Der Roboter als Freund

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Das "morphologische Computing", also das bewusste Ausnutzen der steuerbaren Materialeigenschaften, ist eine von drei Hauptsäulen, um die das gesamte Projekt organisiert ist. Die anderen Schwerpunkte sind die Forschungen zur "Empfindungsfähigkeit" und die sogenannte "Simplexity" – also die oft einfachen Regeln, die scheinbar komplexe Systeme zusammenhalten. Eine rund 300 Seiten starke Roadmap haben die Wissenschaftler verfasst, die festlegt, welche Fragestellungen bearbeitet werden und auf welchen Gebieten fundamentale Durchbrüche erzielt werden müssen, damit das Ziel erreicht werden kann.

Das Spektrum reiche von den Material- bis zu den Sozialwissenschaften, erklärt Projektsprecher Verschure. Die Forschungsgemeinschaft hat das Projekt in fünf Domänen aufgeteilt: Matter, Body, Brain, Mind, Society. Darin haben die Forscher 15 Gebiete definiert, in denen sie fundamentale Beiträge erarbeiten müssen – von der Energieversorgung über das Skelett und die Aktoren bis hin zu Fähigkeiten wie Lernen, Kognition und Emotion. Details der Roadmap will das Konsortium erst veröffentlichen, wenn die Wettbewerbsphase vorbei ist. "Schließlich ist das zurzeit unser wertvollster geistiger Besitz", sagt Verschure.

Wie die "Deployment Platform", der erste Prototyp des Konsortiums, am Ende aussehen wird, ist noch völlig offen. Die geforderte "Kompatibilität" mit dem Menschen muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass der maschinelle Helfer menschliche Züge tragen wird. Denn wir Menschen haben unsere Häuser, Städte, ja fast unsere gesamte Infrastruktur nach den menschlichen Bedürfnissen gestaltet – allein das simple Vorhandensein von Türschwellen und Türen mit Klinken macht das Fortkommen für Roboter in Wohnungen ungleich schwieriger als in Fabrikhallen. "Jeder Roboter, der in dieser Umgebung arbeitet, wird also morphologische Eigenschaften haben müssen, die menschenähnlich sind", sagt Verschure. "Aber es wird nicht nötig sein, dass diese Maschine so aussieht wie ein Mensch. Das wäre fantasielos. Wir wollen ja gerade erforschen, unter welchen Bedingungen Menschen bereit sind, mit Robotern zusammenzuleben."

Dieses Ziel in spätestens zehn Jahren zu erreichen, ist eine Mammutaufgabe. Wie wollen die Wissenschaftler das Projekt so koordinieren, dass alle Ressourcen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sind und weder Bürokratie noch persönliche Eitelkeiten das Vorhaben hemmen? "Ein Projekt dieser Größenordnung kann man nicht mit einer Top-down-Verwaltung managen", sagt Verschure. "Das war uns von Anfang an bewusst." Die Koordination der Arbeit in den einzelnen Themengebieten soll daher dezentral laufen; Kernstück der Selbstorganisation ist eine strenge wissenschaftliche Evaluation einmal im Jahr. Nicht nur die Roadmap wird jährlich auf ihre Gültigkeit überprüft und gegebenenfalls angepasst. Auch alle Forschungsarbeiten werden jährlich auf den Prüfstand gestellt – wobei peinlich darauf geachtet wird, die Überprüfung komplett von den organisatorischen Strukturen zu trennen. Niemand, der Forschungsgelder eines Unterprojekts verwaltet, soll zugleich die wissenschaftliche Nützlichkeit dieses Unterprojekts beurteilen. Denn von den Ergebnissen dieser Prüfungen hängt einiges ab: Wer keine wissenschaftlichen Resultate liefern kann oder die Kooperation anderer Gruppen behindert, muss das Konsortium wieder verlassen.

"Wir sind alle der Meinung, dass Gruppen, die nichts zum Fortschritt des Projekts beitragen, auch wieder aus dem Konsortium entfernt werden müssen", sagt Verschure. "Das gilt auch für mich selbst." An der mangelnden Entschlusskraft wird es jedenfalls nicht liegen, wenn die Forscher ihr Ziel nicht erreichen. Auch nicht an einem Mangel an Visionen. "Wir werden die europäische Wissenschaftslandschaft nicht nur für die nächsten zehn Jahre prägen, sondern für mehrere Dekaden", sagt Konsortiumsleiter Paolo Dario. "Wir glauben, dass die Idee empfindungsfähiger Maschinen auf der Basis biologischer Prinzipien eine komplett neue Wissenschaft entstehen lässt. Das Flagship-Projekt ist erst der Anfang." (wst)