Didacta-Verband: Täglich 2-3 Terabyte an Daten, die wir nicht ausreichend nutzen

Auf der Didacta steht dieses Mal die Demokratiebildung im Fokus. Die Techniknutzung im Bildungssektor ist nicht mehr wegzudenken, aber sie öffnet neue Flanken.

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(Bild: Shutterstock.com/ View Apart)

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Inhaltsverzeichnis

Die diesjährige Didacta findet vom 11. bis zum 15. Februar in Stuttgart statt. Vor Beginn der größten Bildungsmesse Europas konnte heise online den Präsidenten des Didacta-Verbands, Dr. Theodor Niehaus, zu aktuellen Bildungsthemen und dem Leitthema der Didacta befragen.

Dr. Theodor Niehaus, Präsident des Didacta-Verbands
Dr. Theodor Niehaus, Präsident des Didacta-Verband

(Bild: 

Thomas B. Jones

)

Dr. Theodor Niehaus ist Experte für die berufliche Bildung in Deutschland und im Ausland. Der promovierte Ingenieur ist seit rund 30 Jahren in der Bildungsbranche tätig, vor allem im Bereich der Lehr- und Lernmittel für die berufliche Bildung. Niehaus war Vorstand der Festo Didactic SE und Gründer von WorldSkills Germany.

Die Didacta 2025 widmet sich mit dem Leitthema "Demokratie braucht Bildung – Bildung braucht Demokratie" einem hochaktuellen Thema, da nicht nur national, sondern auch international Kräfte an die Macht kommen und kommen wollen, die Demokratien offenbar gezielt destabilisieren und zerstören wollen – etwa mit Fake News und Troll-Kampagnen. Da unter anderem große Digitalkonzerne und Plattformbetreiber Räume geschaffen haben, die für die Zersetzung von Demokratien genutzt werden, stellt sich die Frage, inwieweit sich das deutsche Bildungssystem bei der Digitalisierung zu sehr von solchen Konzernen und Betreibern abhängig gemacht hat oder diese zu sehr in die eigene Arbeit einbindet. Wie sehen Sie Bund und Länder in dieser Gemengelage aufgestellt? Gibt es einen Lock-in, der sich nur schwer zurückdrehen lässt?

Während einige Bundesländer im Bereich Digitalisierung das Thema Datenschutz primär betrachten, sind andere Bundesländer zusätzlich dabei, über Landeslizenzen den Schulen interessante Lern- und Infrastruktursoftware bereitzustellen. Leider haben einige Bundesländer auch damit begonnen, Lernplattformen und Schulsoftwarelösungen selbst zu entwickeln, obwohl die Bildungswirtschaft hier sehr gute Angebote hat.

Ist das Vertrauen in einige Anbieter zu groĂź oder zu groĂź gewesen?

Nein.

Weshalb halten Sie die Selbstentwicklung von Schulsoftwarelösungen für einen Fehler? Kann nicht gerade diese auch Abhängigkeiten von internationalen Konzernen verhindern?

Wir haben in Deutschland viele gute Anbieter und StartUps, die hervorragende innovative Lösungen für Schulen anbieten, da brauchen wir weder internationale Konzerne noch Wettbewerb durch den Staat. Der Staat sollte nicht als Unternehmer auftreten und eigene Tools entwickeln, sondern – im Sinne einer klaren Trennung zwischen staatlicher Regulierung und Marktmechanismen – entsprechende Leistungen in offenen Verfahren vergeben. Vielmehr sollte er schnellstmöglich verlässliche Regularien und damit Rechtssicherheit für den Einsatz der bestehenden und für die passgenaue Entwicklung neuer KI-Systeme schaffen.

Sollten Lehrkräfte dazu angehalten werden, bestimmte digitale Angebote nicht mehr im Unterricht zu nutzen?

Wir empfehlen, den Schulen ausreichend Kompetenz und Freiräume zu geben, um selbst über die einzusetzenden Lehr – und Lernsoftware und über weitere digitale Tools zu entscheiden.

Wie sollte das deutsche Bildungssystem auf Ereignisse wie in den USA reagieren, wenn Mark Zuckerberg von Meta bei einem Regierungswechsel Grundpfeiler einer vorher verhandelten Netzethik herausreiĂźt, also unter anderem Faktenchecks beendet?

