Apple M1: Der Anfang von Intels Ende – oder nicht?

Apples ARM-Prozessor M1 ersetzt die bisher im Mac eingebauten x86-Chips von Intel. Wie stark ist die Bedrohung für Intel und auch AMD?

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(Bild: Apple)

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Inhaltsverzeichnis

Der M1-Prozessor mit ARM-Architektur und acht Prozessorkernen ist ein starkes Stück „Apple Silicon“. Als erstes System-on-Chip mit ARM-Kernen verspricht er schneller zu sein als eine CPU von AMD oder Intel mit vergleichbarer Leistungsaufnahme von 10 bis 20 Watt, wie erste Benchmarks zeigen. Er kommt ab sofort im meistverkauften Apple-Notebook MacBook Air zum Einsatz sowie im MacBook Pro 13 Zoll und im Mac mini.

ARM-Macs: Apples Umstieg auf eigene Prozessoren

Später will Apple auch bei allen anderen Macs auf hauseigene Prozessoren umsteigen, wodurch Intel seinen prominentesten Kunden verliert. Die Frage lautet nun, ob der Umstieg auf ARM-Technik Schule macht, also auch andere PC-Hersteller die x86-Prozessoren von AMD und Intel ablösen. Das würde die bisherigen Geschäftsmodelle der beiden wichtigsten x86-Firmen bedrohen.

Grundsätzlich scheint der Wechsel zu ARM-Chips machbar: Das marktführende Betriebssystem Microsoft Windows gibt es seit Windows 8 in ARM-Versionen, seit Windows 10 auch für 64-Bit-ARM-Chips mit der Mikroarchitektur ARMv8-A, die auch im Apple M1 steckt. Linux läuft sowieso auch auf ARM, siehe Raspberry Pi, Android-Smartphones und ARM-Server-Chips. Letztere belegen zudem, dass ARM-Technik auch enorme Rechenleistung liefert und sowohl bei RAM-Ausbau (bis zu 4 TByte) und I/O (Dutzende PCIe-4.0-Lanes) nicht zurückstecken muss. Der derzeit weltschnellste Supercomputer Fugaku nutzt ebenfalls ARM-Kerne.

Apple verspricht für den M1 bei gleicher Leistungsaufnahme die doppelte Performance wie bei den "neuesten anderen Laptop-Chips".

(Bild: Apple)

Was theoretisch möglich ist, hat in der Praxis bisher aber nur Apple gezeigt. Denn derzeit gibt es schlichtweg keinen anderen Hersteller, der einen zu den besten x86-Notebookchips konkurrenzfähigen ARM-Prozessor liefern kann. Die wenigen Windows-ARM-Notebooks wie das Microsoft Surface Pro X nutzen Sytems-on-Chip (SoCs) wie den Qualcomm Snapdragon 8cx, den Microsoft leicht optimiert als SQ1 und SQ2 einbaut. Obwohl Qualcomm schon lange vor Apple ARM-SoCs entwickelt hat, liegen die bisherigen Snapdragons deutlich hinter Intels Core-i-Prozessoren und auch AMDs Ryzen 4000U zurück.

Apple packt in den M1 16 Milliarden Transistoren aus der 5-Nanometer-Fertigung.

(Bild: Apple)

Qualcomm hatte sogar schon vor Apple eigene ARM-Kerne namens „Kryo“ entwickelt, die jeweils leistungsfähiger waren als zum gleichen Zeitpunkt verfügbare Standard-ARM-Technik, also die bekannten „Cortex-A“-Typen. Doch trotz der langjährigen Erfahrung hat sich Qualcomm von dieser Optimierung der ARM-Technik weitgehend verabschiedet: Jüngere Kryo-Kerne sind Cortex-A-Kernen aus dem ARM-Regal weitaus ähnlicher als ihre Ahnen, also nicht wesentlich leistungsfähiger. Ähnlich verlief die Entwicklung bei Samsung (früher: Exynos M) und sogar beim baldigen ARM-Besitzer Nvidia (Beispiel Denver/Carmel).

Auch der bisher wohl wichtigste ARM-Serverprozessor Amazon Graviton2 setzt auf die ARM-eigene Mikroarchitektur Neoverse N1 für Server, nachdem mehrere Firmen die Entwicklung optimierter ARM-Serverkerne eingestellt hatten (Qualcomm) oder übernommen wurden (Applied Micro).

Die Entwicklungskosten für einen ARM-Chip sind erheblich; schon vor Jahren schätzte ein Manager der Firma Cadence, die Chip-Entwicklungstools (EDA) liefert, den Aufwand für ein von Grund auf neu entwickeltes ARM-SoC auf über 30 Millionen US-Dollar. Für einen aktuell konkurrenzfähigen Chip wie den M1 mit 16 Milliarden Transistoren und 5-Nanometer-Fertigung dürfte der Aufwand noch weit höher liegen. Da muss man schon ein paar Millionen Chips verkaufen, damit sich der Entwicklungsaufwand lohnt.

