Akkuschrauberrennen 2016
Heiße Reifen, schnelle Schrauber, kühne Piloten und Wagen im 3D-Druck
Zugegeben: Manches erinnerte dann doch an die Formel Eins beim neunten Akkuschrauberrennen am letzen Juni-Samstag in Hildesheim. Es gab spannende Duelle in den Kurven, überraschende Führungswechsel, Hektik in der Boxengasse, Kollisionen mit der Bande, einen handfesten Crash und am Schluss die unvermeindliche Champagnerdusche für den Sieger. Doch die röhrenden Motorengeräusche im Hintergrund kamen bloß aus den Lautsprechern, um die Rennatmosphäre zu steigern – die eigentlichen Akkuschrauber-Antriebe sind sympathisch leise. Und damit sind die Vorzüge des Hildesheimer Konstruktionswettbewerbs gegenüber dem internationen Rennzirkus noch nicht am Ende. So müssen sich die antretenden studentischen Gruppen bei jeder neuen Auflage des Wettbewerbs für Fahrzeuge, die von genau einem Akkuschrauber angetrieben werden und auf denen genau eine Person fahren kann, einer ganz neuen, speziellen Konstruktionsaufgabe stellen – was dazu führt, dass kein Fahrzeug dem anderen gleicht.
Sitzen, liegen – oder stehen?
Von irgendeinem Einheitsdesign oder Patentrezept ist deshalb bei den Akkuschrauberrennern erfrischenderweise auch nichts zu sehen. Das ging in diesem Jahr schon bei der Fahrerposition los: Während manche Gruppen auf die klassische Liegerad-Auslegung setzten – zwei lenkbare Räder vorne, ein festes hinten, dazwischen der Fahrer in zurückgelehnter Sitzposition – legten viele andere ihren Piloten bäuchlings auf den Rücken des Rennwagens, die Hände an den vorderen Rädern für die Lenkung, das hintere Rad zwischen den Beinen. Das Team L-1 von der Bauhaus Universität Weimar hingegen hatte sich kurzfristig noch für ein radikal anderes Konzept entschieden: Sie schickten ihren Fahrer stehend auf einer Art Skateboard ins Rennen. Das sorgte für gute Übersicht, hatte aber andere Nachteile, wie sich im Lauf des Wettbewerbs zeigte.
Akkuschrauberrennen 2016 – die Fahrzeuge der Teams (36 Bilder)
Fontys Minor Team
Rückgrat aus dem 3D-Drucker
Bestand beim letzten Akkuschrauberrennen im Jahr 2013 die Herausforderung darin, mit dem Papierblech Kraftplex zu arbeiten, musste diesmal eine Distanz von mindestens 50 Zentimeter zwischen den Achsen allein tragend mit einem oder mehreren Baustücken aus einem 3D-Drucker überbrückt werden. Dafür fanden die elf teilnehmenden studentischen Teams aus Deutschland, den Niederlanden und Polen sehr unterschiedliche Lösungen: Während einige gleich das ganze Chassis in einem Stück drucken ließen – wofür man Zugang zu einer industriellen Anlage braucht – bauten andere ihr Fahrzeug aus mehreren Teilen zusammen. Einen extremen Weg in dieser Richtung schlug etwa das Hildesheimer Team MoPET ein, die ihre 50-Zentimeter-Brücke aus lauter Teilen aus schwarzem und orangenfarbenem PET zusammensetzten, die allesamt einzeln in den Bauraum eines Ultimaker 2 passen (je 20 Zentimeter in alle drei Dimensionen).
Beim Siegerfahrzeug des Teams Screwdriver hingegen stammt das deutlich abgesetzte Mittelsegment aus einem modifizierten RepRap-3D-Drucker, der Objekte von einem guten halben Meter Höhe bauen kann. Die Folge: Das Team musste das Herzstück seines Renners in die Senkrechte gedreht drucken, sodass die Schichten quer zur Längsachse des Fahrzeugs verlaufen. Das ist zwar eigentlich denkbar ungünstig, hat im Rennen aber tadellos gehalten.
