"Binnenmarkt für Daten" soll die Verkehrsbranche besser vernetzen

Pausenlos produzieren Menschen Informationen, wenn sie unterwegs sind. Besonders sammelfreudig zeigt sich das Auto. Doch wem gehören die Daten überhaupt?

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(Bild: Illustration: MIT Technology Review)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Karsten Lemm
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"Ein modernes Auto erzeugt rund 25 Gigabyte Daten innerhalb von nur einer Stunde", berichtet der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) – Basisinformationen wie Reifendruck, Tankfüllung und Kilometerstand, die bei manchen Modellen alle paar Minuten dem Hersteller zugefunkt werden; dazu kommen Daten von Abstandsmessern, Blinkern und Bremsen, aber auch Sensoren in Sitzen, Sicherheitsgurten und im Lenkrad, die dem Auto Rückschlüse auf die Insassen erlauben.

Doch wer hat überhaupt Zugriff auf all die Daten, die vernetzte Autos sammeln? Wo fließen sie zusammen? Wo werden sie gespeichert? Wie geteilt und zu welchen Bedingungen – wenn überhaupt?

Diese Fragen werden in der Branche heftig debattiert, wie das Magazin MIT Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 5/2023 berichtet (jetzt auch im Handel erhältlich). Die Autohersteller schlagen einen eigenen Standard vor, ADAXO genannt. Er soll eine einheitliche Grundlage für Speicherung und Nutzung aller anfallenden Fahrzeugdaten bieten. Der Standard garantiere "die Datensouveränität der Kundinnen und Kunden", verspricht der VDA, und ermögliche "eine sichere und faire Nutzung der Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette".

MIT Technology Review 5/2023

Kritiker sehen in ADAXO den Versuch der Hersteller, sich den direkten Zugriff auf alle Fahrzeug-Informationen zu sichern – womöglich zum eigenen Vorteil. Bei Reparatur und Wartung zeigt sich bereits die Macht der Autobauer: "Immer mehr Fahrzeughersteller schränken den Diagnosezugang zu ihren Autos ein. Das führt zu Mehrkosten für freie Werkstätten und Verbraucher", moniert der ADAC. Die Zulieferer ATU und Carglass strengten deshalb eine Musterklage gegen Fiat an: Sie wollen vom Europäischen Gerichtshof klären lassen, ob die Hersteller ihren Vertragswerkstätten durch die Datenblockade einen wettbewerbswidrigen Vorteil gegenüber freien Reparaturbetrieben verschaffen.

Autobesitzer mögen sich verwundert fragen, ob die Informationen nicht in Wahrheit ihnen gehören, ähnlich wie der Wagen selbst. Nein, sagen Juristen, denn Eigentumsrechte könnten nur für Gegenstände geltend gemacht werden, nicht für immaterielle Güter. "Vom Begriff 'gehören' muss man sich in diesem Zusammenhang rechtlich verabschieden", sagt ADAC-Hausjurist Klaus Heimgärtner. "Es geht nur um die Frage: Wer darf berechtigt mit den Daten umgehen?"

Dazu lassen sich die Hersteller üblicherweise die Nutzungsrechte an den Daten in einer Einwilligungserklärung übertragen, ähnlich wie App-Entwickler beim Smartphone. An dieser Einwilligung komme im Grunde niemand vorbei, der ein modernes Fahrzeug fahren wolle, klagt Heimgärtner. "Das geht nach dem Motto: 'Friss oder stirb.'"

Besserung erhoffen sich Kritiker vom EU Data Act. Er soll klar regeln, dass Nutzer von vernetzten Geräten selbst bestimmen können, wer Zugriff auf die Daten hat, die sie durch den Gebrauch produzieren. Das soll etwa Reparaturen billiger machen, weil Hersteller die gesammelten Einsichten künftig teilen müssten; die EU-Kommission erwartet aber auch, dass der freie Fluss von Datenströmen neue Geschäftsmodelle ermöglichen wird.

Mit solchen Ansprüchen geht der Data Act weit über Mobilität hinaus. Der ADAC wünscht sich zusätzlich eine "sektorspezifische Regulierung" für alle Informationen, die im Straßenverkehr anfallen. "Letztlich können alle Daten wertvoll sein", sagt Heimgärtner. "Weil völlig unklar ist, welche Ideen man noch haben kann – für Dienste, die Nutzern zugutekommen, aber auch für Unfallanalysen oder andere Dinge, die für die Gesellschaft von Vorteil sein können."

Genau deshalb arbeitet die EU daran, einen "Binnenmarkt für Daten" zu schaffen. In neun Bereichen, darunter Mobilität, Energie, Industrie und Gesundheit, sollen sogenannte "Datenräume" entstehen, die den freien Austausch digitaler Informationen ermöglichen. In Deutschland laufen die Fäden für das Thema Mobilität bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) in München zusammen. "Der erste Schritt ist die Inventarisierung dieser ganzen Landschaft", erklärt Projektleiterin Lucie Kirstein. Etwa 280 Daten-Ökosysteme hat ihr Team bereits erfasst – vor allem kleine, oft noch junge Initiativen, die sich vorgenommen haben, konkrete Probleme zu lösen. "Sei es in der Logistik, in der Lieferkette oder im öffentlichen Verkehr", sagt Kirstein.

Eng mit dem Aufbau europäischer Datenräume verknüpft ist auch der Mobility Data Space (MDS). Das Projekt wird von der Bundesregierung gefördert, zählt aber auch eine Reihe privater Unternehmen zu seinen Gesellschaftern. Gedacht ist der MDS als "Datenmarktplatz" für Städte, Gemeinden, Autohersteller, Nahverkehrsbetriebe oder Energieversorger.

"Etwa 30 Prozent aller Anfahrten zu Ladesäulen sind zurzeit nicht erfolgreich", erklärt Geschäftsführer Michael Schäfer – etwa, weil sie belegt oder defekt sind. "Wenn man das verbessern will, muss man ganz viele verschiedene Beteiligte aus unterschiedlichen Branchen zusammenbringen – die auch zunächst mal unterschiedliche Interessen haben." Aber, so betont Schäfer: "Wenn sie sich zusammentun, gewinnen am Ende alle dabei."

Rund 90 Partner hat das Projekt seit dem Start im vorigen Jahr gefunden, darunter Stadtwerke und Fraunhofer-Institute, Bahn und Post, aber auch Versicherungen, TÜV Rheinland, ADAC und Mobility-Anbieter wie Bolt, Tier und Freenow. Mit BMW und Mercedes sind auch zwei Autohersteller dabei – trotz eigenem Standard ADAXO.

"ADAXO und der Mobility Data Space ergänzen sich idealerweise", erklärt Schäfer. "Wir bekommen im Rahmen von ADAXO 42 Datenpunkte von den Automobilherstellern", darunter Informationen über Verkehrsfluss und Geschwindigkeit, aber auch Informationen zum Füllstand von Tank oder Batterie. Die Bereitschaft der Hersteller, beim MDS mitzumachen, erklärt Schäfer damit, dass der Data Space lediglich als Vermittler auftritt: "Die Daten werden immer nur Peer-to-Peer ausgetauscht – die Partner behalten die volle Kontrolle", erklärt er. "Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, zwischen den handelnden Parteien ein Vertrauensverhältnis aufzubauen."

(grh)