Apple hat nun schon die achte eigene ARM-SoC-Generation entwickelt

(Bild: Apple)

Apple nutzt allerdings – ebenso wie die ARM-SoC-Spezialisten Qualcomm, MediaTek, Samsung, Huawei/HiSilicon oder Marvell/Cavium – eine Fülle von Funktionsblöcken in mehreren unterschiedlichen Chips und entwickelt sie jeweils schrittweise weiter. Der M1 ist sehr eng mit dem A14 verwandt, die ARM-Rechenkerne und die GPU-Kerne in M1 und A14 wiederum ähneln stark ihren Vorgängern im A13 und so weiter. Die Entwicklungskosten lassen sich dadurch also leichter wieder einspielen, weil sie sich auf mehr Produkte mit enormen Stückzahlen verteilen. Apple verkaufte 2019 nach Schätzungen fast 200 Millionen iPhones. Samsung setzt noch 40 Prozent mehr ab, vor dem US-Handelskrieg gegen China früher auch Huawei. Wer nur relativ kleine Stückzahlen verkaufen kann, kauft Chips daher besser zu, statt sie selbst zu entwickeln.

Im Vergleich zu den anderen ARM-Chipentwicklern hat Apple mehrere Alleinstellungsmerkmale, die Vorteile bringen. Erstens ist Apple schlichtweg das reichste Unternehmen der Welt und kann bei der Entwicklung in nahezu unendlich tiefe Taschen greifen. Damit lockt Apple auch herausragende Chip-Experten an.

Zweitens entwickelt Apple nicht nur den ARM-Chip selbst, sondern auch das komplette Gerät sowie die wichtigste Software, nämlich Betriebssystem, Treiber und Compiler. Obendrein liefert Apple einige der beliebtesten Apps selbst und kann sie folglich für die eigene Hardware optimieren.

Drittens kennt Apple seine Endkunden ganz genau und muss beim Chip-Design nicht auch Funktionen einbauen und Kompromisse eingehen, die für andere Smartphone- oder Notebook-Hersteller wichtig sind.

Apple verlangt über 200 Euro Aufpreis für 8 GByte mehr RAM oder 256 GByte mehr Flash-Speicher.

(Bild: Apple)

Viertens hat Apple viel mehr Freiheit bei der Preisgestaltung: Apple-Geräte liefern satte Margen. Wenn man für 8 GByte mehr RAM oder 256 GByte mehr SSD-Kapazität im Wert von je 25 Euro satte 200 Euro Aufpreis nehmen kann, dann kommt es auf den SoC-Preis kaum noch an.

Und schließlich – fünftens – kann Apple mit dem M1 dadurch punkten, dass er die gigantische Fülle der iOS-Apps auch auf Macs nutzbar macht. Das bringt vielen potenziellen Käufern Mehrwert und bietet Anreize für App-Entwickler.

Derzeit sieht es nicht so aus, als könnte ein anderer ARM-SoC-Hersteller außer Apple bald einen x86-Killer aus dem Hut zaubern. Der bisher leistungsfähigste ARM-Kern, der in aktuell lieferbaren Geräten zum Einsatz kommt, ist der Cortex-A77. Er steckt als Kryo 585 Gold im Qualcomm Snapdragon 865 für Oberklasse-Smartphones. Im Benchmark Geekbench 5 liefert der Kryo 585 Gold ein Single-Core-Ergebnis von unter 1000 Punkten – Apples M1 ist rund 70 Prozent schneller.

In den nächsten Monaten werden erste ARM-SoCs mit dem Cortex-X1 erwartet, das ist eine Variante des Cortex-A78 oder auch Cortex-A78C, letzterer speziell für Notebooks. Laut ARM soll der Cortex-X1 rund 30 Prozent schneller sein als der Cortex-A77 – und wäre somit immer noch langsamer als der starke „Firestorm“-Kern in Apple A14 und erst recht im wohl höher taktenden M1. Außerdem wir der Cortex-X1 frühestens 2021 in Notebooks auftauchen.

Apple nutzt bei A14 und M1 weitgehend dieselben Funktionsblöcke.

(Bild: Apple)

Doch 2021 wird Apple wohl einen weiter verbesserten Mac-Prozessor vorstellen, man kann auf einen M2 tippen. Auch AMD und Intel arbeiten selbstverständlich an schnelleren Chips für 2021, etwa am Ryzen 5000U (alias Cezanne) mit Zen 3 sowie an einem Nachfolger für den Core i7-1185G7 (Tiger Lake). Derzeit ist folglich kein anderer Hersteller in Sicht, der den ewigen Gewinner Apple im Hase-und-Igel-Rennen um die ARM-Kern-Leistungsspitze auch nur einholt und x86-Mobilprozessoren den Schneid abkauft.

Allerdings würden sich wohl auch für langsamere ARM-Notebooks Käufer finden, sofern diese billiger sind als vergleichbare x86-Notebooks. Seltsamerweise sind derartige Angebote zwar angekündigt, aber nicht in Sicht, wenn man von einigen Chromebooks absieht – und selbst diese kosten kaum weniger als die typischen 300-Euro-Billigheimer mit Windows und Atom-Celerons, die etwa Aldi immer wieder mal verkauft.

