Benefiz-Gamestreams für den guten Zweck

Zombies platt machen und noch mehr Gutes tun: Mit Online-Spendenaktionen sammelt die Generation Twitch erhebliche Summen für wohltätige Zwecke ein.

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Albert Hulm

(Bild: Bils: Albert Hulm)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Sonja Wild
Inhaltsverzeichnis
c't kompakt

  • Benefiz-Livestreams spielen beachtliche Beträge für gute Zwecke ein.
  • Für wohltätige Organisationen machen auch kleine Beträge einen Unterschied.
  • Ein Verein oder eine gemeinnützige Organisation wie Betterplace.org sichern alle Beteiligten ab.

An einem Herbstabend 2016 versammeln sich zehn Game-Streamer vor ihren Computern und treten in zwei Teams im Horror-Survival-Game "7 Days to Die" in einer postapokalyptischen Welt gegen Zombies und gegeneinander an. Ums Gewinnen geht es bei dem Turnier jedoch nur am Rande: Gewinnen sollen vor allem die Kinder, für die Zuschauer während des Streams spenden können. Beim Publikum kam die Benefizaktion zugunsten einer Elterninitiative krebskranker Kinder dermaßen gut an, dass aus "7 Days to Charity" eine regelmäßige Veranstaltung wurde, die inzwischen deutlich größer ist und am 10. September zum sechsten Mal stattfindet.

Die Aktion ist Teil einer stetig wachsenden Szene an Benefiz-Gaming-Streams – das Spektrum reicht von winzig bis ganz groß, die Spendensummen von dreistellig bis in die Millionen. Da solche Spendenaktionen für Streamer allerdings auch ihre Tücken haben, gibt es Vereine und Unternehmen, die Unterstützung leisten.

Zugegeben, es klingt komisch: Sich Zombies entgegen zu stellen ist an sich schon lobenswert, und dabei noch mehr Gutes tun? Doch der Blick auf die Demografie zeigt, dass Games und Wohltätigkeit gut zusammenpassen: Laut aktuellen Daten des Branchenverbandes game e. V. liegt das Durchschnittsalter von Gamern mittlerweile bei 37,6 Jahren. 2021 verfolgten zudem rund sieben Millionen Menschen in Deutschland Gaming-Livestreams, ein knappes Drittel davon mehrmals die Woche. Wohltätige Streaming-Events sprechen also ein breites Publikum an, darunter viele Menschen, die mitten im Berufsleben stehen, gut verdienen und offen dafür sind, ihr Hobby mit einer Spende für einen guten Zweck zu verbinden.

Im internationalen Raum lässt sich das schon lange beobachten: Bei den größten Veranstaltungen kommen regelmäßig Millionenbeträge zustande, mit nach wie vor steigender Tendenz. Den aktuellen Weltrekord an Spenden bei einer Streaming-Veranstaltung stellte im Herbst 2021 das französische "Z Event" mit einer Summe von mehr als zehn Millionen Euro für "Action Against Hunger" auf. Die Franzosen brachen damit den eigenen Rekord aus dem Vorjahr, in dem mit 5,7 Millionen etwas mehr als die Hälfte erzielt wurde.

Auch die seit 2010 existierende amerikanische "Games Done Quick"-Reihe, bei der Speedrunner über mehrere Tage versuchen, Spiele live so schnell wie möglich durchzuspielen, sammelte 2022 mit über 3,4 Millionen US-Dollar (etwa 3,3 Millionen Euro) an Spenden für die "Prevent Cancer Foundation" so viel ein wie nie zuvor.

Vergleichbare Dimensionen erreichen Spendenaktionen im deutschen Raum zwar noch nicht, verstecken muss sich die Szene hierzulande aber keineswegs. Der gemeinnützige Verein Letsplay4Charity e. V. beispielsweise unterstützt Streamer dabei, Spendenaktionen zu organisieren und führt selbst Benefiz-Livestreams durch, zum Beispiel auf den Bühnen großer Branchenveranstaltungen wie der Gamescom oder dem Indie Game Fest. 2021 etwa sammelte der Verein auf der pandemiebedingt nur online durchgeführten Gamescom 16.000 Euro für die Opfer der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal ein.

