Auf dem Quantensprung

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Es gehe um "Verbesserungen in der zweiten Nachkommastelle". Derartige Feinheiten könnten sich tatsächlich als entscheidende Meilensteine auf dem Weg zum praxistauglichen Quantencomputer erweisen. So hatten die ersten supraleitenden Qubits nur eine Lebensdauer von einigen Hundertstel Mikrosekunden. Durch beharrliche Arbeit an den Herstellungsprozessen konnte Martinis' Gruppe die Lebensdauer bereits auf 30 Mikrosekunden verhundertfachen. Je stabiler die Qubits, desto mehr Rechenoperationen können die Forscher damit durchführen.

Als harte Nuss für die Konstruktion eines Quantenrechners erwies sich bislang auch die Korrektur von Fehlern, die sich während der Berechnung einschleichen können. Bei gewöhnlichen Computern fügt man in die Daten sogenannte Prüfbits ein, die zum Beispiel auf den Wert 1 gesetzt werden, wenn die Anzahl der zu prüfenden Datenbits gerade ist. "Das geht bei Qubits nicht", sagt Wilhelm-Mauch. "Die können Sie nicht zwischendurch auslesen, ohne die gesamte Rechnung zu zerstören."

Schon in den 1990er-Jahren haben findige Theoretiker wie Peter Shor zwar passende Methoden der Fehlerkorrektur ersonnen. Die "produzieren aber einen sehr großen Overhead", erklärt Wilhelm-Mauch. Treten zu viele Fehler auf, weil das System zu unzuverlässig ist, würde deren Korrektur den Geschwindigkeitsvorteil des Quantenrechners im Extremfall zunichte machen. Im April veröffentlicht Martinis' Arbeitsgruppe eine neue Möglichkeit: den "Surface Code". Er lohnt sich bereits ab einer Fehlerrate von eins zu hundert. Bisher lag der Schwellenwert bei eins zu zehntausend. "Damit ist ein grundlegendes Problem gelöst", kommentiert Wilhelm-Mauch.

Aber wird es genug sein, um Microsoft zu schlagen? Das Unternehmen entwickelt eine neue Art von Qubit, bekannt als ein "topologisches Qubit". Voraussichtlich noch dieses Jahr werden von Microsoft unterstützte Physiklabors beginnen, wichtige Aspekte des Konzepts zu testen.

In einem sonnigen Zimmer, nur hundert Meter entfernt vom Pazifischen Ozean, sitzt Michael Freedman, Initiator und technischer Vordenker von Microsofts Quantenprojekt. "Je mehr man über Quantencomputer nachdenkt", sagt er, "desto mehr merkt man, dass man selbst nur eine Art klobiger chemischer Analogrechner ist." Der 63-Jährige, entspannt, braun gebrannt und fit, leitet "Station Q" – Microsofts Quantencomputer-Forschungsgruppe, die auf dem Campus der University of California in Santa Barbara angesiedelt ist.

Sollte Freedmans Gehirn tatsächlich ein "klobiger chemischer Computer" sein, dann zumindest ein außergewöhnlicher. Freedman galt bereits in frühester Jugend als mathematisches Wunderkind. Er schrieb sich mit 16 an der Universität Berkeley ein und wurde zwei Jahre später in das Graduiertenprogramm aufgenommen. Mit 30 fand er eine Lösung für eines der ältesten Probleme der Mathematik, die Poincaré-Vermutung. Freedman arbeitete sie aus, ohne etwas niederzuschreiben. Er stellte sich die Verformung vierdimensionaler Körper im Kopf vor. "Ich habe den Lösungsweg vor meinem inneren Auge gesehen", erinnert sich Freedman. Nachdem er diese Vision 1982 in einem 95-seitigen Beweis umsetzte, gewann er die Fields-Medaille, die weltweit höchste Auszeichnung der Mathematik.

