Event Horizon Telescope: Was der erste direkte Nachweis eines Schwarzen Lochs bedeutet

Seite 2: Rätselhaftes Innenleben

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Wie es im Inneren von Schwarzen Löchern aussieht, wissen wir nicht mit Bestimmtheit. Die Allgemeine Relativitätstheorie kennt zwei Lösungen für nicht geladene Schwarze Löcher: die Schwarzschildlösung für nichtrotierende und die Kerr-Lösung für rotierende Schwarze Löcher. Bei der Schwarzschildlösung kollabiert die Masse theoretisch zu einem dimensionslosen Punkt, der Singularität, die von einem kugelförmigen Ereignishorizont mit dem Schwarzschildradius 2GM/c² umgeben ist.

Alles, was den Ereignishorizont überschreitet, endet unvermeidlicherweise in der Singularität und wird vorher durch die Gezeitenkraft, die Kraftdifferenz zwischen den der Singularität nahen und fernen Enden, zerrissen oder "spaghettifiziert", wie man in Fachkreisen sagt. Bei einem stellaren Schwarzen Loch passiert dies sogar schon außerhalb des Ereignishorizonts, bei einem supermassereichen erst innerhalb, aber doch unausweichlich, denn innerhalb des Ereignishorizonts muss jede Bahn zur Singularität hin verlaufen.

Schwarzschild-Löcher dürften allerdings kaum in der Realität vorkommen, da sich alles im Universum dreht und die Erhaltung des Drehimpulses dafür sorgt, dass sich die Materie bei einem Kollaps umso schneller dreht, je weniger Raum sie einnimmt, wie eine Pirouetten drehende Eisläuferin, wenn sie Arme und Beine näher an ihre Drehachse heranzieht. Bei der Kerr-Lösung für rotierende Schwarze Löcher bildet die Singularität einen Ring. Rotierende Schwarze Löcher zerren die umgebende Raumzeit mit sich im Kreis herum (Lense-Thirring-Effekt).

Je schneller ein Schwarzes Loch rotiert, desto größer wird die Ringsingularität und desto kleiner der Ereignishorizont, bis sie bei einer maximalen Rotationsrate den Ereignishorizont innen berührt, an welchem die Raumzeit dann mit Lichtgeschwindigkeit rotieren würde – ein Lichtstrahl, der das Schwarze Loch gegen die Rotationsrichtung umkreiste, würde somit auf der Stelle stehen bleiben. Die rotierende Raumzeit und ihr Drehsinn wirken sich auf die Größe der Öffnung in der umgebenden Akkretionsscheibe aus. Durch die Ermittlung des inneren Radius von Akkretionsscheiben lässt sich die Rotationsrate eines Schwarzen Lochs bestimmen und viele supermassereiche drehen sich demnach mit 40 bis 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.

Dies alles behauptet jedenfalls die Allgemeine Relativitätstheorie, die bisher alle Tests mit Bravour bestanden hat. Sie versagt allerdings an der Singularität und liefert dort unsinnige Ergebnisse, die mit der ebenso erfolgreichen Quantenphysik nicht vereinbar sind, denn diese kennt keine scharf lokalisierten Punktmassen. Es wird eine bessere Theorie benötigt, die beide enthält und zusammenführt, und die notwendigerweise irgendwo von der Allgemeinen Relativitätstheorie abweichen muss. Solche Abweichungen sucht man und hofft sie in der extremen Umgebung eines Schwarzen Lochs zu finden.

Dies war einer der Gründe, warum man den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs direkt beobachten wollte. Sieht die Silhouette aus, wie die Allgemeine Relativitätstheorie sie vorhersagt? Wie lenkt der Ereignishorizont das Licht der Akkretionsscheibe um sich herum? Entspringt der Jet der Ergosphäre genannten Zone um das Schwarze Loch, wo Materie nicht mehr ruhen könnte, oder der Akkretionsscheibe selbst? Wie genau verliert die Materie Drehimpuls, bevor sie in das Schwarze Loch stürzen kann? Wie ist die Akkretionsscheibe orientiert, relativ zu uns und zur Drehachse des Schwarzen Lochs? Diese Fragen standen am Beginn der Idee des Event-Horizon-Teleskops (EHT).

Der Vorschlag, ein Schwarzes Loch aufzunehmen, stammt schon aus dem Jahr 2000, aber die Umsetzung wurde erst mit der heutigen Technik möglich: mit Radioteleskopen von mehr als 10 Metern Durchmesser für den Millimeterwellenbereich mit Oberflächen, die nur Zehntelmillimeter von der Idealform abweichen dürfen, im Hochgebirge und in Wüsten stationiert, wo möglichst wenig absorbierender Wasserdampf in der Atmosphäre vorhanden ist, mit Datenaufzeichnung auf Terabyte-Festplatten und modernsten Superrechnern, die die unglaublichen Datenmengen verarbeiten konnten. Und so das schärfste Teleskop aller Zeiten synthetisierten.

