Eine kleine Geschichte des Risikos

Ohne Georges Doriot wäre die Welt um viele Innovationen ärmer. Der Venture Capital-Pionier und Harvard-Professor revolutionierte die Finanzierung junger Firmen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Mark Williams
Inhaltsverzeichnis

Es gibt eine sehr populäre US-Anekdote, laut der Präsident George W. Bush einmal gesagt haben soll, das Problem mit den Franzosen sei, dass ihnen ein echtes eigenes Wort für Unternehmer fehle. Das Problem: Er hat das so nie behauptet. Trotzdem hält sich im englischen Sprachraum hartnäckig das Vorurteil, dass die Franzosen schlechtere Geschäftsleute als die Amerikaner seien. Georges Doriot ist ein Mann, der dieses Vorurteil eindeutig widerlegt. Der 1987 verstorbene Harvard Business School-Professor hob praktisch im Alleingang das moderne Risikokapitalgeschäft aus der Taufe – und durch es zahllose Innovationen, die vorher keine Geldgeber gefunden hätten.

Doriot war allerdings auch ein eher ungewöhnlicher Franzose, wie der "BusinessWeek"-Journalist Spencer Ante nun in einem neuen Buch ("Creative Capital: Georges Doriot and the Birth of Venture Capital", Harvard Business School Press, 320 Seiten) erzählt. Das spätere Wirtschaftsgenie wurde an einem Pariser Lycee in allen wichtigen Wissenschaftsdisziplinen unterrichtet. Dank eines bereits mit 15 Jahren erworbenen Führerscheins musste er dorthin nicht einmal laufen. Mit 18 musste Doriot dann in den ersten Weltkrieg ziehen – als Offizier in einem Artillerieregiment an der Westfront. Als der Schrecken dann ein Ende gefunden hatte, hörte er auf seinen Vater, der ihm empfahl, sein Glück doch besser in der neuen Welt zu suchen.

Mit 21 kam Doriot in Amerika an – ohne Familie oder Freunde und vor allem ohne Geld. Trotzdem wollte er am MIT studieren. Mit sich führte er nur den Brief eines Freundes seines Vaters, der ihn A. Lawrence Lowell, dem damaligen Präsidenten der Harvard University, vorstellte. Lowells schlug dem jungen Mann vor, doch besser an der Business School seiner Hochschule zu studieren. Nach dem Studium in Harvard bekam Doriot seinen ersten Job bei einer Investmentbank. Dort freundete er sich mit einem jungen Mann namens Lewis Strauss an, der später zum Vorsitzenden der US-Atomenergiekommission werden sollte und über diese Position zum Verteiler gigantischer Bundesmittel für Forschung und Wirtschaft.

Das heißt: Schon sehr früh in Amerika lernte Doriot die Männer kennen, die für sein späteres Leben so wichtig sein sollten – obwohl diese damals noch niemand kannte. Dieses Muster verstärkte sich weiter, als er 1925 einen Job an der Harvard Business School annahm. Seine ehemaligen Studenten bekamen nach ihrem Abschluss oft wichtige Positionen in der Geschäftswelt oder der Politik. Während des zweiten Weltkrieges trat Doriot, damals bereits im Besitz der amerikanischen Staatsbürgerschaft, in die US-Armee ein und wurde Direktor der militärischen Planungsabteilung. Er wurde schließlich zum Brigadegeneral in den Quartermaster Corps befördert. William Donovan, der bald darauf Chef des CIA-Vorläufers OSS wurde, empfahl ihn gegenüber Präsident Roosevelt. Doriots Chef im Militär war ein Mann, der in den Zwanzigerjahren noch in seinen Vorlesungen gesessen hatte. Doriot habe stets die klare Empfehlung zu zielorientiertem Handeln gegeben und das Wunder von der kollektiven Weisheit des Marktes gepredigt, sagte Donovan einmal.

Besonders letzteres Thema war für Doriot sehr wichtig. In seinen Reden und Artikeln sprach er sich stets gegen staatliche Lenkung aus, wie er sie in seiner Heimat Frankreich kennen gelernt hatte. Steuererhöhungen und wettbewerbsfeindliche Gesetze, die in der Phase des "New Deal" eingeführt wurden, kritisierte er oft. Solche Regulierungversuche seien eine Anmaßung der Bürokraten gegenüber den Märkten. Als besonders schlimm empfand er es, wenn der Staat Firmen, die vor der Pleite standen, auch noch Geld zuschoss. In seinem Buch erwähnt Ante einen früheren Kollegen Doriots, James F. Morgan. Er erinnert sich an Doriot als den "schizophrensten Franzosen, den ich je getroffen habe". Denn: Der Harvard-Professor liebte zwar den Wein seines Landes, die Küche und die Sprache. Doch die Fähigkeit der Franzosen, sehr einfache Dinge kompliziert zu machen, "machte ihn wahnsinnig", so Morgan. So atypisch Doriot also als Franzose war, so machte ihn seine dem Unternehmertum zugeneigte Philosophie und seine Erfahrungen aus Dutzenden Verwaltungsratsmandaten in der US-Wirtschaft doch zum idealen Kandidaten für den Präsidentenposten einer Firma, die 1946 von einer Gruppe führender Bürger der Stadt Boston ins Leben gerufen wurde. Die "American Research and Development Corporation", kurz ARD, war das erste Risikokapitalunternehmen, das an die Börse ging.

Als Doriot seinen Job 1972 an den Nagel hing und ARD mit dem Konglomerat Textron zusammenführte, hatte sein Unternehmen in 120 Firmen investiert. Die meisten von ihnen besaßen wichtige geschützte Technologien. Die abgedeckten Bereiche waren breit: Von der Isotop-Umwandlung über die Meerwasserentsalzung, die Elektronik, die Datenverarbeitung oder wissenschaftliche Instrumente bis hin zur Stromerzeugung. Die Liste ist eindrucksvoll und enthält unter anderem die Digital Equipment Corporation (DEC), in die Doriot 1957 gerade einmal 70.000 Dollar steckte. 1972, als ARD sein DEC-Aktienpaket veräußerte, lag der Preis bei 400 Millionen. (Selbst mit George W. Bush steht Doriot in Verbindung: Zapata Off-Shore, eine Firma, die neuartige Ölbohrsysteme baute, wurde von seinem Vater geleitet.)