Die ökonomischen Vorteile von User-Experience-Design

Seite 3: Warum noch Verluste durch schlechte UX in Kauf nehmen?

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Fehlschläge gehören zum Leben, doch es sollte nicht daraus bestehen. Die IT-Industrie gibt weltweit jährlich etwa eine Billion US-Dollar für IT-Hardware, Software und Services aus. Doch zwischen 5 und 15 Prozent der Projekte schlagen fehl, selbst wenn Unternehmen agile Entwicklungsmethoden anwenden. Charette, Mitglied der IEEE Organisation, nennt zwölf Gründe für solche Fehlschläge [14], von denen sich drei mangelndem UX-Design zuschreiben lassen [15]:

  • schlecht definierte Anforderungen,
  • schwache Kommunikation zwischen Kunden, Entwicklern und Nutzern und
  • unzureichende Stakeholder-Politik.

Das Führen von Stakeholder-Interviews, User Research, User Tests und Human-Centered Design im Allgemeinen sind Aktivitäten des UX-Designs, durch welche die drei genannten Gründe Projekte mit geringerer Wahrscheinlichkeit scheitern lassen. Unter der Annahme, dass die zwölf Gründe für das Scheitern von Softwareprojekten gleichermaßen häufig auftreten und im Schnitt 10 Prozent der Projekte fehlschlagen, lässt sich allein für die auf UX-Design basierenden Gründe für das Scheitern von IT-Projekten folgende Formel propagieren:

$1 Billion / 100 * 10 / 12 * 3 = $25.000.000.000

Weltweit gibt die IT-Industrie also 25 Milliarden US-Dollar aus, die sie einsparen könnte, wenn sie auf Basis eines sorgfältig durchgeführten UX-Designs vorginge.

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"The first requirement for an exemplary user experience is to meet the exact needs of the customer, without fuss or bother. – True user experience goes far beyond giving customers what they say they want, or providing checklist features." (Nielsen Norman Group)

Nutzer können zwischen pragmatischen Aspekten, die sich auf die tatsächliche Interaktion mit einem Softwareprodukt beziehen, und hedonischen Aspekten, die Eindrücke eines Nutzers während einer Interaktion betreffen, unterscheiden [16; 17]. Dennoch umschreiben sie ihre zufriedenstellendsten Erlebnisse und die davon abgeleiteten Anforderungen überwiegend pragmatisch und vernachlässigen oder ignorieren die wichtigeren hedonischen Aspekte [18].

Pragmatische Aspekte der UX umfassen die Zweckmäßigkeit und die Gebrauchstauglichkeit eines interaktiven Softwareprodukts. Dagegen fokussiert die hedonische Qualität das Erfüllen von Nutzerbedürfnissen. Es fällt Nutzern schwer, ihre Bedürfnisse klar zu äußern. Doch sind es genau diese Bedürfnisse, deren Erfüllen erst zu einer positiven Ausprägung der UX führt. Es sind acht Nutzerbedürfnisse, die es durch UX-Design zu identifizieren und zu erfüllen gilt [19]:

  • Kompetenz,
  • Autonomie,
  • Sinnesstimulation,
  • Verbundenheit,
  • Popularität,
  • Bedeutsamkeit,
  • Sicherheit und
  • Loyalität.

Ohne das Wissen um diese Bedürfnisse und deren Ausprägung bei den individuellen Nutzern müssen Softwareentwickler Bedürfnisse durch die kostspielige Anwendung von Versuch und Irrtum in Erfahrung bringen. Allerdings fällt es selbst Experten schwer, Nutzeranforderungen zu erheben, zu analysieren und zu spezifizieren, in denen die hedonische Qualität der zu entwickelnden Software zentraler Bestandteil ist [20]. Ohne diese Grundlage ist leicht nachvollziehbar, warum Nutzer eines auf dieser Basis entwickelten Softwareprodukts häufig unzufrieden sind – UX-Design beugt dieser Unzufriedenheit vor.

Als Definition der UX spezifiziert die International Organization for Standardization (ISO) in ihrer Norm 9241-210:2020-03 [21]:

"User Experience ergibt sich aus der Darstellung, Funktionalität, Systemleistung, dem interaktiven Verhalten und den unterstützenden Ressourcen eines interaktiven Systems, sowohl der Hardware als auch der Software. Sie ist auch eine Folge der bisherigen Erfahrungen, Einstellungen, Kompetenzen, Gewohnheiten und der Persönlichkeit des Benutzers."

Die Definition erlaubt eine recht freie Interpretation der UX. Aufgrund des subjektiven und kontextabhängigen Charakters ist allerdings eine enge Definition kaum möglich. Zur Erreichung einer weitgehend positiven UX spezifiziert die ISO-Norm 9241-210:2020-03 [21] folgenden vierstufigen iterativen Prozess der menschzentrierten Gestaltung:

  • Verstehen und Festlegung des Nutzungskontexts
  • Festlegung der Nutzungsanforderungen
  • Erarbeitung von prototypischen Gestaltungslösungen in einem multidisziplinären Team
  • benutzerzentrierte Evaluierung der Prototypen

Diese Methode ist – ebenso wie die Definition der UX – lediglich ein Grundgerüst für das tatsächliche Auseinandersetzen mit dieser Disziplin. Die Norm beschreibt jeden Schritt der menschzentrierten Gestaltung näher, die Anpassung an den eigenen Kontext und die Umsetzung – insbesondere unter Einbeziehung echter Endnutzer – obliegt allerdings den Unternehmen selbst. Das Vorgehen, zunächst Monate in das Erstellen großer Dokumente mit spezifizierten Anforderungen zu investieren, ist im UX-Design aber nicht zielführend. Vielmehr ist in agiler Weise jede Annahme kurzfristig zu evaluieren, zumeist mit geeigneten Prototypen. Am einfachsten ist das durchzuführen, wenn echte Endnutzer in den Entwicklungsprozess einbezogen werden. Bevor Annahmen bezüglich der positiven Gestaltung der UX nicht bestätigt wurden, werden die entsprechenden Features der Software nicht implementiert.