Wichtig ist zunächst, Lehrkräfte zu befähigen, Schülerinnen und Schülern die Tragweite dieser Entscheidungen vermitteln zu können. Empfehlungen der KMK, die zeitnah an die Lehrkräfte gegeben werden, könnten hierbei helfen.

Es wird Personen geben, die aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage Bildungseinrichtungen erneut zu digitalfreien Zonen erklären wollen. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Die Kultur der Digitalität umfasst alle Gesellschaftsbereiche sowie alle Altersgruppen und beeinflusst nachhaltig, wie wir unser Leben jetzt und in Zukunft gestalten. Wir im Didacta-Verband sind der Meinung, dass daher die nötigen technologischen Fähigkeiten und Fertigkeiten als entscheidende Zukunftskompetenzen in den Schulen vermittelt werden sollten. Für eine qualitativ hochwertige digitale Bildung, zu der übrigens auch Medienkompetenz und kritisches Denken gehören, braucht es allerdings folgende drei Säulen:

a) medienpädagogische Konzepte, die die Bedingungen der Digitalität berücksichtigen
b) belastbare digitale IT-Infrastrukturen, Ausstattung und technischen Support
c) qualifiziertes pädagogisches Personal

Mit den richtigen Konzepten können wir Schülerinnen und Schüler bestmöglich darauf vorbereiten, sich sicher und mündig in einer Welt der Digitalität zu bewegen.

Wie weit sind die Schulen aus Ihrer Sicht bei der Bereitstellung dieser drei Säulen bisher gekommen?

Am weitesten fortgeschritten sind unserer Erfahrung nach die Infrastrukturen und die Ausstattung – wobei es auch hier noch enormes Verbesserungspotential gibt. Die medienpädagogischen Konzepte existieren, allerdings wird es noch Zeit und das entsprechende Personal benötigen, um diese flächendeckend umsetzen zu können.

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Wie steht der Didacta-Verband zu nationalen und internationalen Bestrebungen, Geräte wie Smartphones und Tablets wieder aus dem Schulalltag zu verbannen? Ist die Lernkultur tatsächlich ohne diese Endgeräte besser – und wenn ja, sollte es eine Kursanpassung über die KMK geben?

Uns geht es in dieser Frage nicht um ein "Entweder-oder", sondern um ein "Sowohl-als-auch". Wir verstehen digitale Bildung als ganzheitliches Bildungskonzept, mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche zur Partizipation in einer Kultur der Digitalität zu befähigen.

Ist unser Blick auf die aktuellen Schülerinnen und Schüler in Sachen digitaler Kompetenz womöglich fehlgeleitet? Erziehungsberechtigte besorgen Geräte und stellen oft einen Internetzugang zur Verfügung. Sie erlauben oder verbieten die Nutzung von Endgeräten. Müssten Eltern mehr Verantwortung für Medienbildung übernehmen? Ist die Diskussion um Endgeräte in den Schulen also eigentlich eine falsche?

Wie der generelle Bildungserfolg steht auch die Medienbildung oft in engem Zusammenhang mit dem Elternhaus. Natürlich haben die Erziehungsberechtigten eine Verantwortung, ihren Kindern den Umgang mit Medien zu erläutern, Chancen und Herausforderungen zu erklären. Doch wir sehen auch einen klaren Bildungsauftrag in der Schule. In diesem Zusammenhang geht es nicht um die Frage, ob Endgeräte genutzt werden, sondern wie und in welchem Umfang.

Die Digitalisierung im Bildungssystem soll auch den Fachkräftemangel abfedern helfen. Ist das ein Fehlschluss? Zeigen neuere Erkenntnisse und politische Entwicklungen, dass es mehr denn je wichtig ist, dass sich Menschen um Menschen kümmern, vor Ort und konkret?

Lehrkräftemangel und die zunehmend heterogene Schülerschaft stellen Lehrende vor große Herausforderungen, bei denen digitale Lösungen der Bildungswirtschaft aber unterstützen könnten. Durch digitale Planungen und Kommunikation, KI-generierte Lernmaterialien für die gezielte Förderung von Schülerinnen und Schülern und die Evaluation der individuellen Lernstände könnten Lehrkräfte Zeit sparen und entlastet werden. So bleibt mehr Zeit für individuellen Kontakt und Beziehungsarbeit, die für erfolgreiches Lernen essenziell ist. Insofern kann die Digitalisierung den zwischenmenschlichen Kontakt sogar stärken.

