Der Roboter als Freund

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"Der Idee der künstlichen Intelligenz liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch ein rationales Wesen ist, dessen Verstand auf der Grundlage von Regeln und Logik funktioniert", erklärt Paul Verschure, neben seiner Rolle als Sprecher des RCC-Konsortiums Professor für Psychologie an der Pompeu-Fabra-Universität in Barcelona. In Wahrheit habe die Forschung an künstlicher Intelligenz den Wissenschaftlern aber klargemacht, "dass wir nicht so funktionieren", sagt Verschure, der als Wissenschaftler biologische Modelle von Wahrnehmung, Verhalten, Lernen und Problemlösung auf Maschinen und Avatare anwendet. Die Vertreter der "neuen KI" hätten dann in den achtziger Jahren beschlossen, dass man alles ablehnen müsse, was aus der klassischen KI kommt. "In der klassischen KI geht es um Regeln und die symbolische Repräsentation, um den reinen Geist ohne Körper. Also konzentrierten sie sich jetzt auf den Einfluss des Körpers und arbeiteten nicht mit Logik und Repräsentation. Das war eine – sagen wir mal – ziemlich naive Reaktion."

Beide Seiten hätten mit starken Dogmen gearbeitet, die jedoch die Wissenschaft von empirischen Befunden getrennt habe, argumentiert Verschure. "Und das ist der Unterschied zu unserem Ansatz. Es geht nicht um das eine oder das andere. Wir brauchen ein Paradigma, das beide Seiten zusammenbringt. Und das kommt aus empirischen Untersuchungen der fundamentalen Eigenschaft des Gehirns, die Realität wahrzunehmen."

Shrewbot, der kleine Roboter mit den Barthaaren, ist ein frühes Resultat dieser Forschung. Sein Vorbild ist der Tastsinn von Ratten und Mäusen. "Ratten sind Spezialisten im Tasten. Die Tasthaare bewegen sich ständig – sie werden ähnlich wie Fingerspitzen benutzt, die jemand verwendet, um ein Objekt abzutasten", sagt Tony Prescott, Professor für kognitive Neurologie an der University of Sheffield, der die Arbeiten an diesem Roboter leitet. "Sein Kontrollsystem ist nach dem Vorbild eines Rattenhirns aufgebaut. Es besteht aus Rückkopplungsschleifen – auf eine Aktion folgen Sinneseindrücke."

Nach diesem Prinzip funktioniert die Steuerung des Roboters: Die künstlichen Barthaare werden von Elektromotoren sanft hin und her geschwenkt. Ein "Hall-Sensor" an jedem Barthaar registriert die aktuelle Position jedes Haars. Kommt es zu Abweichungen von der Schwingung, weil das Barthaar ein Objekt getroffen hat, registriert der Controller das sofort, wendet den Kopf in Richtung Objekt und untersucht es eingehender. Zurzeit kann der Roboter erst verschiedene Oberflächen voneinander unterscheiden, aber schon bald soll er lernen, Objekte abzutasten wie ein Blinder.

"Sensomotorische Schleife" nennt Rolf Pfeifer, Informatikprofessor an der Universität Zürich, diesen Zusammenhang zwischen Aktion und Sinneseindruck. "Informationsverarbeitung in Lebewesen funktioniert nicht nach dem Schema Input, Verarbeitung der Information und dann Output", sagt Pfeifer. "Biologische Systeme sind ständig aktiv. Und nur indem sie aktiv handeln, induzieren sie Sinneseindrücke." Der Schweizer, der zu den Pionieren der von Verschure kritisierten "neuen KI" zählt, ist im Konsortium für den Schwerpunkt "morphologische Berechnung" zuständig. Hinter dem komplizierten Ausdruck steckt eine zunächst simple Beobachtung: "Nehmen Sie das menschliche Gehen", erklärt Pfeifer. "Es steuert nicht – wie bei einem Industrieroboter – den Winkel der Glieder, sondern globale Parameter wie die Steifigkeit der Muskeln. Die Muskeln sind weich, wenn das Bein vorwärts schwingt, und hart, wenn der Fuß auf den Boden trifft."

Ein Teil des Kontrollmechanismus für das Gehen steckt also im Körper selbst. Die mechanischen Eigenschaften des Roboters müssen nur so gewählt werden, dass sie diese Aufgaben quasi automatisch übernehmen. Das hat aber noch eine zweite, einschneidende Konsequenz: Während die Ingenieure Steuerung und Antrieb bislang als getrennte, aber präzise lokalisierte Einheiten betrachten konnten, sind beide in den neuen Maschinen nicht mehr getrennt – gar über den gesamten Roboter verteilt. "Es reicht also nicht, auf technische Durchbrüche zu setzen", sagt Pfeifer. "Wir brauchen auch theoretische, konzeptionelle Durchbrüche, um die Steuerung weicher Systeme zu verstehen."