Das Ende des Fatalismus

Der Klimawandel ist selbst mit einschneidenden Maßnahmen nicht mehr zurückzudrehen. Während die Politik noch streitet, werden rund um den Globus erste zaghafte Anpassungstrategien sichtbar. Teil 1 des TR-Online-Reports: Ozeane und Trinkwasser.

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Von
  • Niels Boeing

Friedlich erstreckt sich das Meer in die Ferne. Schafe weiden im Sonnenschein auf der Deichkrone, durch die frische Brise ertönen vereinzelte Möwenschreie. Die Idylle wird nicht halten an diesem Tag: Am Horizont jagen schon erste Regenwolken in den blauen Mittagshimmel über dem Jadebusen hinein. Aber hässliches Wetter ist unbedeutend im Vergleich zu dem, was Gerd Haschen beschäftigt. „Wir beobachten, dass das Mitteltidehochwasser in den letzten Jahren merklich angestiegen ist“, sagt der rüstige ältere Herr, der Vorstandsmitglied des 2. Oldenburger Deichbandes ist. Mitteltidehochwasser wird im Jargon der Küste der mittlere Pegel des täglichen Fluthöchststandes genannt. Der hat seit 1965 um 17 Zentimeter zugenommen – eine Folge der schleichenden Erwärmung der Ozeane, die zur Ausdehnung ihrer Wassermassen führt.

Für die Wissenschaft ist dieser geringfügige Anstieg des Meeresspiegels nur ein Zeichen von vielen, die rund um den Globus auf einen bevorstehenden Klimawandel hindeuten – ausgelöst durch eine menschengemachte Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts der Erde. Auf sämtlichen Kontinenten ziehen sich die Gletscher in den Hochgebirgen zurück, häufen sich Hitzewellen und Dürren in einem bislang nicht beobachteten Ausmaß. In der Arktis schmilzt die Eiskappe an den Rändern mit jedem Sommer stärker als je zuvor, und in der Westantarktis brechen zunehmend riesige Stücke aus dem Schelfeis ab. Glaubt man den Modellrechnungen der Klimaforscher, ist das erst der Anfang massiver Umweltveränderungen, die in diesem Jahrhundert auf die Menschheit zukommen: Küstenlandschaften und Inselstaaten könnten vom Meer überflutet werden, während auf den Kontinenten das Verschwinden der Gletscher und ausbleibender Regen die Trinkwasserversorgung gefährden. Eine deutliche Erwärmung zahlreicher Landstriche könnte Ernten schrumpfen und Krankheiten zunehmen lassen (zu Hintergründen siehe Kasten rechts, "Grundlagen" und "Big Picture").

Zu Panik besteht allerdings kein Anlass: Die Menschheit ist diesem globalen Wandel nicht vollkommen hilflos ausgeliefert – und sie könnte zumindest in einigen Regionen gar von ihr profitieren. „Man muss das jetzt leidenschaftslos angehen“, sagt der Klimaforscher Hans von Storch vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht. Anders als ihm von machnen Umweltschützern immer wieder unterstellt wird, leugnet er den Klimawandel und seine Gefahren nicht. „Aber wir müssen von dem vorherrschenden Fatalismus wegkommen.“

Und das bedeutet: Es geht nicht mehr nur um die Streitfrage, ob und wie der Klimawandel zu begrenzen ist, sondern auch darum, sich an ihn anzupassen. Denn darin sind sich die Klimaforscher einig: Selbst wenn es gelänge, die weltweiten Emissionen des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid ab sofort auf dem Niveau von 2004 zu halten, würde sich die globale Durchschnittstemperatur dennoch bis 2100 um etwa 1,5 bis 2 Grad Celsius erhöhen. Mit manchen Folgen einer solch moderaten Erwärmung könnte man durchaus fertig werden. Einige der dazu nötigen Ansätze sind bereits seit Jahrzehnten erprobt, andere – ursprünglich gar nicht für eine Klimaanpassung vorgesehen – lassen sich dafür weiterentwickeln.

Der Anstieg des Meeresspiegels

An der Nordseeküste wappnet man sich bereits für ein weiteres Ansteigen des Meeresspiegels. Gerd Haschen zeigt auf die Schaumkronen, die in der Ferne auf dem Jadebusen tanzen: „Wenn hier der Deich bricht, kommt das Wasser bis an Oldenburg heran.“ Ein Bauwagen und aufgeschichtete Steinplatten am Fuße des Deiches verraten, dass er und die anderen Verantwortlichen das nicht riskieren wollen: Die Deichkrone ist hier gerade erst auf einer Länge von sieben Kilometern auf zehn Meter erhöht worden. Noch in den Siebzigern hielt man eine Deichhöhe von siebeneinhalb Metern für ausreichend. Die Erhöhung übertrifft zwar den durchschnittlich prognostizierten Meeresspiegelanstieg von 40 Zentimetern bis zum Jahr 2100 deutlich. Doch aus der Ozeanographie ist bekannt, dass die Wucht von Sturmfluten schon bei geringfügigem Anstieg stärker zunimmt. Billig ist der Küstenschutz nicht: „Ein Kilometer Deichneubau kostet rund 4 Millionen Euro, so viel wie ein Kilometer Autobahn“, sagt Haschen, denn mit einer bloßen Aufschüttung sei es nicht getan, die würde dem Meer nicht lange standhalten.

