Autonome Drohnen und KI-Waffen im Ukraine-Krieg

Seite 3: Drohnen für die Ukraine

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Das ukrainische Militär hat seit 2019 insgesamt 20 Kampf- und Aufklärungsdrohnen vom Typ Bayraktar TB2. Zum Einsatz kamen sie erstmals im Oktober 2021 bei Kämpfen in der Ostukraine. Das türkische Drohnenmodell mit 12 Metern Spannweite kommt zwar nur 150 Kilometer weit, kann aber bis zu 27 Stunden in der Luft bleiben. Laut Hersteller Kale-Baykar lasse es sich mit bis zu vier "lasergelenkten intelligenten Sprengköpfen" bestücken."Intelligent" meint dabei, dass die Sprengköpfe ihre Ziele ohne direkte menschliche Kontrolle autonom verfolgen.

Anfang März schaffte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov weitere TB2-Drohnen an. Der Verkaufspreis soll sich auf 5 Millionen US-Dollar pro Stück belaufen, bei von Analysten geschätzten Herstellungskosten von 1 bis 2 Millionen Dollar pro Drohne. Ismail Demir, Chef der türkischen Defence Industry Presidency (SSB), pries vor allem die geringen Kosten der Drohne gegenüber Konkurrenzprodukten an.

Laut Werbevideo des türkischen Herstellers Baykar Technologies wurde die Kampfdrohne Bayraktar TB2 bereits in 13 Länder verkauft.

(Bild: Baykar Technologies)

Allerdings widersprechen ukrainische und russische Medien einander, wie groß der Einfluss des türkischen "Verkaufsschlagers" auf den Kriegsverlauf in der Ukraine ist: Ukrainische Videos in sozialen Medien zeigten russische Panzer und Luftabwehrsysteme, die angeblich von TB2-Drohnen zerstört wurden. Russische Nachrichten berichteten wiederum von erfolgreich abgeschossenen TB2-Drohnen. Sie seien ein einfaches Ziel für russische Luftabwehrsysteme vom Typ Pantsir. Jüngste Berichte in sozialen Medien lassen jedoch Zweifel aufkommen, inwieweit das russische Equipment einsatzbereit ist: So soll ein verlassenes Pantsir-System von ukrainischen Bürgern in der Region Mykolajiw niedergebrannt worden sein.

Hinzukommen sollen auf ukrainischer Seite bald auch Kamikaze-Drohnen. US-Präsident Biden hat der Ukraine Mitte März die Lieferung von 100 Switchblade-Drohnen des US-Herstellers AeroVironment zugesichert. Der kleine Typ Switchblade 300 wiegt nur 2,5 Kilogramm und kann mit einer Flugzeit von 15 Minuten bis zu 10 Kilometer entfernte Ziele angreifen. Die Switchblade 600 ist wesentlich größer: Sie wiegt über 50 Kilogramm und kann mit einem panzerbrechenden Sprengkopf und einer Flugzeit von 40 Minuten Ziele in 40 Kilometern Entfernung zerstören. Gesteuert werden sie von einem Soldaten am Boden per Laptop. Beide Modelle können Ziele auch autonom erfassen und verfolgen, sodass der Bediener nur noch den Angriff bestätigen muss.

Die USA liefern der Ukraine Kamikaze-Drohnen vom Typ Switchblade. Laut Hersteller AeroVironment wählt der Pilot am Boden seine Ziele per Touchscreen wie in einem Videospiel aus.

(Bild: AeroVironment)

Neben den genannten militärischen Systemen setzen Russland und die Ukraine Berichten zufolge auch günstige zivile Drohnen vom chinesischen Marktführer DJI ein. Diese Videodrohnen sind von Haus aus mit Kameras bestückt, sodass sie zur Aufklärung eingesetzt werden können. Allein eine finnische Privatinitiative schickte etwa 140 Minidrohnen zur Unterstützung an die Ukraine. Ihre Position und die ihrer Piloten am Boden lassen sich jedoch mit Scannersystemen AeroScape von DJI im Umkreis von bis zu 50 Kilometern orten, was sie zu leichten Zielen des Gegners macht.

Unabhängig von tatsächlichen Erfolgen oder Misserfolgen spielen allein Bilder und Meldungen über den Einsatz angeblich "hochpräziser" KI-Systeme und autonomer Waffen eine wichtige Rolle im Informationskrieg. Ihre Wirkung bestimmen nicht zuletzt Algorithmen der Social-Media-Plattformen. Sie entscheiden über die Verbreitung und Priorisierung von Videos, die Drohnenangriffe oder -abschüsse zeigen. Letztere sind fester Bestandteil der Informations-Kriegskampagne aufseiten der Ukraine.

US-amerikanische Kamikaze-Drohnen vom Typ Switchblade 300 lassen sich in einem Rucksack transportieren und klappen ihre Flügel erst nach dem Abschuss aus einem kleinen Rohr aus.

(Bild: AeroVironment)

Auf der anderen Seite versuchen russische Regierungsquellen, einen technologisch fortschrittlichen Militäreinsatz zu suggerieren, indem sie auf ihrer Seite von "Hochpräzisionswaffen" sprechen. Angesichts der Einsätze von Streumunition und Brandbomben sowie der steigenden Zahl ziviler Opfer ist diese Darstellung allerdings nicht haltbar.

Es bleibt abzuwarten, wie sich der Einsatz von Waffensystemen mit KI im Ukraine-Krieg weiterentwickelt. Die ersten Wochen zeigen allerdings, dass auf beiden Seiten bisher lediglich Drohnen mit eingeschränkten autonomen Fähigkeiten eine nennenswerte Rolle spielen.

Quellen zu Drohnen-Einsätzen

Westliche Sanktionen treffen die russische Wirtschaft hart und beschränken den Import etwa von Halbleitern. Deshalb ist es derzeit unwahrscheinlich, dass die russische Führung ihren Anspruch bei KI-gestützten Waffensystemen in absehbarer Zeit verwirklichen und einen Rüstungswettlauf in Gang setzen kann. Nichtsdestotrotz stellen militärische Drohnen aufgrund ihrer niedrigen Fertigungskosten und schwierigen Abwehr eine große Herausforderung für künftige Verteidigungskonzepte dar.

Für diese Analyse wurden über 40 internationale Quellen ausgewertet. Aufgrund von Netzsperren in Russland und Europa können einige der Webseiten womöglich nicht mehr abrufbar sein.

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(hag)