Alexa und Co. für alte Menschen: "Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt"

Könnten Smartspeaker im Pflegeheim bei der Betreuung alter Menschen helfen? Forscherin Sabrina Schorr sagt: Durchaus, wenn man einige Regeln beachtet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Smartspeaker mit Alexa

(Bild: JLCo Ana Suanes/Shutterstock.com)

Lesezeit: 13 Min.
Inhaltsverzeichnis

Sabrina Schorr ist Forscherin an der Ruhr Uni in Bochum. Ihre Themengebiete als wissenschaftliche Mitarbeiterin sind quantitative Sozialforschung, soziale Ungleichheit, Digitalisierung und digitale Gesundheitskompetenz. An der Juniorprofessur für Gesundheit und E-Health hat sie nun in Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziologie der Uni Duisburg Essen eine umfangreiche Befragung durchgeführt, ob sich Smartspeaker im Altenheim einsetzen lassen. Im Interview erläutert sie, wann die Technik sich lohnt und wo es noch hapert.

heise online: Es gibt einen berühmten Sketch der amerikanischen TV-Show SNL, in der Amazon eine spezielle Version von Alexa vorstellt, die sich an Senioren wendet. Sie soll ihnen im Alltag helfen und ist sogar so gestaltet, dass man sie auch mit jedem anderen Namen ansprechen kann, falls man "Alexa" mal vergessen haben sollte.

Sabrina Schorr: Nun ja, dieser Sketch ist auf vielen Ebenen überspitzt dargestellt. Jedoch zeigt er uns auf mehreren Ebenen, wie Technologie und Alter in unserer Gesellschaft zusammen gedacht wird. Häufig werden ältere Menschen als "hilfebenötigende" Personen dargestellt, die auch noch allein sind und sich nicht selbst beschäftigen können.

KI-Update abonnieren

Werktägliches Update zu den wichtigsten KI-Entwicklungen, freitags immer mit Deep Dive.​

E-Mail-Adresse

Ausführliche Informationen zum Versandverfahren und zu Ihren Widerrufsmöglichkeiten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Altern kann aber auch ganz anders aussehen, was, wenn man genau hinschaut, auch beobachtet werden kann. Viele in dem Alter 65+ verreisen, gehen ihren Hobbys nach oder engagieren sich in Vereinen. Zudem ist diese Gruppe nicht per se technologiefern, haben Interesse daran und entdecken genauso wie Jüngere die neuen Technologien aus intrinsischer Motivation. Andere kommen durch ihre Kinder und Enkel in Kontakt, oder besuchen aktiv Schulungsangebote für Technologien wie zum Beispiel Smartphones. Wie auch junge Menschen nutzen ältere Leute Smartspeaker zur Wettervorhersage, als Radio / Musikbox oder zur Steuerung ihres Smarthomes.

Sind Smartspeaker schon so weit, dass die Systeme Betreuungskräften in Arbeit abnehmen könnten?

Ein Smartspeaker kann keine Pflegetätigkeit abnehmen und soll das auch nicht. Der Mehrwert besteht eher in der Unterstützungsleistung, die diese Gräte leisten können. Vielmehr geht es eher darum, die Funktionen, die jetzt schon genutzt werden, wie die Erinnerungsfunktion oder das Managen von Terminen, auf andere Anwendungsfälle anzuwenden und somit die Ressourcen gezielter einsetzen zu können.

Es ist also vorstellbar, dass mit Smartspeakern die Pflegedokumentation erledigt werden kann oder zu pflegende Personen selbstständig ihre Umgebung – wie Licht, Fernseher oder Musik – steuern können. Eine weitere Assistenzleistung von Smartspeakern kann eine exakte Differenzierung von Wünschen nach Kaffee oder Tee, von echten Notrufen beispielsweise bei Stürzen, oder einem dringenden Toilettengang darstellen.

Forscherin Sabrina Schorr.

(Bild: RUB)

Dies würde somit nicht nur den zu Pflegenden mehr Autonomie geben, sondern auch den Pflegepersonen Zeit ersparen, da beispielsweise ein mehrfaches Laufen ins gleiche Zimmer entfallen kann. Man muss sich das so vorstellen, dass es dann eine Logik gibt, die Wünsche direkt an die Pflegeassistenz routen kann, ohne dass Pflegefachkräfte ihre Tätigkeiten, wie Körperpflege bei anderen Patienten, unterbrechen müssen.