Es gibt mittlerweile einige KI-Tools für Lehrkräfte. Wie sind damit bisher die Erfahrungen unter Lehrkräften? Bedürfen KI-generierte Lernmaterialien viel Nacharbeit oder sind sie schon so gut, dass sie wirklich Arbeit ersparen? Und damit eine KI den individuellen Lernstand eines Kindes erfassen und dann darauf reagieren kann, müssen viele Daten erhoben werden. Sehen Sie darin kein Problem?

KI-Tools erhöhen die Produktivität von Lehrkräften für Korrekturen, Texte, Arbeitsblätter, Dokumente, Bilder und Sprache. Voraussetzung sind

a) Schul-/Landeslizenzen
b) Datenschutz
c) vor allem die KI-Kompetenz der Lehrkräfte.

Für all dieses hat die Bildungswirtschaft gute Angebote. Die Nacharbeit liegt vor allem in der Kreativität der Lehrkräfte im Umgang mit den KI-Tools.

Ich bin überzeugt, dass wir den Schulen mehr Freiräume geben müssen, aber nur, wenn wir die dann notwendigen Entscheidungen datenbasiert unterstützen: was läuft gut, was steigert den Lernerfolg nicht? In unseren Schulen fallen jeden Tag 2-3 Terabyte an Daten an, die wir nicht ausreichend nutzen. Wir warten dann lieber auf den nächsten PISA Schock.

Wer sollte Ihrer Meinung nach diesen Datenschatz heben und auswerten? Gibt es da schon Ideen?

Wir empfehlen den Aufbau einer Datenraum-Infrastruktur analog zu den Datenräumen im Automobilsektor wie GAIA-X. Warum nicht auch ein EDU-X Datenraum aufbauen und für Schulen nutzbar machen.

KI wird auch von Suchmaschinenanbietern eingesetzt, um automatisiert Zusammenfassungen von Inhalten anzuzeigen. Diese Zusammenfassungen sind manchmal falsch oder verbergen teils wichtige Details. Ist das Internet als Recherchetool in Zeiten von Fake News und fehleranfälligen KI-Generierungen eigentlich noch im Schulalltag zu empfehlen?

Wichtig ist in diesem Zusammenhang doch vielmehr, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, Fake News zu erkennen und sich korrekte Informationen zu beschaffen. Digitale Tools können dabei helfen, diese Fähigkeiten zu schulen.

Könnte der Einsatz von KI in Schulen nicht trotzdem zu viele Risiken bergen?

Für uns als Verband der deutschen Bildungswirtschaft stehen die Chancen im Vordergrund, insbesondere die mögliche Entlastung der Lehrkräfte durch KI sowie die Potenziale für das individualisierte Lehren und Lernen. Wichtig ist jedoch, dass die Mechanismen von KI grundlegend verstanden sowie der Einsatz der entsprechenden Tools aktiv gestaltet und deren Nutzen kritisch-konstruktiv überprüft werden. Wir empfehlen daher, die Bildungspläne und die curricularen Vorgaben aller Fächer und Schulstufen in allen Schularten bundesweit zu ergänzen und zu erweitern. Regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte und eine klare Regulierung des Einsatzes von KI gehen damit einher.

Der neue Digitalpakt 2.0 verspricht vieles vom Alten: Weiterhin werden einige Schulen überhaupt erst mit einem Zugang zum Internet versorgt, die Lehrkräftefortbildung geht weiter und Bund und Länder sollen sich gleichermaßen an den Kosten beteiligen. Welche Beschlüsse heißt der Didacta-Verband im Rahmen des Digitalpakt 2.0 gut? Wo bestehen noch Unsicherheiten?

Wir setzen auf die neue Bundesregierung, die den Digitalpakt 2 und die dazu notwendigen Budgetmittel noch beschließen muss und hoffentlich wird. Erfreulich ist, dass jetzt auch Dienstleistungen finanziert werden. Diese sind zwingend notwendig, damit die Geräte, Software und Infrastruktur reibungslos laufen und die Schule sich auf den Bildungsbetrieb konzentrieren kann.

Wie groß ist bei Ihnen die Sorge, dass die im Dezember veröffentlichten Vereinbarungen durch die neue Regierungsbildung wieder aufgekündigt werden könnten?

Das Paket ist mit der KMK verabredet und steht. Sorge besteht in der gegebenenfalls nicht gesicherten Budgetierung.