Sollte das Meer jedoch mehr als 40 Zentimeter steigen, wird es eng. Bei einer durchschnittlichen Erwärmung von drei Grad in den kommenden hundert Jahren würde Wasser aus schmelzenden Gletschern und den Poleiskappen verstärkt in die Ozeane strömen. Bis 2300 wäre dann mit einem zusätzlichen Anstieg von mindestens 2,30 Meter zu rechnen. „Mit Deichen allein werden wir wohl noch 50 bis 80 Jahre auskommen, danach wird das nicht mehr genügen“, warnt denn auch Michael Schirmer, Umweltforscher an der Universität Bremen. Dann kämen Küstengebiete nicht umhin, sich mit weiteren Maßnahmen zu wappnen. Dazu gehören eine zweite Deichlinie im Hinterland oder riesige Flutwehre an Flussmündungen , wie die Niederländer sie bereits an der Rhein-Maas-Mündung gebaut haben.

In den Niederlanden, die – zur Hälfte unter dem Meerespiegel gelegen – sich seit Jahrhunderten vor der Gewalt der Nordsee schützen müssen, denkt man noch weiter. „Langfristig müssen wir anders bauen“, sagt Koen Olthuis vom Architekturbüro Waterstudio. Das könnte heißen: Häuser entweder wasserdicht oder schwimmfähig machen. Waterstudio setzt auf schwimmende Architektur. Das Haus, das Olthuis in einem Kanal unweit des Amsterdamer Flughafens Schiphols präsentiert, erinnert nicht im entferntesten an die zusammengeflickten Wohnboote im apokalyptischen Film „Waterworld“. Ein mondäner Flachbau liegt da im Wasser, versteckt hinter Treibhäusern und kleinen Werkstätten. Eine großzügige Terrasse am einen Ende des Hauses lädt zum Sonnenbaden ein. „Bei Hochwasser könnte es einfach nach oben treiben“, sagt Olthuis. Leitungen für Abwasser, Trinkwasser und Strom werden – „plug’n’play“ sozusagen – an die vorgesehenen Stutzen in der Kanalmauer angeschlossen.

Als Olthuis und sein Kollege Rolf Peters das schwimmende Luxusappartment planten, hatten sie wohl selbst noch nicht an den Klimawandel gedacht. Aber seit der Überflutung von New Orleans im vergangenen Jahr liefen bei Waterstudio die Telefone heiß, berichtet Olthuis, als Peters mit einem Geschäftsmann aus Dubai anlegt, den er an der nahegelegenen Hauptstraße abgeholt hat. Denn Waterstudio hat auch leichte, mit Kunststoffschaum gefüllte Betonplattformen entwickelt, die bis zu 100 Meter lang sein können: „Damit können wir schwimmende Städte bauen.“

Der Gast aus Dubai hat wohl eher Spielkasinos und Hotels auf dem Meer im Sinn. Doch künftig dürften andere Kunden bei Waterstudio anklopfen. Erst kürzlich habe das niederländische Umweltministerium 15 Gebiete für neue schwimmende Siedlungen ausgewiesen, sagt Olthuis. Was, wie im Wohnpark „Gouden Kust“ in Maasbommel, noch als weiterer Luxuswohnraum in den dichtbesiedelten Niederlanden gedacht ist, könnte schon bald zu einem Testgebiet für eine Folge des Klimawandels werden. Zumindest für die reichen Industrieländer: Im bitterarmen Bangladesh hingegen sind mehrere Millionen Menschen von einem Meeresspiegelanstieg bedroht, denen dann nur die Migration in höher gelegene Landesteile bliebe. In den pazifischen Inselstaaten wäre nicht einmal Raum für schwimmende Siedlungen – viele Inseln müssten hier wohl einfach aufgegeben werden.

Die Verknappung des Trinkwassers

Andere Regionen hingegen lechzen nach Wasser. Im wahrsten Sinne des Wortes „plastisch“ vor Augen geführt wird dies beim Anflug auf Almería in Südspanien: Kilometer weit erstrecken sich hier Plastiktreibhäuser über die karge Landschaft Andalusiens. Die ist mit hohem Wasser- und Energieeinsatz in den vergangenen 20 Jahren in den Obst- und Gemüsegarten der EU verwandelt worden. Doch die natürlichen Trinkwasserreservoire reichen hier schon längst nicht mehr. Eine technische Lösung für das Problem befindet sich eine Autostunde von Almería entfernt an der Mittelmeerküste in Carboneras. Dort, unter der sengenden Sonne der Provinz Murcia, ging im Sommer 2005 Europas größte Meerwasserentsalzungsanlage in Betrieb.

