Der Windgott und seine Erntehelfer

Busse und Lastwagen machen buchstäblich viel Wind. Bauingenieur Kerem Deveci will aus dieser Not eine ­Tugend und aus dem Fahrtwind Strom machen.

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Der Windgott und seine Erntehelfer

Die Turbine auf dem Mittelstreifen nutzt den Fahrtwind vorbeifahrender Busse.

(Bild: Deveci Tech)

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Das Start-up Enlil – benannt nach dem sumerischen Windgott – entwickelt eine vertikale Kleinturbine für fahrtwindträchtige Strecken.

Die Inspiration zu den Windmühlen kam dem Bauingenieur Kerim Deveci bei einer Busfahrt zur Universität. „Mir fiel auf, dass die aneinander vorbeifahrenden Busse ungeheuer viel Fahrtwind erzeugten“, sagt er. Sobald er zu Hause war, begann er über Windräder zu recherchieren. Den ersten Prototyp eines Vertikalläufers baute er in seinem Zimmer.

Ein deutlich fortgeschritteneres Modell testete er von 2018 bis 2019 in Istanbul auf dem Mittelstreifen zwischen zwei Busspuren. Was aussieht wie ein Windspiel, erzeugt unter optimalen Bedingungen bis zu zwei Kilowatt Leistung. An einem durchschnittlichen Tag sollen so etwa zwölf Kilowattstunden zusammenkommen – genug, um mit mehr als einem Dutzend Maschinen Wäsche zu waschen. Ihre Größe und Form mache die Anlagen für den Einsatz an Autobahnen und Schnellstraßen mit gegenläufigen, langsamen Windströmen geeignet, so Deveci.

Seine Variante eines Darrieus-Helix-Rotors besteht aus drei gebogenen, je drei Meter langen Blättern, die um eine aufrechte Achse herum angeordnet sind. Die insgesamt vier Meter hohe Enlil-Anlage beginnt sich schon bei einem lauen Lüftchen mit einer Windgeschwindigkeit von knapp acht Kilometern pro Stunde zu bewegen. Sie leitet den Windfluss nach oben weiter und wirft ihn nicht auf die Fahrzeuge auf der gegenüberliegenden Fahrbahn.

Vertikal-Windturbinen sind zwar weniger effizient als klassische, große Horizontalanlagen. Dafür müssen sie nicht passend zur Hauptwindrichtung ausgerichtet werden, sondern können ihn aus allen Richtungen nutzen. „Durch die Anordnung verteilt sich die Windlast gleichmäßig auf die Blätter und die Turbinenstruktur“, erklärt Deveci.

Die Pilottests sollen nicht nur verraten, welche Fahrzeuggrößen und Fahrgeschwindigkeiten wie viel Strom erzeugen. Die Windanlagen können auch mehr als nur Strom liefern – zum Beispiel mit Sensoren Informationen über den Verkehrsfluss und Umweltdaten wie den CO2- und den Feuchtigkeitsgehalt der Luft sowie die Temperatur sammeln. Denkbar seien auch Sensoren, die Erdbeben melden. Istanbul liegt an der Grenze zwischen der Eurasischen und der Anatolischen Erdplatte.

Devecis Windturbinen sollen ihren Strom ins Netz einspeisen und als lokale Stromgeneratoren dienen, etwa für die Beleuchtung der Autobahnen. „Wenn eine Laterne 80 bis 100 Watt verbraucht, könnte eine Enlil-Anlage 15 bis 20 von ihnen auf einer Strecke von 500 Metern versorgen“, sagt Deveci. Denkbar sei ihr Einsatz auch entlang von Zugstrecken. Wenn nachts kein Auto oder Zug fährt, „könnte man die Lampen temporär ausschalten“, schlägt Deveci vor.

In Istanbuls notorisch windigen Straßenschluchten weht aber auch ohne Verkehr viel Wind. Als Nächstes will der Ingenieur deshalb testen, ob allein dieser Luftzug als Energiequelle für seine Anlagen ausreicht. Die bisher gemessenen Winddaten sprächen dafür, so der Ingenieur.

(bsc)