Große Freude nach der fünften Ausgabe von 7 Days to Charity 2020: Mehr als 30.000 Euro wurden bis zum Ende des Streams gespendet.

Das größte regelmäßige Spenden-Event im deutschsprachigen Raum, das ohne die feste Struktur eines Vereins arbeitet, ist "Friendly Fire". Es wird seit 2015 auf den Kanälen der prominenten Streamer Gronkh und PietSmiet gehostet und sammelte 2021 knapp unter zwei Millionen Euro durch Spenden und den Verkauf von Merchandise. Zugute kommt das Geld einer jährlich wechselnden Auswahl wohltätiger Organisationen mit großer thematischer Breite, von Obdachlosenhilfe über Antirassismus-Vereine und Seenotrettung bis hin zu Klima- und Tierschutz.

Auch der bekannte YouTuber LeFloid veranstaltet mit "Loot für die Welt" eine regelmäßige Spendenaktion. Bei der letzten regulären Ausgabe 2021 kam inklusive der Einnahmen aus dem Merchandise-Shop mehr als eine halbe Million Euro zusammen, die an vier Organisationen verteilt wurde.

Bekannte Persönlichkeiten wie Gronkh oder LeFloid mit ihrem Millionenpublikum erzeugen erwartungsgemäß viel Aufmerksamkeit. Doch auch ein paar Nummern kleiner entfalten Spendenaktionen auf Twitch oft eine beeindruckende Wirkung. Das eingangs genannte "7 Days to Charity" ist dafür ein gutes Beispiel.

Die Geburtsstunde der Aktion hat einen ganz persönlichen Hintergrund: Die Tochter des Initiators, der online unter dem Namen "Schnitzel Gameplays" unterwegs ist, erkrankte 2010 an Leukämie. Ihr Vater suchte 2016 nach einem Weg, sich bei einer Elterninitiative zu bedanken, die seiner Tochter und der Familie während und nach der Behandlung beigestanden hatte.

Anstelle des klassischen Fußballturniers oder eines Spendenaufrufs in den sozialen Medien lag für den leidenschaftlichen Computerspieler und YouTuber eine andere Idee näher: Er wollte mit einem Benefiz-Stream auf Twitch Spenden sammeln. Gespielt werden sollte dabei sein Lieblingstitel, das Horror-Survival-Game "7 Days to Die", das auch gleich den Namen für das Event lieferte: "7 Days to Charity" war geboren.

7 Days to Charity 6

Am 10. September 2022 findet die sechste Auflage des Benefiz-Livestreams "7 Days to Charity" statt. 16 Streamer spielen dabei ab 19 Uhr in Viererteams das Zombie-Survival-Spiel "7 Days to Die" auf einer eigens für die Aktion entworfenen Karte und übertragen den Stream auf ihren Twitch-Kanälen. Zuschauer können während des Streams spenden, ihre Spendenbeiträge und persönlichen Botschaften werden live eingeblendet. Die Einnahmen gehen diesmal an den Förderkreis Bonn e. V., der sich für an Krebs erkrankte Kinder und deren Familien engagiert. Infos zur Aktion und den teilnehmenden Streamern gibt es auf der event-Webseite.

