Die Dompteure der Superviren

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Aus diesem Grund legte das US-Beratergremium "National Science Advisory Board for Biosecurity" (NSABB), das die amerikanische Gesellschaft vor Bioterrorismus schützen soll, 2011 ein Veto gegen die Veröffentlichung von Fouchiers Arbeit im Fachmagazin "Science" ein. Zu groß sei die Gefahr, dass Bioterroristen einen Bauplan für einen gefährlichen Erreger erhielten. "Science" hielt den Artikel vorläufig zurück und publizierte ihn erst nach inhaltlichen Veränderungen.

Seit Oktober 2012 wird in den USA zudem jede mit Bundesmitteln finanzierte Studie überprüft, ob sie eine sogenannte "Dual Use Research of Concern" ist (DURC). Also Forschung, die auch zu terroristischen Zwecken genutzt werden könnte. Hierzu zählt die Arbeit mit 15 verschiedenen waffenfähigen Agenzien wie Anthrax, dem Pest-Erreger und Influenza-Viren. Für diese gelten gesonderte Sicherheitsbestimmungen. Konkret betrifft die Regelung aber nur wenige Studien: Eine Analyse fand für 2012 nur zehn Projekte, die unter die DURC-Regeln fielen.

In der Fachwelt stieß das Veröffentlichungs-Veto der NSABB – und vor allem seine Begründung – auf wenig Verständnis. Peter Palese etwa, Virenforscher an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York und Pionier der Gain-of-function-Methodik, sagt: "Ich arbeite seit Jahrzehnten mit Viren und wüsste nicht, wie ich es anstellen sollte, daraus eine Biowaffe zu machen." Auch der Deutsche Ethikrat, der 2014 eine Stellungnahme zum Thema verfasste und bekannt ist für seine abwägende Haltung, hält die Angst vor Bioterrorismus mit manipulierten Erregern für übertrieben.

"Gegenwärtig kann angenommen werden, dass es, je anspruchsvoller die Technologien sind, umso unwahrscheinlicher ist, dass sie eine aktuelle terroristische Gefahr darstellen", schreiben die Autoren. Terroristen bräuchten viel fachliches und technisches Know-how sowie teure Hochsicherheitslabore (siehe Tabelle). Zumal es einfachere Wege gibt, Menschen zu schaden. Zudem wären die gefährlichen Erreger kaum zu kontrollieren. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie am Ende auch ihre Schöpfer attackieren.

Selbst dezidierte Fouchier-Kritiker meinen daher, die Angst vor der Dual-Use-Problematik sei zu vernachlässigen. Die wirkliche Gefahr der Laborerreger liege ganz woanders: im menschlichen Versagen, im Risiko, "dass Unfälle passieren", betont Marc Lipsitch, Harvardprofessor für Epidemiologie. Über unbeabsichtigte Freisetzungen werde viel zu wenig geredet.

Im Sommer 2014 etwa wurden mehrere Sicherheitsverstöße in renommierten US-Hochsicherheitslabors bekannt. Zuerst fand man beim Aufräumen einer Kühlkammer des National Institute of Health sechs Glasfläschchen mit Pockenviren. Seit 1980 gilt diese Krankheit als ausgerottet. Nur an zwei streng bewachten Orten auf der Welt gibt es noch Proben – offiziell jedenfalls: in Laboratorien im Center for Disease Control (CDC) in Atlanta und im russischen Nowosibirsk. Alle anderen Pockenproben galten als vernichtet.

Kurze Zeit später wurde öffentlich, dass die CDC vermeintlich tote Anthrax-Bakterien aus einem Hochsicherheitslabor in ein weniger gut gesichertes Labor geschickt hatte. Die Proben waren jedoch nicht korrekt abgetötet worden. Zu guter Letzt kam heraus, dass ein weiteres CDC-Labor eine Probe einer harmlosen Vogelgrippe mit einem gefährlicheren Influenzavirus kontaminiert und verschickt hatte. Da all dies den renommiertesten Labors der USA passierte, ist die Gefahr ernst zu nehmen. Was könnte nicht alles mit Viren geschehen, die nicht nur gefährlich, sondern auch besonders leicht übertragbar sind – kämen sie durch einen Unfall oder ein Missgeschick ins Freie.

Diese Angst ist nicht unbegründet. 2007 etwa infizierten Viren, die aus einem Hochsicherheitslabor im britischen Pir-bright stammten, mehrere Dutzend Rinder in der Umgebung mit der Maul- und Klauenseuche. Offensichtlich war lebendes Virusmaterial in ein abgeschottetes Abwassersystem gelangt und durch ein defektes Rohr und starke Regenfälle an die Oberfläche gespült worden. Knapp 600 Tiere mussten vorsorglich getötet werden. Und die Grippewelle des Jahres 1977 geht möglicherweise ebenfalls auf ein Virus zurück, das aus einem Labor entkommen war. Zudem stecken sich immer wieder Mitarbeiter in Hochsicherheitslaboren mit den Erregern an. Allein in den USA hat Lipsitch 13 Labor-Infektionen zwischen 2002 und 2008 gezählt.

"Bislang betrafen solche Unfälle immer nur wenige Menschen und üblicherweise auch nur Viren, die nicht allzu leicht übertragbar waren", sagt er. "Aber nun sagen wir, ganz ohne entsprechende Diskussion, dass es in Ordnung ist, das gleiche Risiko und die gleiche Unfallrate auch bei potenziell tausend- oder millionenfach stärkeren Auswirkungen zu akzeptieren. Das macht für mich keinen Sinn."

Lipsitch steht mit seiner Kritik nicht allein. Unter Forschern ist ein erbitterter Streit darüber entbrannt, ob Gain-of-function-Forschungen mit potenziell pandemischen Erregern weiterhin praktiziert werden sollten. Selbst wenn Fouchier argumentiert, dass er nur die Mutationen der Natur imitiert – "für Menschen ist es ein Unterschied, ob ein gefährliches Virus im Labor entstand oder in der Natur", sagt Harvey Fineberg, ehemaliger Präsident der Nichtregierungsorganisation Institute of Medicine of the National Academies. "Einen Virus aus der Natur akzeptiert man eher."

Die US-amerikanische Regierung hat aus den Vorfällen des vergangenen Sommers bereits Konsequenzen gezogen. Im Oktober 2014 entschied sie, Gain-of-function-Studien an Grippeviren sowie an Sars und Mers nicht mehr zu finanzieren, bis eine bundesweite Regelung für die Risikobewertung geschaffen worden sei. Laufende Studien sollten bis auf Weiteres auf freiwilliger Basis pausieren. Harvard-Forscher Lipsitch hätte kein Problem damit, würde sie nicht wieder aufgenommen werden. "Wir müssen zwar mit gefährlichen Erregern arbeiten, um Forschung zu gewährleisten, die auf lange Sicht Leben rettet", sagt er. Doch statt in die kostspielige und riskante Gain-of-function-Forschung solle man lieber in die Entwicklung eines universellen Impfstoffes investieren, der bei allen Influenzavarianten gleichermaßen wirksam wäre. "Das wäre ein unglaublich erstrebenswerter Ansatz." (bsc)