Breite Palette
Die beiden erwähnten Teams und noch andere mehr fuhren mit Bauteilen aus einem FDM-3D-Drucker, der thermoplastischen Kunststoff weich macht und mit einer Düse in Form bringt. Andere Gruppen setzten auf das Lasersinterverfahren, was derzeit (fast) noch ein Privileg industrieller additiver Fertigungsanlagen ist. Der Akkuschrauberrenner aus Leipzig bestand zentral aus PMMA-Pulver, mit einem Binder verklebt – auf ähnliche Weise entstehen etwa auch die Großdrucke in den Maschinen von Voxeljet. Insofern war die Bandbreite der verwendeten 3D-Drucktechniken im Teilnehmerfeld bemerkenswert.
Das Akkuschrauberrennen 2016 in Hildesheim (27 Bilder)
Drei Konkurrenzen
Das eigentliche Rennen war in zwei Abschnitte geteilt: Zunächst fuhren in einer Gruppenphase je zwei Teams gegeneinander, wobei der Rundkurs von knapp 125 Metern Länge zweimal zur umrunden war. Dabei durfte unterwegs der Akku nicht ausgetauscht werden. Hingegen erstreckten sich die Läufe der anschließenden K.O.-Phase über je vier Runden und damit 500 Meter, wobei verpflichtend einmal unterwegs der Akku in der Boxengasse gewechselt werden musste.
Die einzelnen Läufe begannen dabei bereits in der Minute vor dem Start, denn die Teams bekamen den jeweiligen Akkuschrauber vom einheitlichen Typ PSR 18 LI-2 Ergonomic von Bosch erst unmittelbar vorher ausgehändigt. Für den Einbau blieben dann genau 60 Sekunden Zeit. Wer länger gebraucht hätte, wäre mit Rückstand gestartet – doch dazu kam es beim neunten Akkuschrauberrennen in keinem einzigen Fall. Die Teams hatten sich genügend praktische Befestigungsvorrichtungen überlegt, zum Teil unter dem Einsatz von Klettband, Kabelbindern und Gaffertape, und augenscheinlich den Einbau auch intensiv geübt. So blieb den meisten noch mindestens eine halbe Minute angespanntes Ausharren, bis endlich der Startschuss fiel.
Geschwindigkeit ist – vieles
In den einzelnen Rennen zeigte sich, dass die einzelnen Konstruktionen zu deutlich unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeiten in der Lage waren. So war für das Team L-1 bald klar, dass sie ein größeres Ritzel brauchen würden, um auf Dauer mithalten zu können – doch der unter dem Skateboard mit 3D-Druck-Mittelteil montierte Schrauber setzte der Ritzelgröße enge Grenzen, denn ein Aufsetzen der Kette auf dem Boden wollte die Gruppe aus Weimar auf jeden Fall vermeiden.
Die Tücke steckt auch beim Akkuschrauberrennen manchmal im Detail. So hat das vom Sponsor Bosch gestellte Gerät zwei verschiedene Gänge – wer sein Fahrzeug auf einen bestimmten davon ausgelegt und vor dem Start nicht kontrolliert hatte, ob der ausgehändigte Schrauber auf den richtigen geschaltet war, konnte auf der Piste eine böse Überraschung erleben. Für das Team Toxic hingegen, dessen Fahrzeug durch Beleuchtung und die schicken, speichenlosen Orbitalräder auffiel, stellten die engen Kurven des Kurses offenbar eine große Herausforderung dar, denn der Renner wurde häufiger durch die Reifenstapel am Streckenrand gestoppt.
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Das größte Debakel erlebte das Hildesheimer Team MoPET: Gleich im ersten Rennen, in der ersten Kurve hob das Vorderrad auf der Innenbahn ab, das Fahrzeug krachte in die Bande und zerbrach in zwei Teile – dem Fahrer ist dank Helm glücklicherweise nichts passiert. Als Beobachter hätten wir Stein und Bein schwören können, dass das MoPET als führendes Fahrzeug vom verfolgenden niederländische Fontys Minor Team berührt wurde, aber im Video des c't-Kollegen Georg Schnurer (siehe unten) ist bei Minute 13 und 39 Sekunden deutlich zu sehen, dass der Unfall ohne Beteiligung der Niederländer passierte.
