Träume und Alpträume im Permafrost

Der Klimawandel ist selbst mit einschneidenden Maßnahmen nicht mehr zurückzudrehen. Während die Politik noch streitet, werden rund um den Globus erste zaghafte Anpassungstrategien sichtbar. Teil 3 des TR-Online-Reports: Arktis und Hochgebirge.

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Von
  • Niels Boeing

Eine Veränderung infolge des Klimawandels ist inzwischen unübersehbar: das Schrumpfen der Polkappen an ihren Rändern und der Gletscher in den Hochgebirgen. In den letzten Jahren schmilzt jeden Sommer mehr Eis, als im Winter wieder neu gebildet wird. In Grönland etwa hat sich die im Sommer abtauende Eismasse in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. In Tibet geht das Gletschervolumen jährlich derzeit um sieben Prozent zurück. Die drei afrikanischen Gletscher auf dem Kilimandscharo, dem Mount Kenya und dem Ruwenzori-Massiv werden in 20 Jahren ganz verschwunden sein. Und von den einst 200 Kubikkilometern Eis, die die Alpengletscher Mitte des 19. Jahrhunderts hatten, ist nur noch ein Drittel übrig.

Das trifft vor allem die Skiorte in den Alpen hart. Einige haben nach dem Jahrhundertsommer von 2003 begonnen, den Schwund zumindest zu verlangsamen: Während der Sommermonate breiten sie über stark gefährdete Eispartien weiße Kunststoffplanen. Die reflektieren das Sonnenlicht und und retten immerhin eine Eisschicht von eineinhalb Metern Dicke, die sonst bis zum Herbst verloren gehen würde. „Im Moment ist die Vliesabdeckung das wirkungsvollste Mittel“, sagt Willi Krüger, Prokurist der Pitztaler Gletscherbahnen. Am dortigen Gletscher sind in den vergangenen zwei Sommern an die sieben Hektar Pistenfläche geschützt worden. „Zu einer Totalabdeckung wird es aber nicht kommen.“ Die würde bei Quadratmeterkosten von 2 Euro 1,7 Millionen Euro verschlingen, um die gesamten 85 Hektar Pistenfläche abzudecken.

Langfristig wird das kaum helfen, das wissen auch die Betroffenen. „Die Schweizer Skiorte wollen die starke Abhängigkeit vom Wintertourismus los werden“, sagt Bruno Fläcklin, Tourismusdirektor in Sörenberg-Flühli in der Südschweiz. Die Gemeinde auf einer Höhe zwischen 850 und 1150 Metern dürfte in nicht allzu ferner Zukunft unterhalb der Schneegrenze liegen. Deswegen baut man dort bereits vorsichtig die Sommerangebote aus: eine Wassererlebniswelt, ein Kletterpark und Höhlenbesichtigungen sollen das Mehr an Touristen anziehen, die irgendwann im Winter ausbleiben werden.

Doch das ist nicht das einzige Problem. Weil in den Bergen allmählich die Permafrostböden auftauen, kommen die Hänge ins Rutschen. Im schweizerischen Pontresina im Engadin hat man deshalb 2003 zwei riesige Dämme oberhalb der Stadt fertiggestellt. Sie sollen verhindern, dass der Ort eines Tages unter Geröll- und Schlammlawinen begraben wird.

Tauender Permafrost in Nordamerika und Sibirien, der dort Hunderte von Metern in die Tiefe reicht, birgt aber noch viel dramatischere Probleme: Ölpipelines könnten über viele Kilometer im Morast versinken und bersten, gewaltige Mengen Methan – ein äußerst treibhauswirksames Gas – freigesetzt werden, wenn Mikroben bislang gefrorene Pflanzenreste zersetzen. Russlands Präsident Wladimir Putin sieht in den tauenden Weiten Sibiriens hingegen die neue Kornkammer auf der Nordhalbkugel entstehen.

