Elektronisches Patientendossier in der Schweiz: Es kränkelt​

Seite 2: Aktueller Stand des elektronischen Patientendossiers

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Obwohl es seit 2020 für Krankenhäuser eine EPD-Pflicht gibt. Diese gilt seit 2022 auch für danach zugelassene Arztpraxen, Pflegeheime oder Apotheken – sie alle müssen sich einer "EPD-Gemeinschaft" anschließen. Vor 2022 zugelassene Gesundheitsfachleute und Institutionen sowie ambulante Leistungserbringer können das EPD freiwillig nutzen.

Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) wurden per August dieses Jahres 72.000 EPD von Patientinnen eröffnet. (Bevölkerungszahl CH: 9 Millionen). Bei den Spitälern macht jetzt die Mehrheit mit. Aber gerade mal 18 Prozent der Arztpraxen sind an ein EPD angeschlossen. Aufzuholen haben auch Apotheken und Hauspflegedienste.

Beim EPD sind 82 Prozent der Spitäler, 57 Prozent der Pflegeheime, 18 Prozent der Arztpraxen, zehn Prozent der Apotheken sowie sieben Prozent der Hauspflegedienste dabei (Stand August 2024).

Meist werden mehrere Gründe für das langsame Tempo der EPD-Einführung genannt, etwa die bisherige Freiwilligkeit. Für die Eröffnung eines EPD wird ein Smartphone (oder Computer/Tablet plus Handy) mit Mobiltelefonnummer inklusive E-Mailkonto benötigt, eine Krankenkassenkarte sowie der Rentenausweis (AHV), eine "elektronische Identität" – also eID-App (SwissID, TrustID) sowie ein biometrischer Pass/Identitätskarte der Schweiz oder der EU/EWR (Ausnahme: deutscher Personalausweis). Wer Hilfestellung beim für manche kniffligen EPD "Onboarding" braucht, kann das EPD auch in einer EPD-Eröffnungsstelle, etwa in einer Apotheke, beantragen.

Zunächst hat man sich für einen EPD-Anbieter zu entscheiden. Dies sind sogenannte Gemeinschaften, in denen sich Gesundheitsfachpersonen und ihre Einrichtungen technisch-organisatorisch vernetzen. Gemeinschaften gibt es acht an der Zahl. Bei sieben können Interessierte ihr EPD eröffnen, diese nennen sich Stammgemeinschaften. Beide Verbunde sind zertifiziert und dezentral organisiert, also in einem Kanton oder übergreifend in mehreren beziehungsweise allen der 26 Schweizer Kantone präsent – meist mit der jeweiligen (Sprach-)Region affiliert.

Wer etwa bei der grössten Stammgemeinschaft, der Non-Profit-AG Post Sanela Health, ein EPD eröffnen will, kann dies heute in der gesamten Schweiz online tun. In zwölf Kantonen bietet Post Sanela Health dies kostenlos an. Ansonsten sind dafür 15 Franken (16 Euro) zu begleichen. (Übrigens: die SwissID wird auch von einer Post-Tochter herausgegeben.)

Finanziert (von 2018 bis 2022) wurde das EPD, genauer dessen Anbieter, nicht nur durch die Eröffnungsgebühren, sondern eher von hälftig aufgeteilten Finanzhilfen durch Bund und Kantone. Laut Medienberichten soll die Einführung des EPD bisher schon 100 Millionen Franken gekostet haben. Seit 1. Oktober soll es mehr Gelder geben.

Zur Sanierung und Weiterentwicklung des EPD hielten im Herbst 2023 der Bund und die diversen EPD-Stakeholder eine Anhörung ab. Daraus resultierte unter anderem eine Übergangsfinanzierung; wegen der laut BAG "finanziell kritischen Phase" der Stammgemeinschaften wurden letztes Frühjahr 30 Millionen Franken vom Parlament bewilligt. Die Finanzhilfe trat Anfang Oktober 2024 in Kraft. Der Bund kann nun pro eröffnetem EPD einen Betrag von 30 Franken geben, ergo für insgesamt 1 Million EPD. Allerdings muss sich – wie gehabt – der jeweilige Kanton mit gleicher Summe beteiligen.

Der Prozess der EPD-Eröffnung gestaltet sich je nach Anbieter etwas unterschiedlich. Ist aber alles geschafft, kann der EPD-User festlegen, welchen autorisierten Gesundheitsfachleuten Zugriffsrechte gewährt werden. Diese, als auch der oder die Patienten selbst, können Dokumente im EPD speichern, etwa ihren Impfpass. Doch darin abgelegte Informationen müssen häufig aufwendig zusammengesucht werden, räumt sogar eHealth Suisse ein, die Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen. Aufwendig, weil nicht nach expliziten Begriffen gesucht werden könne, bemängelten auch Konsumentenschützer.

Man müsse erst PDFs thematisch eingrenzen, alles öffnen und lesen, um dann vielleicht die Information zu finden. Behandelnde befürchten, so eHealth Suisse, dass mit dem EPD ein "PDF-Friedhof" entstehe: Institutionen würden Dokumente en Masse hochladen. Viele Dokumente müssen vor dem Hochladen erst konvertiert werden, auf alle Fälle zu archivierungssicheren PDF/A-1. Sonstige mögliche Dateiformate: TXT, CSV, XML; JPEG, PNG, TIFF; MP3, MP4, MPEG, GIF.

