Die Dompteure der Superviren

Forscher erschaffen Viren, die ansteckender und leichter übertragbar sind als in der Natur, um etwa mit Impfstoffen auf Epidemien vorbereitet zu sein. Entkämen die Keime aber, könnten sie genau die auslösen. Ist die Forschung das Risiko wert?

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Von
  • Tanja Krämer
Inhaltsverzeichnis

Forscher erschaffen Viren, die ansteckender und leichter übertragbar sind als in der Natur, um etwa mit Impfstoffen auf Epidemien vorbereitet zu sein. Entkämen die Keime aber, könnten sie genau die auslösen. Ist die Forschung das Risiko wert?

Als Ron Fouchier das Podium betritt, wird es still im Raum. Dutzende Gesichter wenden sich dem Niederländer zu, Journalisten zücken ihre Aufnahmegeräte. Es ist Mitte Dezember, ein Kongress in Hannover. Das Who's who der Virenforschung hat sich versammelt, um über die brennendste Frage ihres Faches zu diskutieren. Es geht um viel. Um Geld, Reputation, die Wahrheit – und glaubt man einigen der Redner, womöglich sogar um die Zukunft der ganzen Welt. Die Frage lautet: Wie weit dürfen Forscher gehen, um die Menschheit vor Krankheiten zu bewahren? Und was passiert, wenn Forschung am Ende mehr schadet als nützt?

Im Mittelpunkt der Debatte steht die Arbeit von Wissenschaftlern wie Ron Fouchier. Der Virologe von der Universität Rotterdam erforscht Grippeviren, die zu den hartnäckigsten Krankheitserregern der Menschheit gehören. Weil sie sich rasend schnell verändern, können wir keinen dauerhaften Immunschutz gegen sie aufbauen. Auch Impfstoffe wirken nur kurz – bis ein neuer, mutierter Erreger die Runde um den Globus macht. Die Influenza hat immer wieder schwere Pandemien ausgelöst.

Als Fanal gilt die Spanische Grippe, die von 1918 bis 1920 geschätzte 40 bis 50 Millionen Menschen tötete. Weitere Epidemien 1957, 1968, 2002 und 2009 löschten zusammen noch einmal fast drei Millionen Leben aus. "Als Hauptkandidat, der eine zukünftige Pandemie auslösen könnte, gilt das H5N1-Virus, das sogenannte Vogelgrippevirus", sagt der Virologe Hans-Dieter Klenk von der Philipps-Universität Marburg. Etwa die Hälfte der Menschen, die daran erkrankten, starb. Bislang gibt es nur wenige Infektionen, denn das Virus hat eine Schwäche: Es überträgt sich nicht durch die Luft auf Säugetiere. Zumindest nicht in der Natur.

Im Hochsicherheitslabor von Ron Fouchier existiert seit 2011 aber genau diese gefürchtete Variante. Der Forscher hat sie selbst gebaut, mit relativ überschaubarem Aufwand: Sein Team veränderte das Erbgut von H5N1 an nur drei Stellen und infizierte damit in einem Pilotversuch Frettchen. Sie gelten als gute Tiermodelle für den Menschen, unter anderem, weil sie niesen, wenn sie Schnupfen haben. Nach einigen Tagen entnahm Fouchier aus ihren Schleimhäuten Viren und infizierte damit weitere Tiere. Nach zehn solchen Passagen hatten die Erreger die gesuchte Mutation geschafft: Sie sprangen mithilfe der Frettchen-Nieser von Käfig zu Käfig, sechs von acht Tieren wurden krank. Insgesamt hatten fünf Mutationen genügt, um aus dem normalen Vogelgrippevirus ein potenzielles Pandemie-Virus zu machen.

Seine Studie machte Ron Fouchier weltbekannt – als eine Art Frankenstein, der die Welt, wenn auch in guter Absicht, in größtes Unheil stürzen könnte. Er aber verteidigt sich: "Die Experimente, die wir im Labor machen, sind nicht gefährlicher als die Experimente, die die Natur selbst täglich anstellt", sagt er. Und fügt an: "Meine Arbeit war der einzige Weg zu zeigen, dass H5N1 in der Lage ist, auf diese Weise zu mutieren." Gain-of-function nennt man diese Art der Forschung: Viren oder Bakterien werden genetisch so manipuliert, dass sie zusätzliche Fähigkeiten gewinnen. Die Methodik ist ein bewährtes Arbeitsmittel.

Man praktiziert sie seit den neunziger Jahren, um herauszufinden, wie Erreger funktionieren. Denn die Forschung hinkt der Natur stets einen Schritt hinterher. "Erst wenn wir verstehen, wie Viren es schaffen, sich durch die Luft zu übertragen, können wir versuchen vorherzusagen, welche Stämme in Zukunft Pandemien auslösen werden – und diese bekämpfen, bevor sie entstehen", sagt Fouchier. Tatsächlich wurden einige Mutationen, die er im Labor erzeugte, bereits bei Viren in der Natur nachgewiesen. Ob diese kurz vor dem Sprung stehen, dem Menschen gefährlich zu werden, ist jedoch unklar.

Fouchier ist nicht der Einzige, der diese Art der Virenforschung betreibt. Sein Kollege Yoshihiro Kawaoka von der Universität von Wisconsin in Madison arbeitet ebenfalls an H5N1 und publizierte nahezu zeitgleich seine Ergebnisse. Andere Wissenschaftler manipulieren das Grippevirus H7N1 und erkunden die Übertragung der gefährlichen Hendra- und Nipah-Viren, die grippeähnliche Symptome auslösen und häufig zum Tode führen. Weitere entwickeln für ihre Labortests Tiermodelle für die Viren-Infektionen Sars und Mers, indem sie die zugrunde liegenden Coronaviren so anpassen, dass sie besser in Säugetieren überleben.

Sie alle eint die Hoffnung, die nächste Pandemie verhindern zu können. Sind die Genveränderungen bekannt, die einen Erreger so gefährlich für den Menschen machen, lässt sich das heraufziehende Unheil schneller erkennen. Passende Impfstoffe stünden weit früher zur Verfügung als bisher.

Mittlerweile häufen sich jedoch Zweifel an dem Argument. Selbst wenn es gelänge, einige besonders gefährliche Influenzaviren zu benennen: Dies allein wäre nicht ausreichend, um rechtzeitig einen Impfstoff herzustellen, sagt Adel Mahmoud von der Princeton-Universität, der lange beim Pharmakonzern Merck für die Impfstoffentwicklung verantwortlich war. Zu komplex sei das Verfahren. "Die Gain-of-function-Studien zu H5N1 haben nur wenig zur Entwicklung neuer Impfstoffe oder therapeutischer Maßnahmen beigetragen", sagt er. Die Impfstoffentwicklung müsse zwar verbessert werden. Aber Labor-erreger "werden die notwendigen Erkenntnisse hierfür wahrscheinlich nicht liefern".

Viele Kritiker halten das Risiko der Gain-of-function-Forschung daher für untragbar. Eine große Sorge gilt der Verwendung als Biowaffe – ein Aspekt, der immer wieder heftige Diskussionen auslöst. Dual Use heißt der Fachbegriff – Forschung also, die sowohl zum Guten als auch zum Bösen genutzt werden könnte. In einer Zeit, in der terroristische Attacken an der Tagesordnung sind, steht sie besonders stark im Fokus der Öffentlichkeit und der Behörden.