Hohe Zahlen in den USA bei Betroffenen von Fleisch-Allergie

Jedes Jahr kommen 15.000 neue Fälle von Menschen hinzu, die gegen rotes Fleisch allergisch sind. Als Hauptauslöser gilt der Biss von Zecken.

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Rohes rotes Fleisch auf einem Holzbrett

(Bild: Natalia Lisovskaya/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Mehr als 110.000 Menschen in den USA haben in den vergangenen 13 Jahren die Diagnose "Fleischallergie" für rotes Fleisch erhalten. Das meldete die US-Gesundheitsbehörde CDC Ende Juli nach Auswertungen von Ergebnissen des Testlabors Eurofins Viracor von 2010 bis 2012, das bis 2021 das Hauptlabor für diese Nachweise war. In vielen Fällen hat wohl ein Biss der Lone-Star-Zecke (Amblyomma americanum, auf Deutsch Einzelsternzecke) die potenziell lebensbedrohliche Allergie gegen ein Zuckermolekül hervorgerufen, das vor allem in rotem Fleisch vorkommt: Galaktose-1,3-Alpha-Galaktose (Alpha-Gal). Die Allergie trat dabei laut CDC in jenen US-Bundesstaaten am häufigsten auf, in denen es etablierte Lone-Star-Zeckenpopulationen gibt. Zwischen 2017 und 2021 stieg die Zahl der positiven Fleischallergietests jedes Jahr um 15.000.

Dass Zecken eine Fleischallergie auslösen können, ist an sich nicht neu. Überraschend ist allerdings, wie viele Betroffene es inzwischen in den USA gib: Denn die CDC geht von einer riesigen Dunkelziffer aus, die tatsächliche Zahl der Fleisch-Allergiker in den USA könne bei bis zu 450.000 liegen. Ein wichtiger Grund für die massive Untererfassung könnte laut einer zweiten CDC-Untersuchung darin liegen, dass die erforderlichen Tests zu selten durchgeführt werden, weil viele Ärzte und Schwestern diesen Auslöseweg kaum kennen.

Wie die CDC-Befragung von 1500 medizinischem Personal ergab, hatten 50 Prozent der Allgemeinmediziner, Internisten, Kinderärzte und Pflegepersonal noch nie etwas vom sogenannten Alpha-Gal-Syndrom (AGS) gehört, wie die Fleischallergie offiziell heißt. Und wenn doch, war sich ein Drittel der Befragten trotzdem "nicht allzu sicher", die Allergie adäquat diagnostizieren und betreuen zu können. Lediglich fünf Prozent fühlten sich dabei "sehr sicher".

Alpha-Gal ist ein Zucker und kommt vor allem in rotem Fleisch vor, also in Rinder-, Schweine-, Lamm-, Kaninchen- und Wildfleisch sowie den Innereien dieser Tiere vor. Auch in anderen Produkten der Tiere, zum Beispiel der Milch, Milchprodukten wie Sahne und Käse sowie in Gelatine ist der problematische Zucker enthalten, wenn auch oft in geringeren Mengen. Geflügel und Fisch können Betroffene dagegen gefahrlos verzehren. Auch Medikamente, die mit Gelatine überzogen sind, können zu den milden bis schweren allergischen Reaktionen führen.

Weil die Symptome aber vielfältig und unspezifisch sind und oft erst bis zu sieben Stunden nach dem Verzehr von Fleisch- oder Milchprodukten auftreten, ist es für Betroffen und Ärzte nicht leicht, den richtigen Verdacht zu schöpfen. "Für Deutschland oder Europa gibt es noch keine epidemiologischen Zahlen für AGS", sagt der Allergologe Tilo Biedermann von der Technischen Universität München. "Aber überall, wo es Zecken gibt, gibt es auch dieses Krankheitsbild. Das hängt bei uns nicht von einer speziellen Zeckenart ab, sondern es sind viele in der Lage, AGS zu übermitteln, darunter auch der Gemeine Holzbock."