Im Wahlkampf scheint das Thema Bildung völlig vom Thema Migration verdrängt worden zu sein. Wieso erhält Bildung aus Ihrer Sicht politisch und medial so wenig Aufmerksamkeit?

Größte gesellschaftliche Herausforderungen und globale Krisen fordern unsere Ressourcen und erzwingen akuten Handlungsbedarf. Bei der Bildung scheint aber oft der Satz zu gelten: "There’s no glory in prevention". Bildung ist eine langfristige Investition, deren Auswirkung man oft nicht unmittelbar messen kann. Gleichzeitig ist Bildung der Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft in einer freien, emanzipierten und demokratischen Gesellschaft. Deshalb müssen wir endlich die gesellschaftlichen Kräfte bündeln und die Bildung der Kinder, Jugendlichen und auch Erwachsenen zur Hauptaufgabe machen. Denn nur eine starke Bildung, die auf nachhaltigen, inklusiven und demokratischen Werten beruht, ermöglicht es uns, Herausforderungen wie die Klimakrise, die Schere zwischen Arm und Reich oder den Fachkräftemangel erfolgreich zu meistern.

Marina Weisband ist Bildungsbotschafterin der didacta 2025*. Ihr Projekt aula widmet sich der Demokratiebildung in Schulen und wie eine digitale Partizipation aussehen kann. Das Angebot wurde entwickelt, weil Schulen sich offenbar bisher nicht ausreichend diesen Themen widmen können. aula zeigt hier eine Lücke auf. Sollte Demokratiebildung viel stärker im Bildungswesen verankert werden und wie?

Wir sehen einen enormen Bedarf an Demokratiebildung in den Schulen. Es gibt zahlreiche Initiativen und Organisationen, die sich hierfür einsetzen und auch auf der diesjährigen didacta in Stuttgart vertreten sind. Stiftungen, Museen, Vereine oder Erinnerungsorte sind als außerschulische Lernorte ideal, um Demokratie erlebbar zu machen und das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler dafür im Alltag zu stärken. Wenn Schulen sich mit diesen Lernorten stärker vernetzen, gewinnen Kinder und Jugendliche ein lebendiges Verständnis für Demokratie.

[Update, 12.02.2025: *Marina Weisband hat die Auszeichnung zur Bildungsbotschafterin der Didacta vor Ort abgelehnt, da dort die Partei AfD als Hauptaussteller vertreten ist. Das hatte die Messe schon im Vorfeld belastet. Einige Aussteller und regelmäßige Besucherinnen und Besucher boykottieren deshalb die diesjährige Didacta.]

Was sind für Sie die Highlights der diesjährigen Didacta? Worauf können sich Besucherinnen und Besucher besonders freuen?

Unsere Sonderschau "Demokratie braucht Bildung!" lädt ein, Demokratie aktiv zu erleben: Vielfältige Bildungsmedien, Unterrichtsmaterialien, Bücher und Lernspiele unserer Mitglieder, die demokratische Werte und Kompetenzen vermitteln, können hier entdeckt werden.

Forschen, Tüfteln und Entdecken können die Besucher und Besucherinnen der Sonderschau "Lernen zum Anfassen". Die außerschulischen Lernorte im Didacta-Verband und ihre Partner präsentieren hier ein großes Spektrum an Mitmachangeboten, die in den Unterricht integriert werden können. "Lernen zum Anfassen" bietet Workshops und Aktionen aus den Bereichen Natur, Technik, Gesellschaft, Geschichte, Sport und Kultur.

Bei unserer Podiumsdiskussion "Grundrecht Bildung: Zukunftsressource oder Sparposten?“ wird die anhaltende Frage nach der richtigen und nachhaltigen Finanzierung von Bildungsinstitutionen und -maßnahmen erörtert. In der Diskussion werden die aktuellen Herausforderungen, Chancen und Lösungsansätze im Bereich der zukunftssichernden Bildungsfinanzierung beleuchtet.

Dieses Interview wurde per E-Mail gefĂĽhrt.

Auf der Didacta werden Angebote sowohl zur schulischen als auch außerschulischen Bildung gezeigt. Zudem umspannt sie die frühkindliche Bildung bis zur akademischen Laufbahn. Im Jahr 2024 besuchten rund 63.000 Menschen die Didacta in Köln. Dort wird sie auch wieder im Jahr 2026 stattfinden – vom 10. bis 14. März. Es gibt einen steten Wechsel zwischen den Messestandorten Köln und Stuttgart.

(kbe)