Sie haben Pflegekräfte in Deutschland befragt, wie sie zu Smartspeakern in ihrem Berufsalltag stehen. Was war das zentrale Ergebnis?

Das zentrale Ergebnis war, dass Pflegekräfte, entgegen der landläufigen Meinung, keine generelle Abneigung gegenüber Technologien wie den Smartspeakern in ihrem Berufsalltag haben. Wie sie sich das vermutlich schon denken können, ist hier ein großes "Aber" dabei. Um Technologien wie den Smartspeaker implementieren zu können, müssen die Randbedingungen stimmen und diese fangen bereits bei der Planung der Prozesse an.

Zunächst konnte festgestellt werden, dass die meisten Pflegeeinrichtungen reagieren, statt zu agieren. Das bedeutet: Viele Pflegeeinrichtungen starten die Digitalisierung auf Grund eines Auslösers, der unumgänglich ist, wie beispielsweise eine Gesetzesänderung. Die Einrichtungen versuchen dann, diese schnell umzusetzen. Langfristige Digitalisierungsstrategien, die ihren Ursprung in der Eigenmotivation seitens der Einrichtung haben, sind selten zu beobachten.

Diese Reaktion kann natürlich dazu führen, dass Implementierungsprozesse nicht vollständig durchdacht und geplant werden, sondern eher auf eine Adhoc-Lösung setzen. Der zweite wichtige Punkt ist die Mitbestimmung, die ein sehr wichtiger Faktor für eine gelungene Implementierung ist, wie bereits weitere Studien in anderen Berufskontexten zeigten. Es ist wichtig, nicht "Top Down" sondern am besten "Bottom Up" zusammenzuarbeiten und insbesondere die Personen, die täglich damit arbeiten – hier die Pflegekräfte – einzubeziehen. Die Ergebnisse zeigten leider überwiegend mangelnde Einbeziehung und dadurch nicht ganz passende Lösungen, die so zu einer Nichtnutzung führten.

Haben Sie ein Beispiel für uns?

In einer Pflegeeinrichtung wurden für die Dokumentation Tablets angeschafft, die Pflegekräfte hätten sich allerdings lieber ein Smartphone gewünscht. Auf den ersten Blick ist das vielleicht ungewöhnlich – so sind die Bildschirme bei Tablets größer, man kann schöner darauf lesen, die Schrift ist gegebenenfalls größer etc. Doch aus Sicht der Pflegekräfte sind diese Punkte nicht relevant. Für sie wäre es praktischer, ein Smartphone zu verwenden.

Dieses passt in die Kitteltasche und ein Foto für die Wunddokumentation lässt sich mit einer Hand erledigen – so muss zum Beispiel für die Bedienung nur ein Handschuh ausgezogen werden, im Gegensatz zu einem Tablet, das mit zwei Händen bedient werden muss.

Solche Argumente sind vielleicht aufgrund unterschiedlicher Aufgabengebiete nicht gleich sichtbar und verdeutlichen, weshalb ein früher Einbezug so wichtig ist. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass die Pflegekräfte nicht nur mitgenommen, sondern ihre Ideen auch berücksichtigt und umgesetzt werden müssen. Hier spielt auch der Punkt der Infrastruktur hinein: Leider sind viele Pflegeeinrichtungen noch nicht gut digitalisiert, sodass es schon mit der WLAN-Versorgung hapert. Wenn ein WLAN-Netz zu schwach ist, damit mehrere Geräte genutzt werden können – oder es nur auf bestimmten Etagen funktioniert –, bringen die besten Endgeräte nichts, da so eher ein doppelter oder sogar dreifacher Arbeitsaufwand zum Beispiel bei der Dokumentation entsteht. Ein weiterer großer und wichtiger Punkt waren Schulungen. Häufig sind die angebotenen Schulungen nicht umfangreich oder auf die Bedürfnisse der Pflegekräfte angepasst.

Über all diese technischen Ansprüche wurde ein weiteres Thema sehr deutlich: Pflege kann und soll nicht durch Technologie ersetzt werden. Da ich meine Forschung unter einer soziologischen Perspektive betrachtet habe, spielte hier eben auch das Rollenverständnis eine große Rolle. Pflegekräfte sehen die Pflege nicht nur auf einer physischen Ebene, sondern auch auf einer psychischen, welche ihnen besonders wichtig ist. "Pflege ist nicht nur statt und sauber", hieß es dazu in den Interviews.