Daten gegen Hunger

Seite 2: Neue Erkenntnisse aus dem Boden

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Die Signale verraten zudem, wie hoch der Stickstoffgehalt ist und wie groß die Blätter sind, die das Licht reflektieren. Forscher und Landwirte können daran erkennen, ob das Wachstum der Pflanzen wie erhofft fortgeschritten ist. Vor allem Besitzer riesiger Farmen, wie im Mittleren Westen der USA, wo die durchschnittliche Feldgröße bei knapp 150 Hektar liegt, profitieren von den Daten – schließlich können sie, im Gegensatz zum Kleinbauern, den Zustand ihrer Felder nicht permanent kontrollieren.

Gelingt die Verknüpfung der Satellitendaten mit weiteren Informationen vom Boden, dürften völlig neue Erkenntnisse warten. Das Pilotprojekt AgriFusion etwa will beweisen, dass Landwirte künftig schon bei der Aussaat Prognosen darüber erhalten können, welche Ernte am Ende wartet. An drei Teststandorten in Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Brandenburg sammeln Wissenschaftler des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) Fernerkundungsdaten von Sentinel-1 und -2, Flugzeugen oder Drohnen und verknüpfen diese mit digitalen Geländemodellen, Boden- und Klimaparametern sowie Ertragszahlen aus der Vergangenheit.

"Die Fernerkundungsbilder helfen etwa, Aussagen zu Grundwasservorkommen, Vitalität der angebauten Sorten und dem Bedeckungsgrad des Feldes zu treffen", erklärt Daniel Spengler, Geograf am GFZ. Bei Nährstoffmangel, Schädlingsbefall oder Krankheit produzieren Pflanzen weniger Chlorophyll, was zur Folge hat, dass sich die Reflexion elektromagnetischer Strahlung verändert. So erkennen Satelliten Probleme frühzeitig, und Landwirte können schnell reagieren.

"Ziel ist es, das langfristige Ertragspotenzial von Teilflächen – circa 30 mal 30 Meter – vorauszusagen und gleichzeitig den Einsatz von Saaten, Düngemitteln und Wasser effizienter zu machen", so Spengler. "Es entstehen Ertragspotenzialkarten, die Landwirte als Entscheidungshilfe heranziehen können." Etwa wenn es darum geht, welche Getreide- oder Gemüsesorten sie anbauen, wie oft der Boden beim aktuellen Wachstumszustand der Pflanzen bearbeitet werden sollte oder wie viel Dünger und Saatgut für jeden Feldabschnitt nötig ist.

Vorläufig profitieren allerdings nur ausgewählte Testbetriebe von AgriFusion. Sie unterstützen die Wissenschaftler darin, das Verfahren praxistauglich zu machen und die gesammelten Daten miteinander zu verknüpfen. Spätestens in drei Jahren soll ein Webmodul verfügbar sein, das Landwirten in Deutschland Daten zu Bodenbeschaffenheit, Sonneneinstrahlung und Pflanzengesundheit liefern kann. Die Augen im All sind damit ein weiterer Schritt hin zu einer Entwicklung, die Firmen wie Vista "Smart Farming" nennen: schlauen Ackerbau.

Die Landmaschinen der Zukunft wissen beispielsweise, welcher Teil eines Felds wie stark gedüngt werden muss. "Wenn wir so die Umweltbelastung durch den Ackerbau reduzieren, profitiert davon die gesamte Gesellschaft", sagt Vista-Chefin Heike Bach. Der Landwirt kann derweil, wenn er will, vom Fenster aus zuschauen: Die Maschinen der Zukunft werden in der Lage sein, vollautomatisch loszuziehen.

Doch nicht nur einzelne Felder, auch die globale Nahrungsmittelversorgung soll von den Spähern aus dem All profitieren. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen beobachtet zum Beispiel gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wie sich die Vegetation weltweit verändert, wo die Bodenqualität abnimmt, wo Überschwemmungen oder Dürren zu erwarten sind.

Droht ein Engpass, können andernorts vermehrt Pflanzen angebaut oder die Nahrungsmittelpreise subventioniert werden. "Erstmals erlauben diese Daten, auf nationaler Ebene Ernährungskarten mit aktuellen, akkuraten und detaillierten Informationen zu erstellen", sagt Francesco Holecz, Gründer des Schweizer Unternehmens Sarmap, das sich auf Satellitendaten von Reisfeldern spezialisiert hat.

So entdeckte Sentinel-1A Anfang 2016, dass die Reisproduktion im vietnamesischen Mekongdelta, einem der wichtigsten Anbaugebiete der Welt, drastisch abgenommen hat – ausgelöst durch den niedrigsten Wasserstand seit 90 Jahren. Da der Satellit dank seiner Radartechnik Feuchtgebiete besonders gut identifizieren kann, erkannten die Forscher, dass die Anbaufläche gegenüber dem Vorjahr um mehr als 270 000 Hektar geschrumpft sein musste – eine Abnahme um 16,7 Prozent.

Dieses Jahr könnte sich Ähnliches für Hirse in Australien wiederholen. Die Sentinel-Daten verrieten, dass die dortige Hirseernte dieses Jahr so schlecht ausfallen dürfte wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr, sagt Jacques Delincé, Chefstatistiker bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Satelliten haben einen ungewöhnlich trockenen Boden ausgemacht, und der ist Gift für die Hirse.

(bsc)