Auch anderswo wird die Erwärmung der Arktis eher als Chance gesehen: Die US Geological Survey vermutet ein Viertel der weltweiten Öl- und Gasreserven unter dem 12,2 Millionen Quadratkilometer großen Arktischen Ozean (auch Nordpolarmeer genannt). Der Rückzug des Polareises würde den Zugriff auf diese Ressourcen ermöglichen. Einen Vorgeschmack auf den dann einsetzenden Goldrausch kann man im norwegischen Hammerfest besichtigen, laut Selbstdarstellung die „nördlichste Stadt der Welt“. Bitterkalt pfeift der Wind der angrenzenden Barentssee über die kleine Insel Melkøya, die in der Hammerfester Bucht liegt. Blaues Herbstlicht schimmert auf den umliegenden Inseln, die Sonne kommt schon am Mittag nicht mehr über den Horizont. Doch Sverre Kojedal, Sprecher des norwegischen Ölkonzerns Statoil, ist guter Dinge, als er von der Aussichtsplattform auf die riesige Gasverflüssigungsfabrik hinunterblickt, in die sich Melkøya verwandelt hat. Über eine Pipeline wird sie aus dem 140 Kilometer entfernten Erdgasfeld Snøhvit in der Barentssee beliefert. „Zum ersten Mal wird Erdgas mit einer vollautomatischen unterseeischen Förderanlage heraufgeholt“, sagt Kojedal.

Wenn die Fabrik 2007 in Betrieb geht, sollen jährlich vier Milliarden Kubikmeter in Tanker gepumpt und nach Europa und Nordamerika verschifft werden. „Das ist der Beginn einer ganz neuen Ära in der Erdgas- und Ölförderung“, schwärmt Kojedal. In Hammerfest herrscht schon jetzt Aufbruchstimmung: „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ziehen mehr Menschen in die Stadt als abwandern“, sagt er, „und es sind vor allem junge Leute, die hier gut verdienen können.“ In der Tat: Im eisigen Meer hinter den Inseln am Horizont stecken derzeit Russland und Norwegen ihre Claims ab. Sollte die Arktis, wie Szenarien voraussagen, in wenigen Jahrzehnten im Sommer weitgehend eisfrei sein, hätte Statoil bereits wichtiges Know-how, wie man die Schätze aus den eisigen Tiefen des Nordpolarmeers fördern könnte. Dann aber haben nicht nur die Ölkonzerne gut lachen. Reedereien könnten ihre Frachter und Tanker auf direktem Wege zwischen dem Atlantik und Fernost pendeln lassen – ohne wie heute den Umweg über Suez- oder Panamakanal nehmen zu müssen.

Auch dieses letzte Beispiel zeigt: Mit manchen Folgen wird man sich vielleicht arrangieren können. Technische Möglichkeiten hierzu sind durchaus vorhanden, einige mehr, einige weniger entwickelt. Die internationale Staatengemeinschaft hat allerdings bislang nicht den Ansatz eines globalen Anpassungskonzeptes, der ähnlich konkret wäre wie das Kioto-Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgase. Wie der sich abzeichnende Klimawandel am Ende wirklich ausfallen wird, darüber kann gegenwärtig nur spekuliert werden. Dass er ohne nennenswerte Verluste an Menschenleben und Lebensräumen gemeistert werden könnte, ist wenig realistisch. Der Internationale Beirat zum Klimawandel IPCC schrieb 2001 in seinem bislang letzten Klimabericht: „Länder mit begrenzten ökonomischen Ressourcen, einem niedrigen technischen Niveau, schwachen Informations- und Bildungangeboten, einer unterentwickelten Infrastruktur, instabilen oder schwachen politischen Institutionen sowie einem ungleichen Zugang zu Ressourcen haben kaum die Fähigkeit, sich anzupassen.“ Die haben nur die Länder, die mit ihrer fortgeschrittenen Industrialisierung die Gefahr des Klimawandels heraufbeschworen haben.

Teil 1 - Ozeane und Trinkwasser.

Teil 2 - Landwirtschaft und Metropolen. (nbo)