Zehn Streamer erklärten sich bereit, bei der Aktion mitzumachen. Die Erwartungshaltung war bescheiden: "Wir dachten damals, es wäre schön, wenn da vielleicht 300 Euro zusammenkommen", erinnert sich Jens D., der unter dem Namen DerValiser auf Twitch streamt und seit 2016 an "7 Days to Charity" beteiligt ist. Mittlerweile ist er einer der zwei hauptverantwortlichen Organisatoren. "Wenn das nichts geworden wäre, hätte eben jeder von uns Streamern zehn Euro gespendet," meint Jens D. heute. Doch es kam anders:

Schon zehn Minuten nach Beginn des Streams waren 1000 Euro an Spenden eingegangen. Im November 2016 konnten die Veranstalter über 5000 Euro an die Elterninitiative krebskranker Kinder Erlangen e. V. überreichen. Damit sollte die Geschichte eigentlich auserzählt sein – doch die Community hatte andere Pläne: Es gingen so viele Anfragen nach der nächsten Aktion ein, dass im Herbst 2017 ein zweites 7-Days-to-Charity-Event stattfand, bei dem erneut für eine Initiative für krebskranke Kinder gesammelt wurde, diesmal in Würzburg. Das Ergebnis übertraf mit 7500 Euro die Summe der ersten Ausgabe locker – ein deutliches Zeichen, wie engagiert die Twitch-Community die gute Sache unterstützt.

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Seither hat sich das Event etabliert und findet jeden Herbst statt, lediglich 2021 setzten die Veranstalter für ein Jahr aus. Mit jeder Ausgabe stieg das Spendenaufkommen, der bisherige Höchststand wurde 2020 mit 35.000 Euro erreicht. "Wir erwarten natürlich nicht, dass das immer so weitergeht", sagt Jens D. "Gerade jetzt, wo viele unter den Folgen der Pandemie und der Inflation leiden, sind wir da realistisch. Aber das muss es auch gar nicht, wir sind dankbar für jeden Euro, der gespendet wird."

2018 hatte sich der Gründer der Aktion aus der Organisation des Events zurückgezogen und den Stab an Jens D. und einen weiteren Streamer übergeben. Seit einiger Zeit bilden Jens D. und Marco E. alias Mucianer, der zuvor bereits für die Videoproduktion verantwortlich war, das Organisationsteam.

Die Videos sind ein wichtiger Bestandteil von 7 Days to Charity: Neben Trailern und Best-Of-Zusammenschnitten entsteht nach jeder Ausgabe ein aufwendiges Übergabevideo, in dem die begünstigte Initiative vor Ort besucht und vorgestellt wird, außerdem wird dabei der obligatorische große Scheck überreicht. "Uns ist wichtig, dass die Community sieht, was mit ihrem Geld passiert, wer es bekommt und wofür es verwendet wird", erklärt Jens D.

Er spricht damit ein wichtiges Thema an: Damit das Publikum bereit ist, Geld zu spenden, muss es Vertrauen in die Veranstalter und die Aktion haben. Das setzt voraus, dass alles transparent und seriös abläuft. Und auch für die Streamer selbst lauern, sobald Geld im Spiel ist, rechtliche und steuerliche Fallstricke, die es zu vermeiden gilt.

Nach dem vierten "7 Days to Charity" konnten Jens D. (DerValiser, links) und Günter M. (Asrac_TV, rechts) im Herbst 2019 ganze 30.000 Euro an Andrea Grimme und Kai Leimig (2. v. r.) vom Förderverein für Tumor- und Leukämiekranke Kinder Mainz e. V. übergeben.

(Bild: 7 Days to Charity / Mucianer)

Eine Möglichkeit, vertrauenswürdig aufzutreten und sich abzusichern, ist die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, wie es etwa Letsplay4Charity getan hat. Die Vereinsstruktur dient dabei als Nachweis für Seriosität, der Verein kann ohne Probleme Spendenbescheinigungen ausstellen.

Einen Verein zu gründen, ist allerdings mit viel Aufwand verbunden. Für kleinere Gruppen lohnt sich das nicht unbedingt. Die Gründer von "7 Days to Charity" bleiben daher lieber lose organisiert und setzen auf die gemeinnützige Online-Spenden-Plattform Betterplace.org. Sie hat Streamer als wichtige Zielgruppe für ihre Arbeit identifiziert und bietet ihnen Dienstleistungen wie die komplette Abwicklung der Spendengelder bis hin zum automatischen Versand von Spendenbescheinigungen.

