CO₂ im Ozean versenken mit Meeresschnee

Die Ozeane speichern viel Klimagas. Allerdings fehlen Möglichkeiten, noch mehr CO₂ einzubringen. Kroatische Forscher schlagen eine ungewöhnliche Lösung vor.

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(Bild: Nadia Queric)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Die Ozeane enthalten mehr als 50 Mal so viel Kohlenstoffdioxid wie die Atmosphäre. Seit Beginn der Industrialisierung schluckten sie mehr als 30 Prozent des von der Menschheit zusätzlich emittierten Treibhausgases.

Drei Viertel des seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgenommen anthropogenen CO₂ verteilt sich in den oberen 1000 Metern, nur sieben Prozent unterhalb von 2000 Metern. Könnte man das Klimagas in die Tiefsee befördern, könnte es dort für viele hundert Jahre ruhen, bevor er irgendwann wieder durch Meeresströmungen nach oben kommt – wenn die Menschheit dann hoffentlich ihr Treibhausgasproblem in den Griff bekommen hat.

Genau das will Stasa Puskaric erreichen. Er ist Professor am Rochester Institut für Technologie in Kroatien und leitender Technologe des norwegischen Unternehmens GEA Carbon Capture. Wichtiger noch: Der Ozeanograph ist Kopf hinter einer Methode namens GEA@275, die aus einem gleichnamigen Geoengineering-Forschungsprojekt hervor ging.

Sein Ziel ist, die Produktion von sogenanntem Meeresschnee zu steigern. Dieses schaumförmige Material ist ein natürliches Phänomen in allen Meeren der Welt und der wohl wichtigste biologische Mechanismus, um der Meeresoberfläche – und damit letztlich der Atmosphäre – CO₂ zu entziehen und am Meeresgrund abzulagern. Er besteht aus Ausscheidungen von Planktonorganismen, den so genannten Exsudaten, aus Exkrementen und auch aus toten Zellen, die zu weißlich-schleimigen Partikeln verkleben.

"Einer der Gründe, warum ich mich auf den marinen Schnee konzentriere, ist, dass er nicht Teil irgendeiner Nahrungskette oder eines Nahrungsnetzes ist", sagt Puskaric. "Organismen fressen keinen Meeresschnee." Damit würde man nicht in natürliche Nahrungsnetze eingreifen, wenn man den Schaum verstärkt.

Um die Planktonalgen, das Phytoplankton, anzuregen, mehr Exsudate freizusetzen, möchte Puskaric äußerst geringe Menge von Eisenchelat gleichmäßig an der Oberfläche des Südozeans verteilen. Eisenchelat ist eine dem Häm des Blutes ähnliche, komplexe Chemikalie, in der ein Eisenatom in eine organische Molekülstruktur eingebunden ist.

Puskarics Ansatz ist nicht zu verwechseln mit der Eisen-Düngung des Südozeans, die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven in den frühen 2000er Jahren ausprobierten. Sie regten damit ein starkes Wachstum von Phytoplankton an, eine so genannte "Planktonblüte". Denn fehlendes Eisen verhindert in diesem Meer das massenhafte Wachstum von Mikroalgen. Die Forscher hofften damals, dass eine so stimulierte Algenblüte nach einiger Zeit stirbt und die toten Zellen als Meeresschnee absinken. Stattdessen lockte die Algenblüte aber massenhaft Flohkrebse an, für die die Algen ein Festessen waren. Inzwischen verfolgt niemand mehr diesen Ansatz, weil das Ausbringen von Eisen im Meer das Ökosystem unvorhersehbar stören könnte.

Das Eisenchelat dagegen löst keine riesigen Planktonblüten aus. Vielmehr veranlasst es die vorhandenen Planktonalgen nur dazu, mehr Exsudate ins Wasser abzugeben, als sie es normalerweise tun. "Ich würde es als physiologische Antwort auf eine Art von Stress bezeichnen", erläutert Puskaric.

Diese Ausscheidungen bestehen aus einfachen Zuckermolekülen, Aminosäuren und anderen niedermolekularen, organischen Verbindungen. Natürlicherweise scheiden Planktonzellen während ihres kurzen Lebens von ein bis fünf Tagen bis zur Hälfte der Stoffe aus, die sie vorher durch Photosynthese in ihren Zellen aufgebaut haben.

"Wir benötigen vielleicht sechs Kilogramm Eisen, das in einem organischen Chelat gebunden ist, um 100.000 Quadratkilometer zu impfen", sagt Puskaric. Wie das genau funktioniert, will er nicht erklären, weil es ein Firmengeheimnis sei, aber es ließen sich damit jährlich eine Milliarde Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernen. Um ein Meer wie den Südozean einmal zu "impfen", rechnet er mit Kosten von rund 50 Millionen Euro für eine Verteilungsreise mit einem Forschungsschiff. Das klingt teuer, "aber man muss das im Verhältnis sehen", meint er. "Heute zahlen Unternehmen für eine Tonne CO₂ zwischen 22 und 23 Euro. Wir können eine Tonne für 0,20 bis 1 Euro versenken." Das wäre dann in der Tat ein gutes Geschäft für Unternehmen, die mit diesem Verfahren ihren CO₂-Ausstoß kompensieren wollen. Lösungen, die CO₂ direkt aus der Luft abscheiden, um es unter der Erde abzulagern, kommen hingegen heute auf Kosten zwischen 100 und 300 Euro.

Aber Puskaric will nichts überstürzen. Theoretische könne er damit sofort beginnen, "aber es muss richtig gemacht werden". Denn es sei wichtig, wirklich sehr genau zu verstehen, was man tue, wenn man mit Geoengineering in ein funktionierendes natürliches System eingreife.

Deshalb konzentriert sich sein Unternehmen GEA Carbon Capture in Norwegen erst einmal auf die Entwicklung von neuen, besonders genauen Messgeräten und Sonden, mit denen sich Änderungen in der gesamten Wassersäule eines Meeresgebietes präzise und in Echtzeit verfolgen lassen. Mit solchen Messungen wollen die Forscher um die Geschäftsführerin Hanne M. Edvardsen Jelavic vor, während und nach der Ausbringung des Eisenchelats genau analysieren, was in dem Ökosystem passiert. Dazu gehören beispielsweise Sonden für hoch aufgelöste Lichtmessungen bis hinunter in lichtlose Tiefen, für Temperatur, Strömungen, Salzgehalt und andere chemische Stoffe. Derart präzise Messungen liefern sehr viel mehr Daten, als es herkömmliche Instrumente tun. Um solche Datenmengen auswerten zu können, werden auch Algorithmen mit künstlicher Intelligenz entwickelt. Die Ergebnisse dieser Forschungsphase sind sogar schon wirtschaftlich verwertbar, weil man die Sonden auch in der Aquakultur und bei der Umweltüberwachung von Küstenmeeren verwenden kann.

"Wenn wir ausreichende Finanzmittel zur Verfügung haben, um diese Entwicklungsphase anzuschließen, könnten wir in eineinhalb Jahren mit den Arbeiten im Südozean beginnen", sagt Puskaric. Er ist zuversichtlich, dass sich seine Vision verwirklichen lässt. Denn seit das Interesse an dieser Art von Kohlenstoffabscheidung steigt, erhält GEA Carbon Capture auch zunehmend mehr finanzielle Unterstützung.

(bsc)