Cookiekalypse – die neue Jagd nach Daten

Seite 3: Neue alte Zwickmühle

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Der Haken an dem Plan: Diese neutrale Instanz stünde vor der gleichen Zwickmühle wie die Website-Betreiber heute. Sobald das System für niedrigere Zustimmungsquoten sorgt, brechen die Werbeerlöse weg. Die Nutzer hingegen haben kein Interesse ein System zu akzeptieren, das für hohe Akzeptanz von Cookies und Datenverarbeitungen sorgen soll – zudem wäre es solches System mit der Datenschutz-Grundverordnung kaum vereinbar. Ob dieser Ansatz überhaupt weiter verfolgt wird, muss die nächste Regierung und der neue Bundestag entscheiden.

Es gibt mittlerweile auch Stimmen, die die Datenschutz-Grundverordnung umschreiben wollen – statt "Datenschutz" soll es nur noch einen "Privatsphäreschutz" geben, der die Auswertung aggregierter Daten weitgehend freigibt. Dass solche Datenbestände leicht wieder konkreten Personen zugeordnet werden können, soll ignoriert werden. Sah es vor einem Jahr noch so aus, als ob dies mit der E-Privacy-Verordnung irgendwann gelingen könnte, hat sich die Stimmung in Brüssel mittlerweile geändert.

Grund ist die Whistleblowerin Frances Haugen, die mit ihrer Erzählung vom gewissenlosen Agieren des Facebook-Managements einen Nerv getroffen hat. Zwar haben die Enthüllungen Haugens ursächlich nur sehr wenig mit dem Werbegeschäft der Social-Media-Plattform zu tun. Doch die Bereitschaft der Parlamentarier ist spürbar gestiegen, ein komplettes Geschäftsmodell zu kippen, das Milliarden Euro auch in die Taschen der eigenen Wirtschaft lenkt.

Als Retter bieten Adtech-Firmen neue Lösungen wie "Unified ID" an. Hierbei würden die allgegenwärtigen Cookie-Banner durch ein universelles Login ersetzt. Die E-Mail-Adressen und Mobilfunknummern der Nutzer sollen als universeller Schlüssel eingesetzt werden, der Datenprofile völlig neuer Größe erlaubt. Auch hier stellt sich die Frage, wie ein solches System mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar sein soll.

Welche Auswirkungen es auf das Internet hätte, muss man sich inzwischen nicht mehr vorstellen – man kann es Tag für Tag mit eigenen Augen sehen. Die Zeit der Paywall-Experimente ist vorbei, der Abo-Journalismus ist in nur zwei Jahren auch Online zum Normalfall geworden. Zwar gibt es mehr als genug frei zugängliche Websites mit News, aber der Wettbewerb spielt sich zunehmend auf niedrigerer Eben ab. So werden missverständliche Äußerungen über Tage wiedergekäut, während der vielleicht unkontroverse Volltext eines Interviews hinter einer Paywall verschwindet – und damit in der öffentlichen Diskussion kaum noch eine Rolle spielt. Keine Probleme gibt es hingegen, wenn man erfahren will, welche "Schnäppchen" denn der "Black Friday" zu bieten hat. Diese Texte finanzieren sich durch ein florierendes Geschäft mit Verkaufsprovisionen, während fundierte Produkttests immer weiter an den Rand gedrängt werden.

Noch bevor sich die Politik für ein neues Monetarisierungs-Modell entscheidet, formt sich der Journalismus neu. Prominente Namen werden aus Redaktionen herausgelöst, um Substack-Newsletter zu schreiben, Recherche-Podcasts erscheinen exklusiv bei Spotify. Man greift das Investorengeld ab, wo es grade Gelegenheiten bietet – und springt nach dem Hype dann auf die nächste Plattform, die wieder ein paar Investoren begeistern konnte. Google oder Facebook lassen ein paar Hundert Millionen Dollar für "News" springen? Sicher – warum auch nicht.

Unterdessen formen sich auch die Medienkonzerne um. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat RTL einen neuen Inhalte-Konzern geschaffen, der Bewegtbild und Zeitungen vereinen soll. Folgerichtig ist das auch aus Werbesicht: Wenn man künftig nicht mehr Nutzerdaten aus fremden Silos nutzen kann, muss man das eigene Silo nur so lange vergrößern, bis man wieder aus eigenen Daten ein volles Interessenprofil generieren kann. Ob solche Großkonzerne den Lokaljournalismus retten können oder zugunsten lukrativerer Geschäftsmodelle beiseiteschieben, bleibt abzuwarten.

Tl;dr: Das Geschäftsmodell der datengetriebenen Werbung hat sich ins Abseits manövriert – doch bisher weiß niemand, wie das Problem gelöst werden kann. Unterdessen ändert sich die Medienlandschaft und damit auch das Internet fundamental.

(tiw)