60 Jahre CED: Wie Bildplatten einen Weltkonzern ruinierten​
Im Streaming-Zeitalter bezweifeln viele Nutzer den Sinn physischer Unterhaltungsmedien. Aber die waren nicht der Grund der spektakulären RCA-Pleite.​
Fernsehen Anfang der 1960er Jahre: Im Pionierland der elektronischen Bewegtbildunterhaltung, dem Vereinigten Königreich, sendet die BBC zwei TV-Programme, das private ITV eines. In den USA existieren drei landesweite Senderketten, im damals noch geteilten Deutschland der Deutsche Fernsehfunk (DFF, später DDR 1) im Osten, im Westen ARD und ZDF. Das TV-Angebot ist dürftig, die Stationen senden nur wenige Stunden am Tag. Vor allem: Wer eine Folge seiner Lieblingsserie verpasst, der hat Pech.
Videorekorder für Aufnahmen auf Band gibt es zwar schon – aber die wenigen Geräte für Normalverbraucher sind unhandlich, kompliziert und teuer. Auf der Audio-Seite hingegen hat sich die Vinyl-Schallplatte als klanglich brauchbares, schnell und billig zu produzierendes Medium mit akzeptabler Spielzeit etabliert. Es liegt also auf der Hand: Wenn man der rasant wachsenden Zahl von TV-Geräte-Besitzern eine Alternative zum Fernsehprogramm anbieten will, wäre irgendeine Art von Scheibe fürs Programm ideal.
Mehr Abwechslung ins Fernsehen!
Das denkt sich Anfang der 1960er auch die damals mächtige Radio Corporation of America, kurz: RCA. Jahrzehntelang dominiert sie das Radio-Geschäft – praktisch alles rund um Funk ist mit RCA-Patenten belegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist man mit dem trotz seiner Schwächen genialen NTSC-Farb-TV-System erfolgreich – und den dafür nötigen Bildröhren.
Videoscheiben sollen das nächste große Geschäft werden, denn es ist klar, dass die aktuellen RCA-Patente irgendwann auslaufen und man immer damit rechnen muss, dass die Konkurrenz legale Wege findet, die eigenen Technologien zu umgehen.
Also – kein Scherz: Projekt Discpix. Dummerweise steht RCA vor demselben Problem wie all die anderen Elektronikfirmen und -tüftler, die über Videomedien grübeln. Um ein Audiosignal ausreichend sauber zu reproduzieren, reicht es, wenn die Technik einen Frequenzbereich bis 20.000 Hertz (Schwingungen pro Sekunde, Hz) wuppt. Für Video hingegen – wohlgemerkt SD-Auflösung – sollten es mindestens 3.000.000 Hz oder 3 Megahertz (MHz) sein, für TV-Qualität besser 5. Es wird also grob mindestens die 150-fache Speicherfähigkeit gebraucht.
Erste, primitive Ansätze konzipiert schon der britische TV-Entwickler John Logie Baird mit seiner Phonovision in den 1920ern – verfolgt den Ansatz aber nicht weiter. Bairds System arbeitet ebenso mechanisch wie Audio-Schallplatten und schafft gerade mal vier Bilder pro Sekunde, was für eine auch nur halbwegs flüssige Bewegungsdarstellung viel zu wenig ist. Auch die Detailtreue, also Auflösung, der mit einem solchem System konservierten Bilder hätte nicht mal schlichteste Ansprüche bedient. Wenn man der rasant wachsenden Zahl von TV-Geräte-Besitzern eine Alternative zum Live-Fernsehen anbieten will, wäre irgendeine Art von Scheibe fürs Programm ideal.
Die einfache Lösung: Film als Film
1952 kommt der in Westinghouse-Diensten stehende französische Ingenieur Pierre Toulon daher auf die Idee, einfach die Einzelbilder eines Filmstreifens auf einer Scheibe anzuordnen. Für die damals verfügbaren TV-Systeme und Displaygrößen müssen die einzelnen Bildchen nicht so groß sein wie des 35-Millimeter-Kinofilms – sie haben eine Breite von nur 1,5 Millimetern. Ein Filmabtaster, also eine Art elektronische Kamera, kreiert aus den Einzelbildern die für TV-Bildschirme passenden Signale.
Die unverständlicherweise "Frequency Adjustment System" getaufte Westinghouse-Idee kommt über Prototypen nicht hinaus. Dennoch war sie für vorbespielte Medien so naheliegend und verlockend, dass sie 1964 ein Konsortium aus Motorola, CBS sowie den Chemiekonzernen ICI und CIBA aufgreift. Vermarktet wird das System ab 1969 als EVR – Electronic Video Recording – obwohl das System gar nichts aufzeichnen kann. Statt einer Scheibe gibt’s hier geschlossene Filmspulen, die erst der "Recorder" öffnet und ins Gerät fädelt. Auf eine Spule passen 2 mal 25 Minuten Unterhaltung in Schwarzweiß oder 25 Minuten in Farbe – statt des zweiten S/W-Programms findet in diesem Fall das Farbsignal fürs Bild auf der zweiten Filmspur Platz. Beim eigentlichen Film handelt es sich aber auch bei Farbprogrammen immer um S/W-Material, das einigermaßen günstig verfügbar ist. Dennoch: Für einen Spielfilm am Stück reicht dieses Format nicht – und auch S/W-Film ist zu jener Zeit deutlich teurer als das PVC einer Schallplatte.
Die Bildplatte muss her!
Wegen all dieser Schwächen entscheidet sich RCA für eine Disc als Trägermedium. Im Oktober 1964, also vor genau 60 Jahren, kündigt RCA seinen Plan an und krempelt die Ärmel hoch. Es beginnt die Arbeit an dem, was als Capacitance Electronic Disc (CED) enden und einer der Sargnägel der Firma werden soll.
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RCA lässt sich bis 1981 Zeit mit dem Verkaufsstart – bis dahin haben auch Mitbewerber ähnliche Gedanken gefasst, setzen sie aber meist besser um. Schneller als RCA ist AEG-Telefunken. Schon 1970 stellen die Hannoveraner zusammen mit den Schallplattenfirmen Teldec und Decca die ersten Muster der "TElevision Disc" (TED) vor. Der einzige, rund 1500 D-Mark (etwa 2535 Euro) teure Spieler erscheint 1975 im Handel. Die Scheiben werden mechanisch abgetastet – nur, dass die TED statt der Seitenschrift der Audio-Schallplatten Tiefenschrift nutzt.
Das Signal ist also im Hub kodiert, den die Disc auf eine Abtastnadel überträgt. Die dünnen Disc-Folien werden samt Papierhülle ins Abspielgerät geschoben. Eine Seite hat eine Spieldauer von nur zehn Minuten, trotz Hülle sind die Scheiben empfindlich. Telefunken hat also lange vor RCA ein funktionierende Technik entwickelt, die aber nur unzureichende Spielzeit bietet. Und so stampft man Player und Scheiben nach zwei Jahren still ein.