1997 schloss Freedman sich Microsofts Forschungsgruppe für theoretische Mathematik an. Bald danach begann er, mit Alexei Kitajew zusammenzuarbeiten, einem theoretischen Physiker aus Russland. Kitajew hatte bewiesen, dass ein "topologisches Qubit" erheblich zuverlässiger funktionieren könnte als die Qubits, an denen andere Gruppen arbeiteten. Irgendwann war Freedman überzeugt, etwas entdeckt zu haben, das einen Nutzen jenseits der theoretischen Physik und Mathematik besaß. 2004 tauchte er in Craig Mundies Büro auf und legte einen Plan vor, wie sich Qubits erzeugen lassen könnten, die zuverlässig genug für den praktischen Einsatz sind.

Mundie schlug ein. Seine Forschungsabteilung hatte bis dahin nicht versucht, Quantencomputer zu bauen. Doch Mundie wusste um die gewaltigen Chancen dieser Rechner – und kannte die riesigen Probleme, vor denen ihre Entwickler standen. Mundie beschloss, das Risiko einzugehen. Er richtete eine Gruppe zur Erzeugung eines topologischen Qubits ein, mit einem etwas nervösen Freedman an der Spitze. "In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht mal ein Transistorradio gebaut", sagt er.

Dafür aber hatte Freedman eine bestechende Theorie: Er vermutete, dass die von ihm gesuchten Quantenzustände immer dann auftreten müssten, wenn man Elektronen innerhalb bestimmter Materialien einschließt und dann auch noch auf zwei Dimensionen beschränkt. Im Inneren dieser Materialien zeigen Elektronen bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt exotische Eigenschaften: Sie bilden eine sogenannte Elektronenflüssigkeit. Die kollektiven Quanteneigenschaften der Elektronenflüssigkeit können ein Qubit repräsentieren. Der unschätzbare Vorteil: Diese Qubits wären unempfindlich gegen die meisten Störeinflüsse.

Allerdings hat die Sache einen Haken: Die Physik dahinter ist noch nicht nachgewiesen. Freedmans Ansatz setzt voraus, dass bestimmte Partikel in der Elektronenflüssigkeit existieren, bekannt als nicht-abelsche Anyonen. Physiker gehen zwar davon aus, dass es sie gibt. Abschließend festgestellt hat das bisher aber noch niemand.

Also machte sich Microsoft unter Freedmans Leitung auf die Suche. Besonders angetan hatte es ihnen eine Untergruppe der nicht-abelschen Anyonen, die Majorana-Teilchen. Als Erster postuliert hatte sie der zurückgezogen lebende italienische Physiker Ettore Majorana 1937 – kurz bevor er auf mysteriöse Weise verschwand. Lange hatte niemand glaubwürdige Beweise für ihre Existenz vorlegen können. Bis zu jenem Tag im Jahr 2012, als der Niederländer Leo Kouwenhoven, ein von Microsoft mitfinanzierter Forscher an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden, behauptete, sie gefunden zu haben: in Nanodrähten, die er aus dem Halbleiter Indiumantimonid hergestellt hatte.

Der Nachweis wäre die bisher stärkste Unterstützung für Microsofts Konzept – und ein großer Schritt in Richtung eines stabilen Quantencomputers. Nicht jeder ist allerdings überzeugt, das Kouwenhoven wirklich Erfolg hatte. John Preskill, Professor für theoretische Physik am Caltech, hält das topologische Qubit weiterhin für nichts als eine schöne Theorie.

"Ich bin ein großer Anhänger der Idee, doch nach Jahren ernsthafter Anstrengungen gibt es immer noch keine belastbaren Beweise", sagt er. Microsoft lässt sich davon nicht beirren. Auf dem schattigen Microsoft-Campus in Redmond, wo Tausende emsiger Programmierer an Windows-Programmen feilen, arbeiten auch ein Dutzend Menschen an Software für Quantencomputer. Unter Gruppenleiterin Krysta Svore entstand etwa ein Algorithmus, mit dem selbst ein Quantencomputer der ersten Generation unvorstellbar komplexe Probleme lösen könnte. "In wenigen Stunden oder gar Minuten" zum Beispiel könnte getestet werden, welchen Effekt die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre hätte. "Wir sehen die Chance, den Grundstein eines gänzlich neuen Wirtschaftszweiges zu legen", sagt Microsofts aktueller Forschungschef Peter Lee.