Banken als Infrastruktur-Betreiber

Seit der Finanzkrise wird die Bankenbranche genauer beobachtet, kann aber weiterhin relativ frei ihren Geschäften nachgehen. Ein US-Regulierungsexperte fordert jetzt einen radikal anderen Umgang mit ihnen.

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Von
  • Sascha Mattke
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Durch die weltweite Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 hat die Bankenbranche massiv an Ansehen verloren, doch wirklich passiert ist ihr wenig – zwar gab es eine Reihe von empfindlichen Geldbußen und einige Institute wurden abgewickelt oder billig übernommen, doch niemand musste wegen betrügerischer Aktivitäten ins Gefängnis. Und nach einer kleinen Delle wächst der Finanzsektor inzwischen wieder schneller als die Gesamtwirtschaft.

Neu allerdings ist, dass diese Entwicklung auch in Fachkreisen kritisch gesehen wird. Von Morgan Ricks, Professor an der Vanderbilt Law School sowie ehemaliger Investmentbanker und Regierungsberater, kommt jetzt gar ein Frontalangriff auf die Banken: Sie sollten so strengen Regeln und Preiskontrollen unterworfen sein wie andere Infrastruktur-Betreiber, schreibt er in einem aktuellen Fachaufsatz. Alternativ könne der Staat die Basis-Dienstleistungen der Branche auch gleich selbst anbieten.

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Wenn Banken Kredite vergeben, müssen sie nichts weiter tun, als die verliehene Summe auf dem Konto des Schuldners gutzuschreiben. Sie schöpfen also neues Geld. Genau dieser Aspekt habe im 19. Jahrhundert den Umgang mit der Branche noch dominiert, schreibt Ricks. Damals war diese Funktion auch offensichtlicher, denn Banken gaben ganz wörtlich Papiergeld in Form von Banknoten heraus, das einen Anspruch gegen sie begründete.

Mit dem Übergang zu Buchgeld aber – also Geld, das im Prinzip nur als Eintrag in Datenbanken existiert – geriet die Geldschöpfung in den Hintergrund und ist laut Ricks einen neuen Paradigma gewichen: In den Jahrzehnten bis zur Finanzkrise wurden Banken zunehmend nur als Intermediäre angesehen, die Einlagen vom einen Kunden entgegennehmen und sie dann an einen anderen verleihen. Anders als die Geldschöpfung kann man das als einen rein privatwirtschaftlichen Vorgang verstehen, der ohne Eingriffe des Staates ablaufen kann. Tatsächlich, so Ricks, würden Banken in wichtigen modernen Finanztheorien "als reine Intermediäre modelliert". Die Folge war immer mehr Deregulierung.

Diesen Trend möchte der Regulierungsexperte jetzt einschneidend umgekehrt sehen. Denn das Ignorieren des Geldschöpfungsaspekts sei schlicht sachlich falsch, und wenn man ihn wieder berücksichtige, werde schnell klar, dass Banken eine im Kern staatliche Aufgabe übernehmen: Auf der Grundlage ihres Rechts zur Buchgeld-Schöpfung betreiben sie die modernen Systeme für die Abwicklung des elektronischen Zahlungsverkehrs. Weil von dessen reibungslosen Funktionieren die gesamte Gesellschaft profitiert, handele es sich dabei um ein öffentliches Gut – und hier müsse nicht Regulierung gerechtfertigt werden, sondern der Verzicht darauf.

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Im Grunde möchte Ricks das Anbieten von Girokonten deshalb wie eine klassische Versorger-Dienstleistung behandelt sehen. Der logische Ausgangspunkt dafür sei eine Bereitstellung direkt durch den Staat. Wenn die Privatwirtschaft das effizienter leisten kann, soll sie das tun – aber eben unter den entsprechenden Rahmenbedingungen. So sind Post-Dienste traditionell verpflichtet, ein ganzes Land zum selben Porto zu beliefern, auch wenn die Bewohner der leicht zu erreichenden Städte dann die Versorgung von ländlichen Gegenden subventionieren. Und auch die Belieferung mit Strom oder Gas darf nicht einfach verwehrt oder nach Belieben verteuert werden.

Ähnlich sollte laut Ricks ein staatlicher Zins für einfache Kontoguthaben festgelegt werden – was nebenbei den positiven Effekt hätte, dass die Geldpolitik ohne Umweg über die Geschäftspolitik privater Banken direkt auf die Wirtschaft wirken kann. Soweit die Konten nicht gleich bei einer staatlichen Institution geführt werden, sollten Banken für das Privileg bezahlen, weiterhin quasi aus dem Nichts Geld entstehen zu lassen: entweder über eine Einmal-Summe wie bei Mobilfunk-Lizenzen oder in einer laufenden Abgabe, deren Höhe sich nach der Differenz zwischen dem staatlich festgelegten Einlagenzins und dem Zins bemisst, der von der jeweiligen Bank am Kapitalmarkt zu bezahlen wäre.

"Wenn man das Geld-Paradigma ernst nimmt, zeigen sich institutionelle Alternativen, die ansonsten verborgen bleiben. Es bringt die Chance auf ein rationalisiertes, vereinfachtes, transparentes und effizienteres institutionelles Umfeld für die Geldpolitik", fasst Ricks zusammen.

Soweit die Theorie. In der Praxis aber müssen unterprivilegierte Amerikaner weiterhin damit rechnen, eine Kontoeröffnung verweigert zu bekommen, so dass sie auf teurere Prepaid-Kartendienste mit Zahlfunktion ausweichen müssen. In der EU wurde 2014 eine Zahlungskonten-Richtlinie beschlossen, die seit 2016 in deutsches Recht umgesetzt ist und Banken verpflichtet, für so gut wie jeden Interessenten ein Konto auf Guthaben-Basis einzurichten. An dem kostenlosen Geldschöpfungsprivileg der Branche wurde damit aber nicht gerüttelt.

Ob sich das ändern wird? Zumindest in der akademischen Forschung mehren sich die Stimmen, die ähnlich wie Ricks eine Verstaatlichung oder konsequentere Regulierung des Geschäfts mit Kundeneinlagen fordern. Im vergangenen März erwähnte selbst ein Vize-Gouverneur der Bank of England die Idee von Zentralbankkonten für jeden Bürger auf Blockchain-Basis, ohne sich allerdings klar dafür auszusprechen. Statt mehr oder weniger nach Belieben ihr eigenes Geld zu schöpfen, wären private Banken dann wirklich auf die Rolle als Intermediäre beschränkt.

(sma)