Dritter Daumen, Tentakel, leuchtend: Wie neue Prothesen den Körper verbessern
Lange orientierte sich die Entwicklung von Prothesen an natürlichen Gliedmaßen. Jetzt arbeiten Forschende an einer völlig neuen Art künstlicher Körperteile.
- Joanna Thompson
Traditionell haben sich Designer von Prothesen vom menschlichen Körper inspirieren lassen. Prothesen wurden als Ersatz für fehlende Körperteile angesehen – und haben schließlich zur Entwicklung realistischer bionischer Beine, Arme und Hände geführt. Seit geraumer Zeit formiert sich jedoch eine alternative Prothetik-Bewegung, die sich nicht an die Konventionen hält und nicht versucht, sich anzupassen, berichtet MIT Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 4/2023. Statt Geräte zu entwickeln, die das Aussehen eines "normalen" Arms oder Beins imitieren, entwerfen sie und ihre Designerkollegen fantastische Prothesen und künstliche Gliedmaßen, die sich wie Tentakel winden, leuchten oder sogar Glitzerstaub versprühen können.
Dani Clode ist Spezialistin für Prothesen am Plasticity Lab der University of Cambridge, wo sie nach neuen Möglichkeiten sucht, den menschlichen Körper zu optimieren. Ein dritter Daumen, mit dem jeder seinen Griff verstärken kann, ist ihr aktuelles Projekt. Das flexible Gerät wird von Motoren angetrieben und über Drucksensoren in den Schuhen seiner Trägerin gesteuert. Freiwillige Testpersonen haben gelernt, damit eine Flasche aufzuschrauben, Tee zu trinken und sogar Gitarre zu spielen. Clode hofft, dass der Daumen (und ähnliche Geräte) eines Tages jedem, vom Fabrikarbeiter bis zum Chirurgen, helfen könnte, Aufgaben effizienter auszuführen und dabei den eigenen Körper weniger zu belasten.
Neue Prothesen-Designs (5 Bilder)
Gehirn kann sich an neue Gliedmaßen anpassen
Neuere neurologische Forschungen bestätigen diese Hoffnung. Lange Zeit sei man bei der Entwicklung medizinischer Geräte davon ausgegangen, dass eine Prothese mit den Erwartungen des Gehirns übereinstimmen sollte, damit sie sich möglichst "natürlich" bedienen lasse, sagt Tamar Makin von der Universität Cambridge. Die Prothese sollte daher wie eine Hand geformt sein und sich auch mechanisch so verhalten. Makins Forschungen bestätigen jedoch: Unser Gehirn ist tatsächlich sehr flexibel in seiner Fähigkeit, sich an neue Gliedmaßen anzupassen.
In einer 2020 in PLOS Biology veröffentlichten Arbeit untersuchte das Labor von Makin die Gehirne von Prothesenträgern und Nicht-Prothesenträgern mit einem fMRT-Gerät, um zu sehen, wie bestimmte Bereiche des Gehirns auf das Vorhandensein einer Prothese reagieren. "Prothesen wurden nicht wie Hände repräsentiert", sagt Makin, "aber sie wurden auch nicht wie Werkzeuge dargestellt". Stattdessen schienen sie eine einzigartige neuronale Signatur auszulösen – weder Hand noch Werkzeug, sondern etwas bisher Unbekanntes. Diese Muster waren bei verschiedenen Nutzern gleich, was darauf hindeutet, dass sich die meisten Menschen problemlos an eine Vielzahl von Konfigurationen künstlicher Gliedmaßen anpassen können.
Einige Forschungsgruppen wollen gewissermaßen das Gehirn überlisten, um dadurch eine quasi natürliche Steuerung künstlicher Gliedmaßen zu erreichen. Denn das subjektive Gefühl für den eigenen Körper und die Position der eigenen Gliedmaßen ist keineswegs fest und unveränderlich, wie beispielsweise die Gummihand-Illusion zeigt. Ein wichtiger Schlüssel für solche außerkörperlichen Erfahrungen sind gleichzeitige optische und taktile Reize: Die betroffene Person sieht im Gummihand-Experiment, wie eine Feder über die Gummihand streicht, und spürt gleichzeitig eine Berührung an ihrer echten – aber verdeckten – Hand.
Ryota Kondo und Kollegen von der Toyohashi University in Japan nutzten dieses Prinzip, um über die Bewegung des Daumens einer Hand einen virtuellen, künstlichen Arm in einer VR-Umgebung zu steuern. Wurde die Bewegung des Arms mit der des Daumens synchronisiert, berichteten die Versuchsteilnehmer in einer abschließenden Befragung tatsächlich von dem Gefühl, der virtuelle Arm habe zu ihrem Körper gehört. Kondo und seine Kollegen hoffen, dass sich auch die Steuerung eines echten Roboterarmes auf diese Weise "natürlicher" anfühlt, leichter zu lernen ist und weniger ermüdet.
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(wst)