Der Qualcomm-ARM-Chip im Microsoft Surface Pro X (2020) kommt nicht an x86-Prozessoren heran.

Selbst wenn jedoch ein anderer schneller ARM-Konkurrent zu Intel Core i und AMD Ryzen auf den Markt kommt, hätte ein damit bestücktes Windows-10-Notebook Nachteile: Obwohl Microsoft seit Jahren am ARM-Windows tüftelt, läuft noch immer keine 64-Bit-x86-Software darauf. Microsoft hat noch nicht einmal alle eigenen Anwendungen vernünftig portiert, ARM-kompatible Windows-Programme sind Mangelware. Microsoft kann zudem nicht damit werben, dass eine Fülle von Mobil-Apps auf ARM-Notebooks läuft.

Während also Apple komplett auf ARM umsteigt und klare Vorteile verspricht, baut Microsoft eine ARM-Schiene parallel zur etablierten x86-Welt auf und kommt dabei obendrein nur zäh voran. Das kann sich künftig ändern, aber der bisherige Fortschritt deutet darauf hin, dass das noch eine ganze Weile dauert.

Wenn Apple von Intels Stange geht, verliert Intel Umsatz. Apple ist derzeit zwar der weltweit viertgrößte PC-Verkäufer (hinter Lenovo, HP und Dell), hat aber nach Stückzahlen weniger als 7 Prozent Marktanteil. Intel macht derzeit weniger als 60 Prozent Umsatz mit PC- und Mobilprozessoren, sodass durch einen kompletten Apple-Abgang nicht viel mehr als 5 Prozent Schwund von gesamten Intel-Umsatz drohen. Intel arbeitet ohnehin darauf hin, den Umsatzanteil der„Client Computing Group“ (CCG) zu mindern, indem andere Sparten wachsen.

Auch in vielen Chromebooks wie dem Lenovo C630 stecken x86-Prozessoren.

Zunächst ist also der Image-Schaden für Intel deutlich größer als der finanzielle Verlust, schließlich gehört Apple zu den bekanntesten Marken der Welt. Das x86-Geschäftsmodell insgesamt gerät erst dann ins Wanken, wenn deutlich mehr schnelle oder billige ARM-Notebooks mit Windows 10 den Markt fluten. Danach sieht es bisher aber nicht aus.

Es gibt allerdings mehrere Unbekannte in dieser Gleichung. So könnte es Apple etwa einfallen, billigere MacBooks etwa für Schülerinnen und Schüler zu verkaufen, um Marktanteile gegen Windows und Chromebooks zu holen – letztere sind in US-Schulen beliebt. Auch bei Smartphones und Fitnessuhren fischt Apple schließlich mit billigeren SE-Modellen in preisempfindlicheren Käuferschichten. Könnte Apple mit einem „MacBook SE“ seinen Notebook-Marktanteil enorm steigern, würde der Schaden für das x86-Lager größer.

Denkbar ist auch, dass ein weiterer finanzstarker IT-Gigant wie Google oder Microsoft ein schlagkräftiges ARM-SoC-Team zusammenstellt. Wahrscheinlichster Kandidat ist Microsoft, weil man sich hier – siehe Surface – deutlich erkennbar am Apple-Vorbild orientiert. Microsoft verkauft allerdings keine 200 Millionen Smartphones jährlich, was Apple die Amortisierung der ARM-SoC-Entwicklungskosten sehr erleichtert. Microsoft könnte aber sowohl an eigenen ARM-Server-SoCs Interesse haben als auch an einem kommenden Spielkonsolenchip mit ARM-Technik. Doch die Stückzahlen liegen hier weitaus niedriger als bei Smartphones.

Schließlich könnte im bisherigen Wachstumsmarkt China Unvorhergesehenes passieren: Dort strebt man nach mehr Unabhängigkeit von westlicher Technik, beispielsweise von Microsoft Windows und x86-Prozessoren. 2019 erzielte Intel laut Geschäftsbericht 28 Prozent des gesamten Umsatzes in China inklusive Hongkong. Eine Abkehr von x86 in China würde Intel deshalb hart treffen.

Das größte Risiko für Intels Geschäftsmodell liegt derzeit freilich bei Intel selbst: Wegen der mittlerweile jahrelang währenden Schwierigkeiten mit der 10-Nanometer-Fertigungstechnik und schon jetzt absehbaren Verzögerungen von 7-Nanometer-Chips liegt Intel weit hinter dem CPU-Zeitplan. Das wiederum trägt dazu bei, dass nicht nur Apples M1 dermaßen gut aussieht, sondern auch AMDs Ryzens und Epycs (letztere für Server).

Ob mit oder ohne „Apple Silicon“: Intel muss wieder in die Puschen kommen, denn die Welt dreht sich ungerührt weiter. Intels wichtigste Probleme sind weder Apple M1 noch AMD Ryzen, sondern hausgemachte Pleiten und Pannen. Apple verlässt das x86-Schiff, das aber deshalb nicht gleich sinkt – sofern Intel und AMD einen guten Kurs finden.

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(ciw)