Für die Organisatoren bedeutet das nicht nur weniger Aufwand, sondern auch Rechtssicherheit, da das gespendete Geld gar nicht durch ihre Hände geht. Spender und begünstigte Organisationen wiederum können sicher sein, dass die Aktion seriös ist und das Geld da ankommt, wo es ankommen soll.

Nicht nur Einzelstreamer oder kleinere Gruppen nutzen die Plattform daher für ihre Spendenkampagnen, auch Platzhirsch "Friendly Fire" oder die Streamer von "Loot für die Welt" organisieren ihre teils millionenschweren Spenden-Events über Betterplace.org. Die Plattform öffnet zudem von Zeit zu Zeit Aktionen einzelner Streamer für andere, denen man sich dann leicht einfach anschließen kann. Derzeit ist das etwa eine Kampagne zugunsten von Hilfsorganisationen in der Ukraine.

Charity-Websites:

Betterplace.org wickelt nicht nur das Finanzielle ab, sondern unterstützt die Streamer auch technisch. So bietet das Unternehmen beispielsweise Overlays, die während des Livestreams fast in Echtzeit auf eingehende Spenden aufmerksam machen. Auf Wunsch hostet Betterplace.org eine eigene Website für die Benefizaktion. Der Webdienst verfügt zudem über ein offenes API, sodass programmierkundige Streamer die Services individualisieren und erweitern können.

Wie das aussehen kann, zeigen die Organisatoren von "7 Days to Charity": Die während der Streams eingehenden Spenden und Grußbotschaften der Spender werden hier nicht nur live eingeblendet, sondern von einer Computerstimme vorgelesen. Ein kleines, selbstprogrammiertes Feature, das dazu geführt hat, dass die Spender ihre Botschaften oft mit viel Liebe verfassen und auch mal Selbstgereimtes in den Stream schicken.

Die gemeinnützige Online-Spenden-Plattform Betterplace.org wirbt mit einem zielgerichteten Angebot offensiv um Streamer.

Betterplace.org ist eine gemeinnützige Aktiengesellschaft, die keine Profite erwirtschaften darf. Außer einem Abschlag von 2,5 Prozent des Spendenbetrags für die Transaktion, die etwa die Kosten der Zahlungsanbieter decken, ist der Service der Plattform deshalb kostenlos. Voraussetzung ist allerdings, dass die begünstigten Organisationen bei Betterplace.org registriert sind. Bei vielen ist das zwar mittlerweile der Fall, aber gerade kleinere Vereine oder Einrichtungen, deren Verantwortliche nicht besonders internetaffin sind, sind damit nicht immer vertraut.

Gaming-Livestreams sind ein globales Medium, das Millionen Menschen erreicht. Darunter sind viele, die gut verdienen und etwas zurückgeben wollen, indem sie soziale Zwecke unterstützen. Twitch & Co. sind daher für Online-Spendenaktionen wie gemacht, wie die große Resonanz auf viele Benefiz-Streams zeigt. Dabei muss sich niemand von den Millionenerträgen der ganz großen Events einschüchtern lassen: Auch kleine Aktionen zeigen oft erstaunliche Wirkung und es gibt eine riesige Zahl unterstützenswerter Organisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, für die selbst Kleinbeträge einen großen Unterschied machen.

Um die eigene Streaming-Aktion zum Erfolg zu machen, sollten man allerdings ein paar wichtige Dinge beachten: Online-Spendenaktionen müssen transparent und seriös organisiert sein. Ohne das Vertrauen der Community ist auch die bestgemeinte Aktion zum Scheitern verurteilt. Nicht zuletzt drohen den Organisatoren im schlimmsten Fall steuerrechtliche Konsequenzen, wenn nicht sauber gearbeitet wird – und damit ist niemandem geholfen. Um auf der sicheren Seite zu sein, können Vereine wie Letsplay4Charity oder Plattformen wie Betterplace.org Informationen und Unterstützung liefern.

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