Eine Allergie gegen rotes Fleisch kann auf verschiedenen Wegen entstehen. Als einer der häufigsten Auslöser gelten aber Zeckenbisse. Die Parasiten übertragen mit ihrem Speichel auch die Zuckerverbindung, die sie selbst produziert haben oder die aus früheren Blutmahlzeiten aus anderen, Alpha-Gal-produzierenden Tieren wie Rehen stammen. Dann kann Alpha-Gal über die Haut – nicht die Blutbahn – eine Allergie auslösen, auch wenn man bis dahin kein Problem mit rotem Fleisch oder anderer Nahrung hatte.

Dabei entsteht nicht immer gleich eine voll ausgeprägte Allergie. Oft wird man nur sensibilisiert und verträgt das Antigen weiterhin in bestimmten Mengen. Allerdings können wiederholte Zeckenbisse diese Allergie weiter ausprägen oder der Konsum einer sehr großen Menge von rotem Fleisch wie ein großes Steak – und gleichzeitig auftretende Kofaktoren wie Anstrengung beim Sport – können doch eine Allergie auslösen. "Normalerweise haben wir für Nahrung eine hohe Immuntoleranz", erklärt Biedermann. "Aber wahrscheinlich reicht diese nicht so weit in die Haut, oder nicht mit einer Stärke, um gegen einen Zeckenbiss wirksam zu sein."

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Die Haut sei ein großflächiges, hochkompetentes Immunorgan. Da die Zecken aber mithilfe ihrer Mundwerkzeuge und einer Art biologischem Zement sehr lange in der Haut verbleiben, dabei wiederholt saugen und in die Wunde spucken, "kann es – vor allem bei mehreren Zeckenbissen pro Jahr zu einer Sensibilisierung oder gar einer Allergie kommen", so Biedermann.

Ihn wundert es deshalb nicht, dass etwa Jäger und Forstarbeiter relativ häufig gegen Alpha-Gal sensibilisiert sind. Vor allem Jäger werden beim Ausweiden von Wildtieren von bis zu 200 Zecken-Nymphen, der Stufe zwischen Larven und erwachsenen Tieren, bekrabbelt und gestochen, und "können schon mal systemisch reagieren".

Beim Verdacht auf eine Fleischallergie führt Biedermann sowohl einen Haut- als auch einen Bluttest durch. Fallen beide Tests positiv aus, ist eine Sensibilisierung gesichert und eine Allergie möglich. Stellt sich die Frage einer Therapie: Eine orale Desensibilisierung, also über die Nahrung, ist unter bestimmten Umständen möglich, aber nicht trivial. Biedermanns Team plant dazu gerade eine Studie.

"Man möchte damit die orale Immuntoleranz stärker, um sozusagen die Sensibilität zu kompensieren. Es besteht aber immer Gefahr, dadurch eine allergische Reaktion auszulösen", sagt der Allergologe. "Wenn Patienten aber beim Provokationstest über die Nahrung erst auf einer bestimmten Menge reagieren oder auch nur mit Kofaktoren wie Anstrengung, dann raten wir nicht mehr zu einem vollständigen Verzicht auf rotes Fleisch." Verzehr im unkritischen Bereich sei dann immer noch möglich und vielleicht sogar toleranzstärkend.

Dass wir Menschen allergisch auf den Zucker Alpha-Gal allergisch werden können, könnte Forschern zufolge an einem "katastrophalen epidemiologischen Ereignis" vor 20 bis 28 Millionen Jahren liegen, das "mit einer beinahe vollständigen Auslöschung der Hominoiden [Menschenartigen, Anm. d. Red.]" einherging, wie es in der Veröffentlichung "British Society Immunology" heißt. Dabei verloren die Urahnen der afrikanischen und asiatischen Affen (Altweltaffen) sowie der Menschenaffen inklusive der Gattung Homo die Fähigkeit, Alpha-Gal selbst herzustellen.

In ihrem Blut zirkulierten fortan Antikörper gegen Alpha-Gal (aus der Klasse IgG und IgM, nicht aber die bei Allergien gebildeten IgE-Antikörper), was – ganz nach dem Motto "Glück im Unglück" – gleichzeitig zu einem evolutionären Vorteil führte: Diese Antikörper halfen, Alpha-Gal-produzierende Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und humanpathogene Protozoen abzuwehren.

(jle)