Ethnographen auf dem Vormarsch

High-Tech-Firmen setzen Ethnographen und Anthropologen ein, um herauszufinden, wie die Menschen Technologie verwenden.

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Von
  • Michael Fitzgerald
Inhaltsverzeichnis

Die beschreibende Völkerkunde, auch Ethnographie genannt, ist eine Form der angewandten Anthropologie -- sie stand bislang nicht unter dem Verdacht, viel Interesse bei Konzernherren hervorzulocken. In der Vergangenheit wurde die Technik höchstens in besonders innovativen Einrichtungen wie dem Palo Alto Research Center (PARC) des Drucker- und Kopiererherstellers Xerox verwendet. Dort wurde dann erforscht, wie die Kundschaft den Einschaltknopf eines Gerätes leichter finden könnte.

Heutzutage gilt die Konzern-Ethnographie jedoch als blühender Sektor. Ein Beweis war die "Ethnographic Praxis in Industry"-Konferenz (EPIC), die von den Ethnographie-Experten von Intel und Microsoft vom 14. bis 15. November erstmals veranstaltet wurde. Bei dem Event auf dem Microsoft Campus schauten über 200 Ethnographen aus High-Tech-Firmen vorbei, die von kleinen Spezialunternehmen wie IDEO bis hin zu Technologie-intensiven Unternehmungen wie dem Geldkonzern Wells Fargo reichten.

An zwei Tagen wurden Workshops veranstaltet und Studien vorgestellt, die beispielsweise analysierten, welche Technologie sich für Mädchen eignet oder was man eigentlich mit dem Begriff "Benutzer" meint. In einem der Vorträge wurde geschildert,wie man Organisationsprobleme bei der Software-Entwicklung in IT-Konzernen beheben kann; ein anderer Forscher fragte, wie man mehrsprachige Teams aus verschiedenen Nationen besser formieren kann. Ein dritter Vortrag beschäftigte sich schließlich mit dem Trend zu großen Wohnzimmern in US-Privathäusern - und welche Auswirkungen das auf die Technologie hat.

Die Konferenzinhalte sollen publiziert werden. Das dient einerseits dem Zweck, die Konzern-Ethnographie in der akademischen Welt stärker zu etablieren -- dort hegt man an dem Feld bislang immer noch Zweifel. Andererseits wollen die EPIC-Veranstalter so sicherstellen, dass die Diskussion weitergeht -- die Ethnographie steht als Werkzeug in der High-Tech-Industrie noch immer am Anfang. Tatsächlich gab es Teilnehmer, die offen zugaben, dass sie sich nicht sicher sind, ob sie tatsächlich Teil einer neuen Disziplin sind und hinterfragten, was die Ethnographie überhaupt umfasst.

Trotz dieser internen Debatten wird die Technik im Firmenbereich als Marktforschungswerkzeug immer interessanter. Die Ethnographie konzentriert sich auf eine qualitative Untersuchung menschlichen Verhaltens. In einem geschäftlichen Umfeld würde man typischerweise untersuchen, wie die Leute bestimmte Produkte in ihrem täglichen Leben verwenden, beispielsweise Mobiltelefone. Die Ethnographie-Experten bei der EPIC-Konferenz ließen sich in sieben Subgruppen unterteilen: Soziologen, Experten für Benutzerschnittstellen, Informatiker, Anthropologen, Psychologen, MBA-Absolventen und Design-Experten.

Sowohl Hard- als auch Software-Hersteller nutzen die Ethnographie, um Produkte für bestimmte Märkte anzupassen. Intel arbeitet beispielsweise an PCs, die sich speziell für Marktsegmente in China und Indien eignen sollen. Andere Ethnographen fanden heraus, dass Japaner kaum Instant Messaging-Programme auf ihren PCs nutzen, weil dort Unterbrechungen allgemein als unhöflich gelten.

Solche Hilfestellungen in Dingen der Produkttaktik werden durch den strategischeren Teil der Ethnographie-Anwendung ergänzt. Im Mai versetzte Intel so beispielsweise drei Ethnographen aus seinem Forschungsbereich in die Line Operations-Abteilung, um dort ein größeres Team zu bilden, das neue Märkte besser verstehen helfen soll. Dazu gehören beispielsweise die Entwicklungsländer, die digitale Gesundheitsversorgung und das "Digital Home".