Elektronisches Patientendossier in der Schweiz: Es kränkelt​

Ist die knifflige Anmeldung schuld am Dümpeln des Schweizer E-Patientendossiers, oder sind es fehlende Pflichten? Ein Blick in das Schweizer Gesundheitssystem.

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Person nutzt ein Smartphone und sitzt vor einem Computer. Daneben ist ein Stethoskop.

(Bild: TippaPatt/Shutterstock.com)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Tom Sperlich
Inhaltsverzeichnis

In der Schweiz steuert das elektronische Patientendossier, kurz EPD, auf eine grössere Runderneuerung zu: eine Totalrevision. Seit 2007 steht das EPD bereits auf der gesundheitspolitischen Agenda der Kantone und des Bundes. 2017 trat das zuständige Bundesgesetz (EPDG) in Kraft und ab Ende 2020 führte der Gesetzgeber das EPD sukzessive ein. Doch zu einer weiten Verbreitung hat es das E-Patientendossier bisher nicht gebracht.

Am 27. September gab Elisabeth Baume-Schneider etwas früher als erwartet Neuigkeiten zum Stand des EPD und einer anstehenden großen Revision ("Totalrevision") bekannt. Baume-Schneider ist Bundesrätin im Eidgenössischen Departement des Innern und damit auch für Gesundheitsfragen zuständig.

Die aktuell unterbreiteten Pläne der Regierung sehen demnach doch die vielfach vorgeschlagene und geforderte Zentralisierung der IT-Systeme vor. Die unterschiedlichen technischen Infrastrukturen jeder (Stamm-)Gemeinschaft sollen zukünftig vereinheitlicht werden, auf einer zentralen technischen Plattform, die durch den Bund zur Verfügung gestellt wird. Für die Beschaffung dieser Infrastruktur will der Bund eine Ausschreibung lancieren. Die Betriebskosten für den Gebrauch der zentralen technischen Plattform sollen den Stammgemeinschaften als Nutzungsgebühren weiterverrechnet werden.

Mit diesem Schritt will der Bund die Komplexität des Systems sowie die Anzahl an Schnittstellen reduzieren. Er verspricht, die Interoperabilität zwischen den EPD-Akteuren sowie den Datenaustausch zu verbessern und die Weiterentwicklung des EPD einfacher und schneller zu gestalten. Mittel- bis langfristig dürfte eine Zentralisierung auch finanziell vorteilhaft sein, argumentiert der Bundesrat.

Nach Anschauung vieler Betroffener hakt es an Inkompatibilitäten der medizinischen IT-Systeme, die erst teilweise gelöst wurden. All dies, sowie eine relativ komplexe Eröffnungsprozedur, tragen zu bislang geringer Verbreitung und Nutzwert des EPD bei, sind sich die meisten Experten einig. Das soll sich mit der Überarbeitung des EPD ändern.

Mit der aktuellen Entscheidung des Bundesrats, unter eigener Federführung eine zentrale IT-Infrastruktur für alle (Stamm-)Gemeinschaften aufbauen und betreiben zu lassen, wird nun eine neue Seite der EPD Genesis aufgeschlagen.

Bereits seit 2021 hat sich wegen vieler der obigen Gründe der Bundesrat vorgenommen, eine umfassende Revision des EPDG-Gesetzes in die Wege zu leiten. Ursprünglich wurde diese für den Sommer 2024 angekündigt. Dazu fand im Sommer/Herbst 2023 erst einmal eine Vernehmlassung statt, bei der alle Beteiligten zu einer Stellungnahme aufgefordert wurden. Zu vernehmen war, dass es auch hierbei viel Kritik am Status quo des EPD gab, sich die Stakeholder aber die vom Bundesrat gewünschte "Überarbeitung" zu Herzen nahmen. Beschlossen wurde jedoch vorerst nur eine Teilrevision des EPDG, welche am 1. Oktober 2024 in Kraft trat.

Diese Teilüberarbeitung bringt nur wenige Veränderungen. Vor allem wurde beschlossen, das EPD künftig als Instrument der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zu verankern, "um eine höhere Behandlungsqualität und eine bessere Kosteneffizienz zu erreichen", so das BAG. Unterstrichen wird, dass die Krankenkassen keinen Zugriff auf das EPD erhalten. Ebenso wenig wie andere Versicherungen sowie Arbeitgeber und Behörden.

Geplant war, dass der Bundesrat über das weitere Vorgehen bezüglich der Totalrevision des EPDG entscheidet, so ein Mediensprecher des BAG gegenüber heise online. Anlässlich der Totalrevision soll das "doppelte Freiwilligkeitsprinzip" fallen. Das heißt, dass das EPD auf das Opt-out umgestellt wird und automatisch kommt. Und auch die Freiwilligkeit des EPD-Anschlusses für ambulante Gesundheitsdienste soll fallen, damit alle Leistungserbringenden nützlicherweise am EPD teilnehmen.

"In Zukunft soll das EPD entlang der gesamten Behandlungskette verbindlich eingesetzt werden" teilte der Bund am Freitag, den 27. September mit. Ohnehin werden die Pläne im kommenden Frühjahr erst noch dem Parlament vorgelegt. Jedenfalls, langsam, aber (fast) sicher, ist das Inkrafttreten der generellen EPD-Revision für 2028 geplant – frühestens. Damit haben alle Beteiligten zunächst mehr als genug zu tun, wie die vergangenen Jahre zeigen.

Lange Jahre währen auch schon die Verhandlungen der Schweiz über ein neues, aktualisiertes Rahmenabkommen mit der EU; immerhin wurde im Frühjahr nach vorherigem Abbruch und langer Pause eine neue Runde der Gespräche eingeleitet; hierzu zählt auch ein bilaterales Gesundheitsabkommen. Doch eines steht für die Eidgenossen nicht zur Debatte: der Europäische Gesundheitsdatenraum. "Der ist nicht Gegenstand der aktuellen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU", sagt das BAG.

Aber: Noch ist alles ein Vorhaben und vorgesehen ist ohnehin auch, dass beide Kammern des Parlaments über die Totalrevision abstimmen. Geplant ist das für das Frühjahr 2025. Und "wenn alles so läuft, wie es geplant ist", so die Chefin des BAG, Anne Lévy, "kann das neue, revidierte Gesetz in Kraft treten". Was im Jahr 2028 soweit sein soll.