Der Lauf wurde abgebrochen und konnte zum Schluss der Vorrunde wiederholt werden, nachdem das MoPET-Fahrzeug mit Klebeband und Folie wieder zusammengefügt worden war. Die einzelnen Puzzleteile des Renners ließen sich offenbar ohne grundlegende Schwierigkeiten wieder ineinanderstecken.
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Gewonnen hat am Ende das Team Screwdriver von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel, das die insgesamt vier Runden und 500 Meter des Finalkurses in einer Minute und 22 Sekunden hinter sich brachte – inklusive des obligatorischen Boxenstopps zum Akkuwechsel. Den zweiten Platz belegte MoPET von der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim, vor dem Team Tilt von der Köln International School of Design (KISD) an der TH Köln auf Rang drei.
Alle Teams traten aber noch in zwei weiteren Konkurrenzen an: Zum einen bewertete die Fachjury aus den Betreuern aller Teams die technische und gestalterische Lösung bei der Konstruktion der Fahrzeuge (wobei natürlich kein Betreuer für die eigenen Studierenden stimmen durfte). Hier gewann das Team Skypeway to Hell von der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch-Gmünd. Den zweiten Platz heimste das Projekt Mensch-Maschine von der HAWK Hildesheim ein, der dritte Rang entfiel auch hier auf Team Tilt aus Köln. Schließlich war auch noch das Publikum nach seinem Favoriten gefragt: Hier setzten sich die Lokalmatadoren von MoPET klar durch, vor dem Team Toxic von der Hochschule Coburg mit seinem Renner im Skorpion-Design und der Mensch-Maschine auf dem dritten Platz.
Erfolgsrezept
Seit 2003 richtet die Fakultät Gestaltung der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim bereits Akkuschrauberrennen aus – und die inzwischen neunte Auflage des Wettbewerbs gibt dem Konzept recht. Zum einen sorgt eine jedesmal frische Konstruktionsaufgabe dafür, dass das Rennen nicht zu einer Veranstaltung erstarrt, bei dem jedesmal wieder dieselben Favoriten mit bewährten Fahrzeugen antreten, die gegenüber dem Modell vom Vorjahr vielleicht nur in Nuancen verbessert sind. Zudem sorgt der zwei- bis dreijährige Rhythmus dafür, dass es auch an den teilnehmenden Hochschulen selbst kaum persönliche Kontinuität bei den studentischen Mitgliedern eines Teams gibt – wer einmal teilnimmt, hat oft beim nächsten Mal sein Studium bereits abgeschlossen. Beides führt dazu, dass bei jedem Rennen immer wieder neue, überraschende Wagen an den Start gehen.
Zum anderen nehmen sowohl Gruppen von technischen Hochschulen wie Teams aus dem Produktdesign teil. Die Fachjury berwertet zudem gleichermaßen die technische wie gestalterische Lösung der aktuellen Aufgabe. Dadurch fahren die Akkuschrauberrenner nicht nur tatsächlich gut, sondern sehen dabei oft auch gut aus, was bei anderen, rein technisch getriebenen Wettbewerben selten der Fall ist. Ähnlich gut ausbalanciert erscheint das Verhältnis zwischen dem echten Engagement der Teams und dem Spaß bei der Sache: Auch wenn alle am Tag des Rennens vollen Einsatz zeigen und die Jury die Regeln bis hin zu Strafsekunden beim Frühstart durchaus durchsetzt, wirkt das ganze keineswegs wie eine verbissene und von Ehrgeiz geprägte Leistungsschau. Es macht durchweg Spaß, vor Ort zu sein und die Rennen zu verfolgen.
Bleibt noch eins: So perfekt gestylt und durchgeformt manche der Rennwagen erscheinen – auf der Piste wird an manchen Kleinigkeiten mit großen Auswirkungen deutlich, wie sehr ein Teil der fragilen Konstruktionenan doch an die Grenze getrieben ist. Da können schon unscheinbare Bodenwellen die Sicherung des Akkuschraubers herausspringen lassen, zu heftige Lenkbewegungen zum Kontrollverlust führen – und den Teams ist das offenbar alles genau bewusst, so konzentriert und engagiert sind sie dabei. Die Atmosphäre ist toll.
So muss es gewesen sein, als die Fliegerei erfunden wurde. (pek)