Big Tech in der Bredouille: Geht es den großen IT-Konzernen an den Kragen?

Alphabet, Apple, Meta, Amazon und Microsoft: Die wertvollsten Technologiekonzerne der Welt haben drastische Bewertungskorrekturen erfahren. Eine Analyse.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 137 Kommentare lesen
Kumamoto,,Japan,-,May,29,2020,:,Gafam,Apps,On

(Bild: Koshiro K / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Nils Jacobsen
Inhaltsverzeichnis

Der Titelseiten-Kontraindikator lag wieder einmal richtig: Ende August 2021 war es, als das renommierte US-Wirtschaftsmagazin "Barron’s" den "unaufhaltsamen Aufstieg von Big Tech" feierte. "Amerikas Tech-Giganten sind von allen Seiten unter Druck, aber ihre Perspektiven sind besser denn je", titelte das zum Dow Jones Verlag gehörende Wirtschaftsmedium.

Wie so oft hat die prominente Platzierung auf einem Magazin-Cover das exakte Gegenteil ausgedrückt. Nur wenige Monate später sollte das Big-Tech-Quintett, bestehend aus Apple, Alphabet, Amazon, Microsoft und Meta, seine vorläufigen Höchstkurse an der Wall Street markieren. Der Rest ist jüngere Börsengeschichte: 2022 stürzten die Kurse der sogenannten GAFAM-Konzerne (den vormaligen Unternehmensnamen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft entsprechend) an der Technologiebörse Nasdaq ab – zunächst mit dem Gesamtmarkt, nach der jüngsten Quartalssaison jedoch mit regelrecht dramatischer Eigendynamik. Fünf Billionen US-Dollar an Börsenwert haben die fünf Big Techs und Tesla zusammengenommen inzwischen von ihren Allzeithochs verloren – den Löwenanteil davon in diesem Jahr.

Der plötzliche Börsenkollaps der wertvollsten Konzerne der Welt beendet die beeindruckendste Phase der Wertschöpfung, die die Tech- und Internetindustrie jemals erlebt hat. In der Spitze 11 Billionen US-Dollar waren die GAFAM und Tesla einmal wert, jetzt sind es noch rund 6 Billionen US-Dollar.

Wie ist der dramatische Absturz zu erklären? Zunächst einmal mit dem gesamtwirtschaftlichen Umfeld, das für Tech-Unternehmen eine besondere Herausforderung darstellt. Die Gemengelage aus hoher Inflation, einem starken Dollar, zuletzt drastisch steigenden Leitzinsen und einer möglicherweise aufziehenden Rezession ist für die Technologiekonzerne die schlechteste aller Welten. Die Tech-Pioniere aus dem Silicon Valley und Seattle stehen vor einem Dilemma: Entweder der starke Dollar verteuert den Verkauf der amerikanischen Hightech-Produkte im Rest der Welt oder Apple & Co. wären bereit, geringere Margen zu akzeptieren.

Die Folgen waren in den jüngsten Quartalsbilanzen zu besichtigen, in denen Big Tech auffallend blass blieb. Immer wieder fiel der Hinweis, dass die Nettogewinne in "Constant Currency", also der heimischen Währung, um einige Prozent höher ausgefallen wären. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig spielt die trabende Inflation eine schleichende Rolle: Wenn die Einkaufsrechnung jeden Monat ein neues Loch in das Haushaltsbudget reißt, mag mancher Verbraucher den Kauf von Consumer-Tech-Produkten oder E-Commerce-Shopping zurückstellen.

Selbst Apple, das mit einer sehr soliden Quartalsbilanz aus dem Big Tech-Quintett wieder einmal herausgestrahlt hatte, spürt die neuen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Umsätze legten nur noch einstellig zu, während der Nettogewinn nur noch marginal, nämlich um weniger als ein Prozent, gesteigert werden konnte. Die anderen GAFAM-Giganten mussten gerade krachende Gewinnrückgänge eingestehen. Bei Microsoft erodierte der Nettogewinn um 14 Prozent, bei Alphabet um 26 Prozent, während sich die Konzerngewinne bei Meta gar mehr als halbierten. Bei Amazon wiederum schockierte ein deutlich schwächerer Umsatzausblick auf das so wichtige Weihnachtsgeschäft.

Der konjunkturelle Abschwung ist auch bei den erfolgsverwöhnten Big-Tech-Konzernen angekommen. Doch das Ausmaß der Verwerfungen am Kapitalmarkt überrascht. In der Folge auf die vorgelegten Quartalsbilanzen verzeichneten alle fünf GAFAM bis heute Kursverluste – Alphabet, Amazon und vor allem Meta sogar zweistellig. Fast eine Billion US-Dollar ging allein in einer Woche im November dieses Jahres an Börsenwert verloren.

Der steile Fall der Tech-Titanen hat bei einigen Marktbeobachtern Endzeitgedanken ausgelöst. Nach der immensen Wertanhäufung während des Lockdowns fürchten Anleger, dass die Zeiten für die Unternehmen nie wieder so gut sein würden, schreibt etwa der britische Guardian. Vor allem die jüngst deutlich schlechtere Performance als der Gesamtmarkt spricht für zunehmende Skepsis gegenüber den langjährigen Börsenstars, mit denen Anleger in der vergangenen Dekade Kurszuwächse von 1000 Prozent und mehr hätten einfahren können.

