Eine Frage der Ehre

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Für Roboterentwickler sind solche Erfahrungen auch außerhalb von Japan extrem wertvoll. Für Alan Winfield von der Universität Bristol demonstrieren sie, wie schwierig die Fernsteuerung von Robotern in komplexen, unbekannten Umgebungen wirklich ist. Besonders wenn Roboter in Gebäude hineingehen müssten, könne man sich nicht auf Standard-Funkkomponenten verlassen, wie sie bislang in den meisten Modellen stecken, sagt der Roboterexperte, der den europäischen Rettungsroboter-Wettbewerb "euRathlon" leitet. Diese Erfahrungen ließen sich auf andere Katastrophenszenarien übertragen – zum Beispiel auf Erdbeben und Bergungsaktionen nach Terroranschlägen.

Ohne Probleme sind jedoch auch Kabel nicht: Je länger sie sind, desto größer ist die Gefahr, dass sie unterwegs hängen bleiben. Dann wird der Roboter umgerissen, oder er kann das Kabel auf dem Rückweg nicht mehr aufrollen. Die meisten der sieben Roboter, die bislang im Kraftwerk stecken blieben, sind an solchen Pannen gescheitert. Quince beispielsweise blieb hängen, als sein Kabel sich an einer Rohrleitung verknäuelte. Die Strahlung bereitet den Robotern in Fukushima dagegen erstaunlich wenig Probleme. Quince und viele weitere Modelle wurden gar nicht abgeschirmt. Die Tests der japanischen Atomenergiebehörde hatten ergeben, dass die elektronischen Bauteile an den geplanten Einsatzorten in den Reaktorgebäuden ohne Schutz über 100 Stunden fehlerfrei arbeiten würden.

Selbst der schlangenförmige Hitachi-GE-Roboter, der im April 2015 den Sicherheitsbehälter von Block 1 erkundete, war nicht speziell gegen die Strahlung gepanzert. Hochrechnungen der Ingenieure hatten ergeben, dass er bei 5 bis 10 Sievert pro Stunde dennoch zwei bis drei Tage funktionieren kann. Diese Zeitspanne reichte den Japanern. Die Missionen sollten ohnehin jeweils nur wenige Stunden dauern, und die Roboter sollen ohne größere Umbauten möglichst schnell einsatzbereit sein. Mit diesem Wissen im Hinterkopf wollen die Ingenieure nun zum Abklingbecken von Block 3 vordringen, um die dortigen gebrauchten Brennelemente zu bergen. 2017 soll ein von Toshiba entwickelter schwimmender Roboter mit zwei Greifarmen eventuell im Weg liegende Trümmerstücke beseitigen und die Brennelemente in spezielle Transportbehälter packen.

Um jedoch in die gefährlichsten Zonen der Atommeiler vorzudringen, etwa in die Tiefen des Reaktordruckbehälters und in die unmittelbare Nähe der geschmolzenen Brennelemente, dürfte ein Schutz zwingend sein. Die Toshiba-Ingenieure statten daher ihren Skorpion-Roboter mit einem Wolframpanzer aus. Den Simulationen zufolge soll er so 1000 Sievert überstehen – er könnte bei einer Dosis von 10 Sievert pro Stunde also 100 Stunden arbeiten. Der Skorpion soll im Reaktordruckbehälter von Block 2 nach den Resten der geschmolzenen Brennelemente suchen.

Die zu bergen, bleibt eine ganz eigene Herausforderung: Viele Experten gehen zurzeit davon aus, dass die Reaktordruckbehälter aufgrund ihrer Lecks nicht genügend geflutet werden können, was die Strahlung reduzieren und den Zugriff von oben erleichtern würde. Wenn das tatsächlich nicht klappt, bleibt nur eine Alternative: Roboter müssen die Behälter von der Seite aufschneiden, die Brennstäbe bergen und die verstrahlten Betonschichten abtragen – eine extrem komplexe Aufgabe. In diesem Jahr will Tepco sich für eine Zugriffsmethode entscheiden. Danach müssen Konzerne wie Hitachi GE und Toshiba anfangen, die nötigen Roboter zu entwickeln. Wie diese genau aussehen werden, ist noch unklar.

Fest steht jedoch: Auch in den nächsten Jahren werden in Fukushima keine humanoiden Multitalente eingesetzt, wie sie etwa beim US-Wettbewerb Darpa Robotics Challenge zu sehen sind. Stattdessen brauchen die Japaner hochspezialisierte Roboter, die für bestimmte Einzelaufgaben optimiert werden: Lecks schließen, Zugänge freilegen oder Schutt einsammeln – aber nicht alles auf einmal. Selbst die Fernsteuerung wird noch lange nötig sein. "Autonome Roboter sind ein Idealbild, aber auf diesem Niveau ist die Technik noch nicht", sagt Waki.

Zu unbekannt sind Bedingungen in den zerstörten Gebäuden, zu chaotisch die Zustände, als dass künstliche Intelligenz mit ihnen umgehen könnte. Explosionen haben Teile des Kraftwerks zerstört. Schutt, Treppen und Engstellen erschweren die Fortbewegung. Autonome Maschinen könnten im Extremfall sogar mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Hinzu kämen Schwierigkeiten mit ihrer empfindlichen Elektronik. Je eigenständiger der Roboter, desto mehr elektronische Bauteile hat er – und desto gefährlicher ist die Strahlung für ihn. Panzer aus Blei oder Wolfram könnten die empfindlichen Chips zwar schützen, aber dann würden die Roboter zu schwer werden.

Allenfalls eine Teilautonomie wollen die japanischen Entwickler ihren Maschinen in Zukunft mitgeben. Denn mit ihr können die Roboter immerhin kleine Probleme vor Ort selbst lösen, ihren Operateuren am Joystick die Arbeit deutlich erleichtern – und am Ende seltener verloren gehen: Ein vierbeiniger Roboter von Toshiba etwa erkennt bereits eigenständig Schieflagen, wenn er über Schutt klettert, und gleicht sie aus. In einigen Jahren könnten die Roboter so weit sein, dass sie selbstständig navigieren und sich nur dann bei ihrem Bediener melden, sobald sie auf ein Problem stoßen. Sie könnten auch die Ausführung von Befehlen erst einmal verweigern, wenn sie eine Stolperfalle sehen, die vom Techniker am Bildschirm übersehen wurde. Das letzte Wort bei jeder Entscheidung werden aber weiterhin die Menschen an den Joysticks haben. (bsc)