Auf dem Quantensprung

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Das Rennen geht weiter. Inzwischen ist zudem ein weiterer Wettläufer auf den Plan getreten, und zwar in Form von Bob Willett von den Bell Labs in Murray Hill, New Jersey. Die Bell Labs waren ein fast mythischer Ort der Forschung – der erste Transistor wurde hier gebaut, die mathematischen Grundlagen der Kommunikationstherie erforscht und die Programmiersprache C entwickelt. Doch in diesen goldenen Zeiten gehörten die Labs zum Telecom-Konzern AT&T, der das amerikanische Telefonmonopol hielt.

Damals konnten die Forscher mit viel Geld mehr oder weniger erforschen, wonach ihnen der Sinn stand. Inzwischen hat das französische Telekommunikationsunternehmen Alcatel-Lucent sie übernommen. Sie sind kleiner und ärmer als damals. Der Blick aus einigen von Willetts Räumen geht auf einen staubigen, vernarbten Platz, auf dem im letzten Jahr noch ein inzwischen abgerissener Laborflügel stand. In Willetts Projekt jedoch investiert Alcatel mehr Geld als früher. Bis vor Kurzem arbeitete der Forscher mit nur drei weiteren Physikern zusammen. Inzwischen hat Alcatel-Lucent das Team um Mathematiker und Optik-Experten aufgestockt. "Wir steigern uns zu einem relativ großen Projekt", sagt er.

Schließlich ist auch er sich sicher, die Existenz der mysteriösen Majorana-Teilchen bewiesen zu haben. Über seine Brille hinweg betrachtet er ein mattschwarzes Kristall-Rechteck von der Größe einer Fingerspitze. Handgelötete Drähte umlaufen seinen Rand, über die Oberfläche zieht sich ein feines Zickzack aus Aluminium. Und in der Mitte des Chips, in einem Bereich mit weniger als einem Mikrometer Durchmesser, hat Willett, so sagt er, nicht-abelsche Anyonen entdeckt. Die Anordnung basiert auf einem Konzept, das Microsoft aufgegeben hat: einer Elektronenfalle aus hochreinen Galliumarsenid-Kristallen.

Es wäre mehr als peinlich, könnte Willetts kleine Gruppe dem Giganten Microsoft den Beweis wegschnappen, dass die so lange verfolgte Idee realisierbar ist. Fände Microsoft einen praktischen Weg zum Quantencomputer, wäre das überraschend. Für die Bell Labs, mittlerweile im Besitz eines Unternehmens, das nicht einmal aus der Computerbranche kommt, wäre es geradezu sensationell. Entsprechend empfindlich reagieren Microsoft-Forscher auf Willetts Nachweis. Projektmitarbeiter Charlie Marcus lästert, der Bell-Labs-Wissenschaftler sehe "Signale, die wir nicht sehen". Willett kontert, Marcus und andere hätten ihre Aufbauten zu groß gemacht und verwendeten Kristalle mit zu unterschiedlichen Eigenschaften. Er habe diese Annahme kürzlich bestätigt, indem er Experimente nach den Spezifikationen anderer Forscher aufbaute. "Seit ich mit ihren Materialien gearbeitet habe, verstehe ich, warum sie aufgeben – es ist ein Trauerspiel", sagt er.

Wer also macht das Rennen? Die Antwort steht nach wie vor im Raum. Mehr noch: Selbst mit den jüngsten Fortschritten bleibt der Quantencomputer weiter in einer Art geheimnisvollen Überlagerungszustand: halb real mit dem Potenzial, die Welt zu verändern, halb wissenschaftlicher Traum. Wissenschaftler wie Frank Wilhelm-Mauch schreckt das nicht. "Ich bin ein nichtgläubiger Optimist", sagt der Physiker. "Fast zehn Jahre haben die Kollegen gebraucht, um einzelne supraleitende Qubits herzustellen und zu kontrollieren. Und seit 2009 sehen wir enorme Fortschritte auf diesem Gebiet. Es gibt keinen Grund, warum es nicht funktionieren sollte." (wst)