Bitte kein Bit

Inhaltsverzeichnis

In den folgenden rund 20 Jahren kamen unter anderem die legendären Minimoogs und der VCS-3 auf den Markt. Sie genießen heute Kultstatus, und das keineswegs nur bei den Nostalgikern. Der 60-jährige Ludwig Rehberg aus Ditzingen-Heimerdingen reist als einer der wenigen Experten immer noch um die Welt, um alte VCS-3-Synthesizer von EMS zu reparieren. "Aber die Kunden, die diese Geräte jetzt besitzen und mit ihnen Musik machen, sind ja erst 20 bis 30 Jahre alt", sagt er.

Das erklärt auch die Nachfrage nach neu entwickelten Varianten von Synthesizern und unzähligen Zusatzmodulen, mit denen sich die Stromwellen zu immer neuen Tönen kombinieren lassen. Zur Kreativität der "Soundschrauber", wie sich die Musiker der Synthesizer-Szene auch betiteln, gehören nicht nur ihre Kompositionen, Improvisationen und Klangexperimente, sondern auch das handwerkliche Geschick, der Technik diese Musik abzutrotzen. Diese Kreationen lassen sich bei analogen Synthesizern indes nicht speichern und auf Knopfdruck abrufen. Die Musiker müssen sie also auf der Bühne mit den Drehknöpfen, Schiebern, Klaviaturen und Kabeln aus dem Stegreif erzeugen. Diese Handarbeit ist es, die moderne computergesteuerte Softsynths nicht mehr bieten.

Neben den traditionellen und großen Herstellern wie Doepfer in Deutschland, Korg aus Japan und Moog aus den USA produziert die Musikerszene laufend neue eigene Lösungen, die manchmal sogar zu einer Auflage in Kleinstserie führen. Den einfachsten Klanggenerator, den Ploytec Pi Lambda Squared, gibt es schon für 80 Euro. Der zimmerfüllende Nachbau des Moog-Modularsystems von Emerson, Lake & Palmer kostet 140000 Euro.

Zwischen Negativen und Sofortbildern

Mulackstraße 22 in Berlin-Mitte. Halbe Treppe runter und eintauchen in eine andere alte Welt: die der Polaroids. Eine Zeit erwacht zum Leben, als Bilder nach langem Wedeln erst andeutungsweise in Schemen, dann nach und nach immer konturierter Gestalt annahmen, bis man das Foto in der Hand hielt. Der "Sofortbild Shop Berlin" empfängt im Retrolook mit plüschiger grüner Sitzgruppe, der Rest ist in einem reduzierten modernen Stil gehalten – bis hin zum Mac an der Kasse. Allein das Ambiente sagt viel aus über den Trend zum Analogen in einer digitalen Welt. Beides hat seinen Platz.

"Es wächst eine Generation heran, die das Original nicht kennt, die davon aber fasziniert ist und es zu schätzen lernt wie das Brot vom Bäcker statt aus dem Backautomaten im Supermarkt", sagt Jörn Freitag, der zusammen mit seiner Frau Simone den Laden betreibt. "Früher waren Polaroids cool, weil sie schnell gingen. Heute sind sie es, weil man wieder ein Foto in der Hand hat", glaubt Freitag. Der Laden läuft. Inzwischen schon seit fast sechs Jahren. Auch wenn Freitag nicht über Zahlen sprechen möchte, kann seine Familie gut von dem Geschäft leben.

Der analoge Schnappschuss ist zurück. Egal ob mit Sofortbildkamera, Spiegelreflex, edlem Mittelformat, Lomo oder Lochkamera – die Schar jener, die mit Filmspulen hantieren und Fotolabors frequentieren, wächst. Wer alles Spaß am Alten entwickelt, lässt sich kaum scharf umreißen: Zwölfjährige, die sich ihr Budget für Polaroids vom Taschengeld absparen, oder Rentner zählen ebenso zu Freitags Kunden wie Studenten, Künstler, Fotografen und Hochzeitsplaner.

"Gerade jüngere Leute beginnen wieder, analog zu fotografieren", beobachtet auch Michael Prügel vom Kamera-Service Ostkreuz. Der Berliner hat sich mit seiner Fachwerkstatt auf die Reparatur alter Schätze spezialisiert und verkauft Negativfilme. Er hat gut zu tun: Die Wartezeit für einen Reparaturauftrag liegt derzeit bei sechs Wochen. Von einem schnelllebigen Trend geht Prügel nicht aus, er glaubt eher, dass sich hier eine stabile Nische etabliert. Manfred Rau vom Hersteller Fuji, der sowohl Filme als auch mit der "Fuji instax" wieder eine angesagte Sofortbildkamera im Programm hat, teilt diese Einschätzung.

Er spricht von "hybriden Kunden", die durchaus mit ihrem Smartphone knipsen, aber auch bewusst analog fotografieren: "Die Digital Natives schätzen das unverfälschte Medium, Fotos, die nicht am Computer bearbeitet werden. Fotos, die Unikate zum Herumreichen sind und nicht tausendfach auf Facebook oder Instagram gepostet werden", sagt Rau. "Manchmal sind wir selber über den Erfolg erstaunt." Für seine Sofortbildsparte musste Fuji die Kapazitäten deutlich ausbauen, nachdem es zu Engpässen gekommen war.

Dabei schien vor einigen Jahren das Ende dieser Technik besiegelt zu sein. 2008 meldete die US-Firma Polaroid Insolvenz an. Schon drei Jahre zuvor war die Produktion der für die Filme notwendigen Chemikalien eingestellt worden. Die bis dahin produzierte Menge sollte noch einige Zeit für die immer weniger werdenden Kunden ausreichen. Dachte man. Doch die derzeit weltweit noch existierenden rund 400000 Apparate landeten nicht auf dem Schrott, sondern wurden größtenteils weiterbenutzt. Der Wiener Florian Kaps hamsterte Restbestände der Sofortfilme und verkaufte sie – mit wachsendem Erfolg.

Vor sieben Jahren dann versiegte der Nachschub. Das allerletzte Werk im holländischen Enschede sollte geschlossen werden. Kaps und sein Mitstreiter André Bosman rangen den Polaroid-Verantwortlichen die Maschinen und ein Teil des Werkes (auf Mietbasis) für 180.000 Euro ab. Es war der Beginn einer unmöglich scheinenden Mission: "The Impossible Project" lautete fortan der Name ihrer Firma, die das Sofortbildsystem retten sollte. Zu den Schwierigkeiten des Unterfangens zählt, dass etliche der mehr als 30 für die Produktion der Filme benötigten Chemikalien nicht mehr lieferbar waren und deshalb eine neue Rezeptur entwickelt werden musste.

Der Erfolg ist beeindruckend: Neben dem Werk in Enschede gibt es inzwischen ein zweites im deutschen Monheim. Insgesamt beschäftigt Impossible 140 Mitarbeiter in Österreich, Deutschland, Holland, England, Frankreich, China und den USA. Hier werden auch alte Kameras aufbereitet und fit für den Verkauf an eine wachsende Fangemeinde gemacht. Während die Firma 2009 noch rund 100000 Filme vermarktete, waren es im vergangenen Jahr bereits eine Million.