Die X-Akten der Astronomie: Der unmögliche Dreifachstern KIC 2856960
Seite 2: Ein unmöglicher Fit
Nachdem das Grundmodell gefunden war, ging es an das Ziel der ganzen Übung, die Bestimmung der exakten physischen Parameter des Systems. Insgesamt gibt es 26 Größen im System, von denen einige beliebig gewählt werden können (man kann das Bild oben auch auf den Kopf stellen, in der Bildebene rotieren oder spiegelbildlich darstellen, die Lichtkurve wäre stets dieselbe). Einige folgen direkt aus der Beobachtung wie die Umlaufzeiten und der Durchmesser der Bahnellipse des Binärpaars um Stern 3 (aufgrund der variierenden Lichtlaufzeit) oder indirekt aus der Lichtkurve: die symmetrischen Bedeckungen der beiden Binärkomponenten weisen auf eine kreisförmige Umlaufbahn und (eigentlich) ähnliche Größen und Flächenhelligkeiten hin. Wieder andere hängen voneinander ab. Es gelten insbesondere die Keplerschen Gesetze, deren es drei Stück gibt, die in folgender verallgemeinerter Form auch für Doppelsterne gelten:
- Doppelsterne umkreisen auf zwei ähnlichen Ellipsenbahnen ihren gemeinsamen Schwerpunkt (Baryzentrum), der im Brennpunkt beider Ellipsen liegt.
("Ähnlich" ist hier mathematisch zu verstehen, das heißt die Formen sind gleich, die Größen im Allgemeinen nicht; diese verhalten sich umgekehrt wie die Massen) - Die durch den Schwerpunkt von einem Stern zum anderen verlaufende Linie überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen in der jeweiligen Ellipse.
(Die Längsachsen der Ellipsen liegen folglich auf einer Linie und die Sterne bewegen sich am schnellsten, wenn sie sich am nächsten sind). - Die dritte Potenz der Summe der großen Halbachsen dividiert durch das Quadrat der Umlaufzeit ist proportional zur Summe der Massen.
Bei mehr als zwei Sternen gilt Kepler nur, wenn die Komponenten wie eingangs beschrieben hierarchisch angeordnet mit sehr großem Abstandsunterschied sind. Das ist hier der Fall, die Halbachse im Binärsystem ist 800 Mal kleiner als dessen Halbachse in Bezug auf Stern 3 – die beiden Sterne umkreisen Stern 3 auf der gleichen Bahn wie es ein einzelner Stern mit der Summe ihrer Massen tun würde.
Besonders Kepler 3 ist wichtig, da hier die Massensumme in Beziehung zur Umlaufzeit und den Bahnhalbmessern (große Halbachsen) gesetzt wird – kennt man die Umlaufzeit und die Bahnhalbachse, folgt die Masse. Die Leuchtkräfte und die Scheibendurchmesser hängen direkt mit den Sternmassen zusammen (sofern es sich nicht um fortentwickelte Sterne wie Riesen oder Weiße Zwerge handelt). Die relativen Scheibendurchmesser und Leuchtkräfte bestimmen zusammen mit dem Grad der Überlappung, der von der Verkippung der Bahnen abhängt, die Tiefe einer jeden Verdunklung und so ergibt sich die Lichtkurve.
Insgesamt gibt es am Ende 12 freie Stellknöpfe, an denen man drehen kann, um die Lichtkurve zu reproduzieren. Dies lässt man Computer erledigen, die mittels etablierter Näherungsverfahren den mittleren quadratischen Fehler zwischen der synthetisierten und der beobachteten Lichtkurve zu minimieren versuchen. Die Autoren verwendeten sogar mehrere verschiedene Verfahren, die alle zu den gleichen Parametern konvergierten. Das Ergebnis für die „am besten“ reproduzierte Lichtkurve sah dann allerdings folgendermaßen aus:
Abgesehen davon, dass die Approximation miserabel war, ergab sie vollkommen unsinnige Parameter für das System. Obwohl die Sterne des Binärsystems gemäß dem Lichtwechsel ihrer Umkreisung etwa gleiche Größe und Masse haben sollten, spuckte das Programm aus, dass Stern 1 zwar 1,29 Sonnendurchmesser haben sollte, aber nur drei Erdmassen (die Sonne hat circa 333.000 Erdmassen), während Stern 2 nur 0,16 Sonnendurchmesser haben sollte, aber 1,28 Sonnenmassen. Stern 1 wäre in diesem Fall groß genug, sein Roche-Volumen zu füllen, sodass Materie auf Stern 2 überfließen müsste, und dann hätten wir es mit einem vollkommen anderen Sternsystem zu tun (einem kataklysmischen Veränderlichen).
Überraschenderweise ergab sich eine sehr viel bessere Näherung, als die Autoren das 3. Keplersche Gesetz über den Haufen warfen und es zuließen, dass die Umlaufzeit des Binärsystems um den dritten Stern im Verhältnis zur großen Bahnhalbachse größer war als für die Massen eigentlich zulässig.
Aus der Geometrie des Modells und dem zeitlichen Verlauf folgte nämlich, dass das Verhältnis der großen Bahnhalbachse von Stern 1 zur Summe der großen Halbachsen der beiden Ellipsen, die das Binärsystem und Stern 3 um ihren gemeinsamen Schwerpunkt vollführen, größer als 0,0148 sein muss. Aus dem dritten Keplerschen Gesetz folgte jedoch, dass es kleiner als 0,0117 sein musste. Beides zusammen war unerfüllbar.