Biotech: Wettlauf mit dem Tod

Seite 2: Der Sprung aus dem Labor in die Praxis

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Ärzte bezeichnen CRISPR deshalb bereits als Gentherapie 2.0. Einen Erbgutabschnitt Baustein um Baustein neu zu erschaffen, gelingt den Forschern noch nicht. Olson ist überzeugt, dass CRISPR bei der Muskeldystrophie Duchenne aufgrund der Löschfunktion die geeignete Methode ist. Allein mit ihr könnten theoretisch 80 Prozent der Muskeldystrophien geheilt werden. Anfang 2016 gelang es Olson tatsächlich, entsprechende Mutationen in Mäusen – dort auf dem Exon 23 – auszuschalten, indem er die dazu nötigen CRISPR-Bestandteile in die Zellen einschleuste.

"Natürlich ist eine Maus kein Junge. Aber wir denken, wir wissen genau, was wir tun müssen", sagt Olson. Wenn es funktioniert, "ist es eine Heilung, nicht nur eine Behandlung". Der Molekularbiologe schätzt, dass die erste CRISPR-Therapie für Muskeldystrophie Duchenne in zwei Jahren am Menschen getestet werden kann. Für den Anfang konzentriert sich der Mediziner auf einen Genabschnitt namens Exon 51. Entfernt man ihn, könnte das bei 13 Prozent der Patien-ten die Krankheit wenigstens verlangsamen.

Eric Olson arbeitet an einer Gentherapie für die Muskeldystrophie Duchenne.

(Bild: David Gresham)

Sind die CRISPR-modifizierten Zellen in Olsons Labor also wirklich der Beginn einer neuen medizinischen Ära? Oder sind sie nur eines dieser vielversprechenden Resultate, das es nie aus dem Labor in die Praxis schaffen wird? Einige Veteranen der Gentherapie rollen mit den Augen, wenn sie hören, was die Neulinge über die Möglichkeiten von CRISPR denken. Byoung Ryu, Experte für die Herstellung spezialisierter Viren, verweist auf die ungelösten biologischen Probleme mit dem Verfahren. "Ich bin nicht gegen CRISPR", sagt er. "In der Petrischale funktioniert es, aber wie wird es in der Realität sein?" Ryu zufolge wird die Methode künftig irgendwann zur Verfügung stehen, aber keineswegs kurzfristig.

Er warnt unter anderem vor problematischen Nebenwirkungen. Eingriffe ins Erbgut können zufällige, unerwünschte Änderungen des Genmaterials verursachen. Eine Folge kann Krebs sein. In den Nullerjahren etwa verursachten zwei frühe Gentherapieversuche bei mehreren Kindern Leukämie. Niemand hatte das vorhergesehen. Forscher versuchen, solche Nebenwirkungen mithilfe von Computerprogrammen zu ermitteln. Aber Algorithmen können nicht alles vorhersagen. Bei seinen Mausexperimenten hat Olson bisher zwar keine unerwünschten Effekte festgestellt. Er räumt allerdings ein, dass CRISPR "unbeabsichtigte DNA-Veränderungen verursachen könnte, die lebenswichtige Funktionen betreffen". Deshalb sollen nun gemeinsam mit Jerry Mendell vom Nationwide Children's Hospital in Ohio Tierversuche mit Affen folgen.

Die nächste große Herausforderung: Das Erbgut in so vielen Körperzellen sicher zu verändern, dass sich das Leiden zurückdrängen lässt. Wiederum zeigen die Erfahrungen mit der Gentherapie Version 1.0, wie schwer das Problem zu lösen ist. Forscher suchen immer noch nach dem besten Weg, um neue genetische Instruktionen in die Zielzellen einzubringen. Wahrscheinlich ist, dass für jedes Gewebe andere Transporttechniken zum Einsatz kommen.

Im August 2016 beispielsweise hat das Biotech-Start-up Intellia eine interessante neue Strategie ausprobiert – die allerdings vorwiegend in der Leber funktioniert. Es verpackt CRISPR in Fettbläschen. Diese saugt die Leber auf, als seien es Cholesterintröpfchen. Den Daten der Intellia-Forscher zufolge hat eine einzige Dosis das Erbgut von mindestens der Hälfte aller Leberzellen in Mäusen verändert. Gelänge es dem Unternehmen, auch die Leberzellen von Menschen erfolgreich zu verwandeln, könnte es viele bisher unbehandelbare Stoffwechselkrankheiten therapieren: Zum Beispiel eine Form der familiären Amyloid-Polyneuropathie, bei der schmerzhafte Eiweißablagerungen im Körper entstehen. Olson hingegen setzte bei seinen Mausexperimenten auf Viren als Transportvehikel – wie die meisten Gentherapie-Forscher.

Klar ist, dass sich CRISPR in bestimmte Körperteile einfacher einschleusen lässt als in andere. Am leichtesten funktioniert offenbar das Löschen von Genen in Blutstammzellen, da sie leicht entnommen und wieder verabreicht werden können. Der Mount Everest des Gen-Editings ist dagegen wahrscheinlich das Erbguts des Gehirns, um zum Beispiel die bisher unheilbare erbliche Gehirnerkrankung Chorea Huntington zu behandeln. Muskelzellen liegen auf dieser Skala irgendwo dazwischen. Muskeln machen 40 Prozent der Körpermasse aus. Das bedeutet Abermilliarden von Zellen, in denen gezielt eine Genveränderung erfolgen müsste. Bei seinen Mausversuchen hat Olson es immerhin geschafft, zwischen 5 und 25 Prozent der Muskelfasern Dystrophin produzieren zu lassen. Es ist zur Hälfte Spekulation und zur Hälfte berechnet, doch der Molekularbiologe denkt, dass ein Wirkungsgrad von 15 Prozent bei einem Jugendlichen reichen könnte.