Der Sinn der Musik

Für den Computer ist wilder Heavy Metal ebenso wie sanfter Blues zunächst einmal nur digitales Gezappel. Das System AudioID soll das ändern - und könnte das ganze WWW intelligenter machen

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Von
  • Max Rauner
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Karlheinz Brandenburg hat von seinen 200 CDs ungefähr jede Dritte im MP3-Format auf Festplatte gespeichert. So weit, so normal. Doch in einem unterscheidet sich der Fraunhofer-Forscher von den vielen Millionen Leuten, die wie er das Platz sparende Kompressionsformat nutzen: Vor rund 15 Jahren war er an der Entwicklung des Standards maßgeblich beteiligt. MP3 wurde ein Welterfolg, die Fraunhofer-Gesellschaft reich und Brandenburg berühmt.

Mit einem neuen Projekt will der Mathematiker nun Computer zu echten Musikexperten machen. Brandenburgs Mitarbeiter haben ein Verfahren entwickelt, das Musikstücken einen digitalen Stempel aufdrückt. AudioID heißt das System. Kombiniert mit der richtigen Datenbank, unterscheidet der virtuelle DJ die Scorpions von Miles Davis. Sogar den gleichen Song von zwei unterschiedlichen Elton-John-Konzerten soll das Computerprogramm auseinander halten können. Es sortiert die CD-Sammlung, erkennt Popsongs übers Handy, überwacht das Urheberrecht und sichert die Abrechnung von Nutzungsgebühren.

Wenn Brandenburgs Kreativlabor ein neues Baby in die Welt setzt, lohnt es sich hinzuschauen. Seit Anfang des Jahres leitet der junge Professor das neu gegründete Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) in Ilmenau. Bis der Neubau fertig ist, liegt das Institut in einer provisorisch eingerichteten Etage im sechsten Stock eines Ilmenauer Plattenbaus, mit Blick auf den Thüringer Wald. "Diplomanden gesucht für die Technologie der Unterhaltungselektronik", steht dort am schwarzen Brett. Brandenburg sitzt in einem engen Büro und faltet immer wieder unruhig die Hände. Auf dem Schreibtisch steht ein kleiner Gipskopf von Albert Einstein, die Zunge rausgestreckt, als wolle er mahnen: Nicht einrosten, Karlheinz.

Als Brandenburg Anfang der 90er Jahre MP3 vorstellte, ahnte niemand, was daraus werden könnte. Erst mit dem World Wide Web, das die Massen ins Internet lockte, entwickelte sich das Kompressionsverfahren zum durchschlagenden Erfolg und inspirierte Tauschbörsen wie Napster, die eine völlig neue Dimension der Internet-Nutzung eröffnet haben.

Mit AudioID gibt Brandenburg den Bits ein Gesicht. Neu daran ist, dass die Software weder Suchfelder ausliest noch digitale Wasserzeichen benötigt. AudioID analysiert den Inhalt selbst - die Musik: den Rhythmus, die Instrumente, die Dynamik. Das Programm liefert den unverwechselbaren digitalen Fingerabdruck eines Musikstücks.

Das klingt zunächst nach einem netten Gimmick für Freaks. Und doch bieten Programme wie AudioID einen Vorgeschmack auf das World Wide Web der Zukunft.

In den letzten Jahren ist die Menge audiovisueller Daten, von MP3-Files über digitale Fotos bis zu Videos, förmlich explodiert. Kein Mensch kann die Datenflut mehr katalogisieren und effizient verwalten, dazu braucht es Computer. Und es braucht Verfahren, die nicht bloß Daten verarbeiten, sondern Inhalte bis zu einem gewissen Grad auch verstehen können. Die Vision ist das "semantische Web", seit Jahren propagiert von WWW-Erfinder Tim Berners-Lee: ein Netz, das auf universellen Regeln für die Repräsentation von Wissen basiert. Ein Netz, in dem eines Tages Agentenprogramme Informationen austauschen können wie Menschen.

Der Weg dorthin führt über eine gemeinsame Sprache für die Beschreibung von digitalen Inhalten. Bei audiovisuellen Daten ist das noch viel schwieriger als bei Text: Woran erkennt ein Computer einen Sound? Wie eine Torszene in einem Video?