Die Gründe dafür sind neben dem schwierigen makroökonomischen Umfeld durchaus hausgemacht. So ebbt das Wachstum auch ab, weil fast alle großen Umsatztreiber der Big Techs in den vergangenen Jahren ihre Marktreife erreicht haben: Das iPhone ist bereits 15 Jahre alt, Facebook ist auch schon über 18 Jahre alt, Instagram und WhatsApp sind bereits seit 12 beziehungsweise 13 Jahren im Markt. Die Google-Suche kann seit 24 Jahren genutzt werden, Tochterkonzern YouTube zählt 16 Jahre. Amazons E-Commerce-Geschäft weist 28 Jahre auf, die Cloudsparte AWS 16 Jahre, Microsofts Cloud-Juwel Azure 12 Jahre, während MS Office dagegen schon 33 Jahre genutzt wird.


Gleichzeitig reichten die Innovationen der letzten Jahre nicht an den Erfolg der Vorgänger-Hitprodukte heran. Mit dem iPad oder der Apple Watch konnte Apple nicht annähernd ein ähnliches Umsatzniveau erreichen wie mit dem iPhone. Bei der GAFAM-Konkurrenz ging unterdessen auch mal richtig etwas daneben: Google und Microsoft haben versucht, mit den Pixel-Smartphones und Surface-Tablets und -Laptops Apple mit den iPads und MacBooks Konkurrenz zu machen. Die Hardware rangiert in den Unternehmensbilanzen eher unter ferner liefen.

Auch Apples mutmaßliche Augmented Reality-Brille wird zwar sehnlichst erwartet, und durch CEO Tim Cook immer wieder mit den Andeutungen befeuert, wann sie kommt, ist aber völlig unklar. "iGlass" – oder wie das nächste "One more Thing" aus Cupertino heißen mag – verschiebt sich von Jahr zu Jahr.

Ein mutmaßliches "iCar", auf das die Fangemeinde des Kultkonzerns seit vielen Jahren hofft, dürfte indes erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts präsentiert werden. Damit erscheint das nächste große Projekt ähnlich weit entfernt wie die tatsächliche Nutzung von Googles selbstfahrendem Auto aus der Waymo-Unit oder Metas Metaverse, auf das CEO Mark Zuckerberg die Zukunft des Facebook-Konzerns zu verwetten scheint.

Entsprechend symbolisiert nichts die neue Ungeduld der Big-Tech-Anleger so sehr wie der Meta-Absturz von in der Spitze 75 Prozent. Mit Ausnahme von Apple direkt nach der Millenniumswende hat kein Big-Tech-Konzern in den letzten zwei Jahrzehnten eine solche längerfristige Wertvernichtung erfahren. Aber auch die Kurse von Amazon und Google-Mutter Alphabet haben sich 2022 fast halbiert. Lediglich in der großen Finanzkrise 2008/2009 haben Apple, Google und Amazon seinerzeit prozentual ähnlich an Wert verloren – allerdings kurzfristig.

Dabei greifen die alten Reflexe aus jener Krisenära. Wie vor 13 Jahren reagieren die großen Technologieunternehmen nach Jahren eines wahren Einstellungsrauschs nun mit einem Einstellungsstopp und sogar ersten Kündigungen. Viele Mitarbeiter dürften nach einer Dekade in der besten aller Welten nunmehr mit einer unbekannten neuen Realität Bekanntschaft machen: Bei Twitter und Meta geht bereits das Kündigungsgespenst um.

Nach der großen Finanzkrise 2009 ließ die Erholung und die Rückkehr zum Hyperwachstum nicht lange auf sich warten – Big Tech befand sich mit dem Aufstieg des mobilen Internets und Social Media in der produktivsten Ära. Diesmal jedoch könnte sich wegen der Wachstums- und Innovationsschwäche ein anderer Vergleich aufdrängen: der zum Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende.

Auch seinerzeit hatte sich eine Führungsgruppe von Technologiekonzernen herausgebildet, die die Technologiebörse Nasdaq auf ungeahnte Höhen trieb: Microsoft, Cisco, Intel, Oracle und Dell. Nachdem der Wind an den Kapitalmärkten gedreht hatte und der Traum vom schnellen Reichtum durch das Internet geplatzt war, litten sie stark. Der Leitindex Nasdaq verlor beim Sturz von 5000 auf 1000 Punkte 80 Prozent seines Wertes; die Aktien der fünf Konzerne gaben ähnlich dramatisch nach wie aktuell.

Während Cisco und Intel bis heute den alten Hochs hinterherläuft und Dell gar zu weitaus schwächeren Kursen von der Börse genommen wurde, dauerte es bei Microsoft und Oracle 15 Jahre, bis sie die alten Hochs wieder erreichten – nämlich 2015 und 2016. Gleichzeitig übernahmen mit Apple, Google, Amazon und Meta die sogenannten "FANG"-Aktien die Marktführerschaft in der Techbranche.

Wiederholt sich Börsengeschichte, müssten sich die heutigen Big-Tech-Leader auf eine längere Durststrecke einstellen. "Die Tech-Branche war immer eine sehr zyklische Industrie, und das Pendel neigt dazu, am Gipfel und am Boden zu stark auszuschlagen", fasst das US-Nachrichtenportal Axios das drohende Big-Tech-Dilemma zusammen.

Immerhin: Alphabet, Apple und Microsoft sind heute mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) von 17 bis 23 so moderat bewertet wie seinerzeit Cisco und Microsoft am Ende des dreijährigen Bärenmarkts. Möglich also, dass den großen GAFAM nach einer Schwächephase noch einmal ein (Börsen-)Comeback gelingt, bevor in der nächsten Dekade neue Leader entstehen: Womöglich in den aufstrebenden Segmenten Künstliche Intelligenz, Augmented und Virtual Reality.

Update

Korrektur: "Billionen" statt "Milliarden" beim Börsenwert der Unternehmen. Der Fehler ist beim Übertragen entstanden, nicht durch den Autoren.

(emw)