Die Coder-Kids aus Afrika

Seite 2: Die Stunde der afrikanischen Programmierer

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Hier schlägt die Stunde der afrikanischen Programmierer. Sie kennen die technologischen Hindernisse aus eigener Erfahrung – und tüfteln etwa daran, die Funktionen von Smartphones auf Einfachhandys zu übertragen. Das funktioniert zum Beispiel mit der sogenannten dialogischen Suche. Man schickt ein Stichwort per SMS an eine zentrale Kurzwahlnummer, hinter der ein Algorithmus in einer Datenbank nach Informationen sucht. Diese kommen dann wieder per SMS zurück. Die Antwort-SMS enthält Mobilnummern, mit denen sich genauere Auskünfte abfragen lassen. So kann sich ein Kunde durch lokale Angebote von Handwerkern, Händlern, Banken und Behörden texten. Selbst Google-Suchen und Facebook-Dialoge sind durch ähnliche Anpassungen auf Einfachhandys möglich.

Zudem kennen die Programmierer vor Ort die lokalen Bedürfnisse. Auf die Idee zu der App "Talk to Me" etwa wäre ein westlicher Digitalkonzern wohl nie gekommen. Sie hilft Kindern, Wörter richtig auszusprechen. Durchaus eine wichtige Funktion, denn die meisten Afrikaner müssen von den 1500 bis 2000 Sprachen des Kontinents vier bis acht beherrschen, um sich in ihrer Region verständigen zu können. Letztes Jahr gewann ihr Entwickler, der gerade einmal zehnjährige Panache Jere, mit der App einen Preis beim Hackathon TNM Smart Challenge, ausgerichtet vom Mobilfunkbetreiber in Malawi. Der Gewinn führte ihn zur Facebook-Konferenz F8 im Silicon Valley, wo er Mark Zuckerberg traf.

Panache hat bei mHub, Malawis erstem Technologie- und Innovationszentrum in Lilongwe, programmieren geübt. Dessen Gründerin, die 31-jährige Informatikerin Rachel Sibande, ist fest davon überzeugt, dass die richtige Technologie auch in Malawi das Leben der Menschen erleichtern kann. Denn zuvor hatte sie schon mobile SMS-Dienste für Landwirtschaftspreise und zur Beglaubigung von Fingerabdrücken für die Parlamentswahlen 2014 entwickelt, die ganz nebenbei zu Social-Media-Plattformen für politische Debatten mutierten.

Sibande will Kindern aber nicht nur programmieren beibringen, sondern auch kritisches und unternehmerisches Denken: "Denn unsere Schulen ermutigen junge Menschen nicht gerade, innovativ zu werden. Da lernen sie nur etwas auswendig und geben das Gelernte zurück." Die Anschubfinanzierung für den Unterricht hat die niederländische Entwicklungshilfeorganisation Hivos geleistet. Mit diesem Geld baute Sibande zunächst eine kommerzielle Software-Abteilung auf, die Apps, Webseiten und Systemplanungen für Unternehmen in der Hauptstadt entwickelt. Der damit inzwischen erwirtschaftete Gewinn fließt in die kostenlose IT-Ausbildung. "Bis heute haben wir mehr als 400 Kinder ausgebildet, davon 193 Mädchen", berichtet Sibande.

Eines davon ist Caroline Wambui aus Mukuru kwa Njenga, einem Slum vor Nairobi. Ihr Onkel starb an Nierenversagen, weil sich kein passender Spender fand. Das war für sie Antrieb genug, die neu angeschafften Schulcomputer zur Entwicklung einer App für Organspender und Kliniken zu nutzen. Gleichzeitig sah sie die Möglichkeit, den illegalen Organhandel in den Hinterhofkliniken ihres Viertel zu beenden. Jetzt testen staatliche Kliniken die App. Ein ähnliches Beispiel kommt von Temie Giwa-Tubosun aus Nigeria: Mit ihrer App "LifeBank" halten Krankenhäuser heute Kontakt zu Blutspendern, um sie bei Engpässen einberufen, testen und zur Ader lassen zu können. Wie schwer es nämlich für Nigerias Krankenhäuser ist, rechtzeitig die richtigen Blutkonserven zu finden, wurde Wambui nach der komplizierten Geburt ihres Sohnes vor drei Jahren bewusst, als sie selbst darauf angewiesen war.

Noch kämpft Afrikas App-Ökonomie jedoch mit einem Problem: Viel verdienen lässt sich mit den Digitaldiensten wohl nicht – trotz wachsender Wirtschaftskraft. Denn die Mini-Programme werden üblicherweise via Bluetooth, WiFi oder USB-Kabel von Gerät zu Gerät weitergegeben. Zentrale Marktplätze für den Verkauf der Apps gibt es nicht. Sowohl Apple als auch Google halten ihre Stores für Subsahara-Afrika verschlossen – aus Steuergründen. Jedes Land hat seine eigenen komplizierten Steuergesetze und möchte darüber hinaus durch Sonderregelungen für die Internetgiganten an deren Profiten teilhaben.

Wie groß die Bedeutung der Digitalbranche für Afrika ist, "lässt sich nur schwer abschätzen", sagt Heinrich Krogman, Wirtschaftswissenschaftler und Forscher bei der Politik- und Wirtschaftsberatungsgruppe Tutwa in Pretoria. Er hat sich mit der wirtschaftlichen Bedeutung von mobilen Apps beschäftigt und weiß, wie "schwierig es ist, echte Daten zu finden". Allerdings sieht er Hinweise darauf, dass einige der Anwendungen sich gut entwickeln.

Wichtiger als der reine Umsatz könnten jedoch die indirekten Auswirkungen der Apps sein. "Der Zugang zur mobilen Kommunikation eröffnet vor allem Frauen neue Möglichkeiten", schreibt Krogman in einer seiner Studien. "Sie können jetzt selbst Unternehmen gründen, sich zumindest einfache Verdienstmöglichkeiten durch Fernverkauf eröffnen und müssen deshalb nicht bei Arbeitgebern nach Anstellung suchen." Wer die Webseiten der zahlreichen Co-Working-Spaces, Start-up-Akzeleratoren und Hubs liest, bekommt tatsächlich den Eindruck: Die soziale Mission ist vielen der afrikanischen Coder wichtiger als der finanzielle Gewinn, der sich damit erzielen lässt. (bsc)