Zusätzlich wurde bisher verschiedentlich kritisiert, dass durch die Dezentralität der Systeme der Datenaustausch nicht generell gewährleistet sei. Statt der diversen Stammgemeinschaften sollte ein System auf Bundesebene vorgegeben und als verbindlich erklärt werden, forderte etwa Ende 2023 die ORK, die Ostschweizer Regierungskonferenz, der sieben Kantone angehören. Sie verlangte sogar eine Pause beim EPD, bis alle wesentlichen Probleme gelöst seien. So wie vorhanden hätte das EPD kaum einen Nutzen; es habe zu viele Konstruktionsfehler.

Auch die Gesundheitsdirektoren der Kantone (GDK) wollen nichts mehr vom "Kantönligeist" wissen und sprechen sich für die Steuerung und Finanzierung des EPD aus einer Hand aus. Und nicht nur interkantonale Gremien wie GDK und ORK, auch die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK), die Finanzprüfer der Regierung, rät dem BAG ein zentrales EPD mit dem heutigen Modell zu vergleichen und sich für das bessere zu entscheiden.

Viele Anbieter reduzieren das Risiko für die Datensicherheit, da die sensiblen Daten nicht zentral bei einer einzigen Organisation liegen. Die Forderungen nach einer Zentralisierung des EPD-Systems war auch Gegenstand der Vernehmlassung im Sommer und Herbst 2023 und sollte laut BAG für die Totalrevision geprüft werden. Diese soll wie erwähnt bis 2028 kommen.

Wegen der diversen kantonalen Einzellösungen gebe es kaum nutzbringende Konvergenzen, so lautet Kritik - auch aufgrund veralteter Technik. Statt strukturierter und dynamischer Daten (unter anderem Blutdruckwerte), welche zwischen Leistungserbringern automatisiert ausgetauscht werden könnten, beinhaltet das EPD bislang nur Bild- und Text-Dateien. Auch die technische Anbindung der sogenannten Primärsysteme in Spitälern, Arztpraxen usw. an die EPD-Plattformen sei insgesamt zu kompliziert.

Das, nebst vielem anderen, macht derzeit für viele den Nutzen des EPD nicht wirklich zwingend und die Situation nicht einfacher – auch wenn eine Mehrheit der Bevölkerung das EPD generell positiv sieht. Aktuell jedoch reichen die Urteile vieler Betrachter und Nutzer des EPD – landauf, landab – immer noch von allenfalls wohlwollend bis gar vernichtend. "Ein föderalistischer Flickenteppich des Grauens, an dem viele gut verdienen", echauffierte sich etwa ein Experte anonym in den Medien.

Auch andere Gesundheitsfachleute sind genervt, etwa Anna Winter, Präsidentin IG eHealth und Co-Präsidentin "Allianz digitale Transformation im Gesundheitswesen". Sie stellte letztes Jahr in einem Fachmedienbeitrag fest: "Solange Ärztinnen und Ärzte keinen Nutzen haben, können sie auch keine Patienten vom EPD überzeugen". Und auch große Schweizer Medien, wie Zeitungen der Verlagsgruppe CH Media, konstatierten einen Circulus vitiosus: Wenig Attraktivität des EPD resultiert in seiner geringen Verbreitung und so lange diese tief ist, hat das EPD wenig Zugkraft - sowohl bei Patient*innen als auch bei den Gesundheitsinstitutionen.

Doch langsam, ganz langsam, bessert sich die Lage. Peu à peu werden EPD-Informationen und IT-Systeme besser standardisiert und strukturiert, damit, so die Hoffnung, irgendwann alle Computer- und Softwaresysteme sinnvoll zusammenarbeiten können. Von heise online angefragt, antwortet das BAG, dass die Systeme seit Sommer 2024 zwischen allen Deutschschweizern und mit anderen (Stamm-)Gemeinschaften jetzt interoperabel seien.

Es bleibt diffizil, denn die wichtigen, sogenannten Austauschformate für eine strukturierte Datenkommunikation (die es nebst dem PDF und den anderen erwähnten Dateiformaten braucht) sind alles andere als fertig entwickelt. Für gerade mal zwei E-Health-Anwendungen, Medikation und Impfungen, gibt es zwei gesetzlich verordnete Austauschformate (eImpfung, eMedikation), die noch getestet werden – etwa in der alljährlichen EPD IT-Testwoche "Projectathon". Formate für vier weitere Anwendungsgebiete sind laut eHealth Suisse in Ausarbeitung, allesamt entwickelt auf Grundlage internationaler technischer und semantischer Standards wie FHIR von HL7.

Für ein durchgängige Interoperabilität erarbeitet eHealth Suisse diverse Empfehlungen und technische Lösungen. So etwa auch bezüglich der Standards der Primärsysteme – hier besteht noch einiger Bedarf an "Tiefenintegration" mit dem EPD. Gemeint sind eben die IT-Systeme in Gesundheitseinrichtungen für Dokumentation und Erfassen von Originaldaten (etwa Praxis-, Klinik- oder Laborinformationssysteme). Deren Hersteller bietet eHealth Suisse Hilfestellung bei der Integration der Systeme in die EPD-Plattform via technischen Schnittstellen (wovon rund ein Dutzend benötigt werden) oder auch per "EPD-Konnektoren" welche die EPD-Standardschnittstellen bereits implementiert haben.

(mack)