In den trockenen Hang hinein hat die Betreiberfirma Acusur die Trinkwasserfabrik gebaut. Im Innern herrscht gedämpftes Licht. Hunderte von blauen Stahlrohren stapeln sich meterhoch unter der Hallendecke. In ihnen wird das Meerwasser unter Hochdruck durch Membranen gepresst. Deren hauchfeine Poren filtern Mikroorganismen und den größten Teil des Salzes heraus. Dieses Umkehrosmose genannte Verfahren nutzt die Hälfte aller Meerwasserentsalzungsanlagen weltweit. Täglich produziert die Anlage in Carboneras damit ungefähr ein Drittel der Trinkwassermenge, die die Hamburger Wasserwerke den Hanseaten bereitstellen.

Die Gewinnung von Trinkwasser aus dem Meer ist ökologisch allerdings nicht ganz unbedenklich. So muss das zurückbleibende Salzkonzentrat zurück ins Meer entsorgt werden. „Wir verringern den Salzgehalt des Abwassers, indem es mit dem Kühlwasser des angeschlossenen Kraftwerks verdünnt wird“, sagt Acusur-Sprecher Álvaro González. Das zweite Problem: Pro Kubikmeter (oder tausend Liter) Trinkwasser sind bis zu neun Kilowattstunden Energie nötig. Das entspricht etwa der Energiemenge, die sich aus einem Liter Erdöl gewinnen lässt. Die Anlage in Carboneras kommt immerhin mit 4,25 Kilowattstunden pro Kubikmeter aus. Ein neues Verfahren des kalifornischen Unternehmens Energy Recovery könnte diesen Wert bei künftigen Anlagen noch einmal halbieren, in dem das Abführen der salzigen Brühe in einer Drehkammer direkt mit der Weiterleitung des herbeigepumpten Meerwassers kombiniert wird. Erneuerbare Energiequellen werden zwar im Nahen Osten vereinzelt genutzt. „Solarenergie ist aber unwirtschaftlich, weil sie nicht kontinuierlich genutzt werden kann“, sagt Boris Lieberman von der israelischen IDE Technologies, die Entsalzungsanlagen konstruiert.

Bislang galt Meerwasserentsalzung vor allem als Luxustechnologie für arabische Ölstaaten. Doch wie die die Szenarien der Klimaforscher zeigen, werden in den kommenden Jahrzehnten etliche Landstriche mit einer heftigen Verknappung des Trinkwassers zu kämpfen haben. Im westaustralischen Perth etwa nahmen die Niederschläge bereits seit 1975 derart ab, dass der Vorrat der Trinkwasserreservoire der Stadt heute nur noch ein Drittel der damaligen Menge umfasst. Im Osten Australiens sieht es nach einer mehrjährigen Dürre nicht besser aus: „Die vier Millionen Einwohner Sidneys haben noch Wasser für zwei Jahre in ihren Speichern“, warnt der australische Umweltexperte Tim Flannery in seinem Buch „Wir Wettermacher“.

An der Meerwasserentsalzung wird deshalb – selbst bei einem effizienteren Umgang mit dem kostbaren Nass – kein Weg vorbei führen. Allein Spanien, das im vergangenen Sommer von einer dramatischen Dürre heimgesucht wurde, will in den kommenden Jahren durch neue Fabriken die Menge von aus dem Meer gewonnenem Trinkwasser verdoppeln. Das ist ökologisch immer noch besser als die zweifelhafte Umleitung des Flusses Ebro, die im Juni 2004 von der Regierung Zapatero gekippt wurde. Und das trocken fallende Sidney plant die größte Anlage der Welt mit einem Ausstoß von 500 Millionen Litern am Tag.

Lösen lässt sich das künftige Trinkwasserproblem mit Meerwasserentsalzung allein aber nicht. Denn etwa ein Sechstel der Menschheit ist auf Schmelzwasser aus Hochgebirgen angewiesen. „In einer wärmeren Welt wird die Schneeschmelze im Frühling eher einsetzen“, schrieb der US-Forscher Tim Barnett mit Kollegen vor einem Jahr im Wissenschaftsmagazin Nature. Selbst wenn es weiterhin so viel regnete wie bisher, würde das bedeuten, dass die Flüsse das Schmelzwasser zu früh abführen. Im Spätsommer, wenn der Bedarf am größten ist, käme es dann zu verstärktem Wassermangel. Vor allem rund um Himalaya und Hindukush könnte dies Hunderte Millionen Menschen betreffen – weit entfernt von jeder Küste, an der Meerwasser aufbereitet werden kann.

Teil 2 - Landwirtschaft und Metropolen.

Teil 3 - Arktis und Hochgebirge. (nbo)