf halbwegs schnelle Modems und digitale Echtzeitvideoverarbeitung und -datenreduktion. Die Telekom präsentierte für den Analoganschluss ihr XiTel und für die in Deutschland verbreiteten und wesentlich leistungsfähigeren ISDN-Anschlüsse das T-View 100. Für analoge wie ISDN-Anschlüsse rückten zudem PC-basierte Lösungen in den Fokus: Mit Videokamera, Modem, ISDN- oder Netzwerkkarte, Soundkarte sowie Videograbber wurde aus dem PC ein Bildtelefon, wenn man rund 2000 D-Mark oder mehr übrig hatte. Die Bildtelefone blieben Ladenhüter, nicht zuletzt, weil man für ihre Nutzung immer noch die üblichen Telefontarife zahlte. Innerhalb Deutschlands kostete ein Ferngespräch 70 Pfennig pro Minute. Aber Ende der 1990er wurden die ersten ADSL-Anschlüsse mit Pauschaltarif verfügbar, mit Microsofts NetMeeting und CU-SeeMe kam videotaugliche Software auf.

Eine gewisse Ähnlichkeit: Das T-View 100 der Telekom war für deutsche ISDN-Anschlüsse ausgelegt.

(Bild: Nightflyer; CC BY-SA 3.0)

An Hochschulen wollte man Lehre und Forschung ebenfalls per Videokonferenz optimieren. Aber, erklärt Diplom-Informatiker Frank Schulze, wissenschaftlicher Mitarbeiter des DFN-Kompetenzzentrums für Videokonferenzdienste an der TU Dresden: "Anschaffung und Betrieb der kommerziellen Konferenzprodukte waren für die öffentliche Hand zu teuer." An britischen Universitäten wurde deshalb 1992 Multicast Backbone (‘MBone') als Erweiterung des Internet-Protokolls entwickelt, das unter anderem Videokonferenzen übers Internet ermöglicht. "MBone deckte praktisch alle damals existierenden Standards ab und konnte sie verbinden – die Bedienung war aber äußerst komplex und hat technische Laien überfordert."

Auch an Universitäten kamen und kommen deshalb oft proprietäre Protokolle zum Zug – zunächst Skype, aktuell oft Microsofts Teams oder Zoom. Beide sind datenschutzrechtlich mindestens problematisch. Schulze: "Aktuell ist Zoom laut den den Datenschützern der Bundesländer nicht regelkonform. Teams halten acht der 16 Länderdatenschützer für bedenklich, die anderen acht für gerade noch akzeptabel."

Das Problem für die Universitäten wie auch für viele andere Unternehmen und Behörden ist: Die großen Konferenzsysteme, die datenschutzrechtlich einwandfrei sind sowie echtzeit- und FullHD-fähig, sind immer noch teuer. Im Massenmarkt sind Videotelefonie und -konferenzen erst angekommen, seit für Normalverbraucher an den meisten Orten mehr als ausreichend Bandbreite zu geringen Kosten zur Verfügung steht, die Datenreduktion ausreichend schnell und gut ist, zudem die Kameras und Bildschirme detailreich, kompakt und günstig genug sind, um sie in einen Laptop oder ein Smartphone zu packen. In vielen Haushalten gibt es ja gar kein Festnetztelefon mehr – weder ohne noch mit Bildübertragung.

(dahe)