Das Prinzip Fuchs
Doch weil OHB für Galileo "nur" das Bauprojekt koordiniert und die Satellitenbusse integriert, während den Einbau der Nutzlast und somit etwa 40 Prozent des Auftrags die britische Firma Surrey Satellite Technology Ltd. (SSTL) übernimmt, ist EADS wenigstens indirekt beteiligt: SSTL, die schon die Galileo-Testsatelliten Giove gebaut hat, wurde im April 2008 von Astrium gekauft. Heute wirkt die Übernahme wie ein Pflaster auf der brennenden Wunde von EADS: Wer auf beiden Seiten des Wettbewerbs vertreten ist, kann faktisch nicht gänzlich verlieren. Eine Konstellation, die typisch ist für den kleinen Klub der Aeronautik-Branche: Firmen, die bei einem Projekt als Konkurrenten gegeneinander antreten, sind beim nächsten vielleicht als Kooperationspartner am Start.
So gesehen ist der "Überraschungscoup" vom "Branchenzwerg" OHB beim Galileo-Zuschlag ein romantisches Medienmärchen, das die Bremer schweigend genießen. Selbst der Vorstandsvorsitzende der OHB-System AG und Leiter der Galileo-Gruppe, Berry Smutny, räumt ein, dass die Entscheidung so überraschend nicht gefallen sei, "weil die Galileo-Verhandlungen im Modus des 'Competitive Dialogue' stattfanden".
Das heißt praktisch, dass Smutnys Galileo-Team jederzeit wusste, wo es als Bieter in den Verhandlungen stand. Mit der ESA als Kunden in spe hätten sie ein Jahr lang alle drei, vier Wochen Arbeitstreffen abgehalten, in Brüssel, Paris und Noordwijk, bestätigt Smutny. Dazu seien Delegationen aller Industriepartner angereist. "Positiv überrascht" sei er lediglich von den Abläufen gewesen, sagt Smutny. Es hätten sich gute Gelegenheiten ergeben, auch kritische Fragen zu klären – ein "konstruktiver, professioneller Prozess". Offenbar hat das OHB-Team dabei schneller und nachhaltiger gelernt, den technischen und logistischen Anforderungen der ESA gerecht zu werden.
Das bei OHB so sorgsam gepflegte Image vom kleinen Mittelständler hat aber auch Nachteile. Es fördert das Misstrauen, die Bremer könnten sich mit dem Großauftrag übernommen haben. Wird das Projekt womöglich auf die leichte Schulter genommen? Das sei ausgeschlossen, widerspricht Berry Smutny und verweist auf den Fuchsschen Führungsstil, der den Mitarbeitern verantwortungsvolles Handeln regelrecht einimpfe.
Der Pessimismus von Branchenbeobachtern scheint allerdings auf den Aktienkurs durchzuschlagen. Zwar schoss der Kurs der OHB-Aktie nach Bekanntgabe der Entscheidung von rund 11 Euro auf ein Rekordhoch von 18,33 Euro. Doch auch wenn die Mehrheit der Börsenanalysten immer noch zum Kauf rät, befindet sich der Kurs inzwischen wieder auf Talfahrt und lag zum Redaktionsschluss etwa bei 15 Euro.
Das Raumfahrtunternehmen befände sich in einer umfassenden "Transformationsphase", sagt Markus Turnwald, Analyst der DZ Bank in Frankfurt am Main. Er veranstaltet gemeinsam mit Firmenchef Marco Fuchs "Roadshows" zum Kennenler-nen interessierter Investoren, zuletzt Mitte März in Frankfurt.
Interessenten gäbe es durchaus, vor allem in den USA und Großbritannien, berichtet Turnwald. Zwar ist die OHB AG in keinem der großen Börsenindizes vertreten, aber dank des Galileo-Coups mit einem gewissen Sensationswert behaftet. Diesen "Galileo-Effekt" hat Richard Schramm von der Düsseldorfer Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt in seinem aktuellen Unternehmensbericht schon wieder herausgerechnet. Er empfiehlt "downgrade to neutral"– ein Zurückstufen der seiner Meinung nach überbewerteten Aktie. Erst mal sei das Pulver von OHB verschossen, räumt auch DZ-Analyst Turnwald ein, da sich derzeit keine weiteren großen Projekte "in der Pipeline" befänden. Nun bricht die Zeit an, in der sich OHB beweisen muss.
Wie Manni auf sein Futter, scheint auch die leere Halle auf die große Aktivitätswelle zu lauern, die im Sommer mit der Lieferung der Bauteile für den ersten Galileo-Satelliten ins Rollen kommt. Darauf freuen sich hier alle Mitglieder der Familie – vom Pförtner bis zum Seniorchef. Kleiner Mittelständler oder schwergewichtiger Raumfahrtkonzern – was heißt das schon? Wie ihr Frosch scheint auch die OHB Technology AG zu außerordentlichen Metamorphosen imstande zu sein. (bsc)