Das EHT ist kein einzelnes Teleskop, sondern ein weltweiter Verbund aus acht Radioteleskopen, die für das Projekt temporär zu einem virtuellen Teleskop von der Größe der Erde verbunden wurden. Die Technik nennt sich VLBI, "Very Long Baseline Interferometry", also Interferometrie mit sehr langen Basislinien. Basislinien sind hierbei die Abstände jedes Paares von Radioteleskopen. Eine unter einem kleinen Winkel zur Senkrechten der Basislinie einfallende ebene Radiowelle erreicht eines der Teleskope ein wenig früher als das andere. Der Laufzeitunterschied zeigt den Einfallswinkel zur Senkrechten an. Je länger die Basislinie, desto größer wird der Laufzeitunterschied für einen bestimmten Winkel und umso kleinere Winkeldifferenzen kann man unterscheiden. Allerdings nur für Winkel entlang der Richtung der Basislinie.

Prinzip der VLBI. Eine zur Basislinie geneigt einfallende Wellenfront erreicht eines der Teleskope um einen kleinen Laufzeitunterschied t früher als das andere. Der Laufzeitunterschied ist ein Maß für den Winkelunterschied zur Senkrechten. Er wird größer, wenn man die Basislinie vergrößert – somit kann man kleinere Winkeldifferenzen messen und schärfer abbilden.

(Bild: Kamil Teke et al., DOI:10.9733/jgg.120512.1)

Man braucht mindestens eine weitere, kreuzende Basislinie, um Winkel in beiden Himmelskoordinaten unterscheiden zu können. Dann kann die Intensität der Radiostrahlung für alle Sichtwinkel in einer Ebene abgebildet werden und ein "Radiobild" daraus erzeugt werden. Je mehr Basislinien man verwendet, desto präziser lassen sich die Winkel bestimmen und je länger die Basislinien, desto größer ist das Auflösungsvermögen, das heißt umso feinere Details lassen sich abbilden. Bei den Laufzeitunterschieden reden wir übrigens von Bruchteilen einer Wellenlänge, und diese ist daher ebenfalls von Bedeutung: Je kleiner die Wellenlänge, desto schärfer wird das Bild. Das EHT arbeitet bei einer Wellenlänge von 1,3 mm (230 GHz) und erreicht damit eine Winkelauflösung von mindestens 20 µas (micro arc seconds = millionstel Bogensekunden – eine Bogensekunde ist der 3600te Teil eines Winkelgrades).

Eine solche Auflösung ist auch nötig, denn die Silhouette von Sagittarius A* (Schwarzschildradius rund 12,5 Millionen Kilometer) hat einen Winkeldurchmesser von nur 37 µas, das entspricht etwa dem Sehwinkel eines Tennisballs – auf dem Mond! Kein optisches Teleskop auf der Erde kann auf dem Mond Objekte erkennen, die kleiner als 200 m sind. Das EHT "sieht" 5000-mal schärfer als das Hubble-Teleskop. Ein optisches Teleskop müsste 10 Kilometer durchmessen, um die Auflösung des EHT zu erreichen.

Optische Teleskope lassen sich zwar auch zu Interferometern kombinieren, aber nur lokal durch analoge Überlagerung ihrer Strahlengänge, was ihre möglichen Basislinien und damit die Auflösung begrenzt. Das Interferometer des Very Large Telescopes in Chile, das die vier großen 8,2-m-Hauptgeräte sowie 4 bewegliche Hilfsteleskope mit 1,8 m Öffnung einsetzt, erreicht 4 Millibogensekunden Auflösung, das Äquivalent eines 130 m durchmessenden Teleskops. Es hätte nicht den Hauch einer Chance, Sagittarius A* aufzulösen.

VLBI funktioniert nur mit Radioteleskopen. Statt die Signale wie beim optischen Interferometer analog zu überlagern, werden sie mit Atomuhr-gestützter Zeitnahme digital abgetastet und auf Platte gespeichert. Die Aufzeichnung der zwischen dem 4. und 14. April 2017 durchgeführten EHT-Beobachtungen produzierte 4 Petabyte an Daten, die 6 Kubikmeter Festplattenkapazität beanspruchten – mehr als irgendein Experiment je an Daten in einem vergleichbaren Zeitraum produziert hat.

Die Radioteleskope des EHT zeichneten die empfangenen Signale nach deren digitaler Abtastung mit hochpräzisen Zeitmarken von Atomuhren auf Festplatten auf, die als Fracht zu den bei Korrelator-Superrechnern in Haystack (Massachusetts, USA) und Bonn reisten, wo aus ihnen Bilder synthetisiert wurden.

(Bild: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), J.Pinto & N.Lira.)

Man bringt die Aufzeichnungen danach in einem Supercomputer, dem Korrelator, zur virtuellen Überlagerung. Das EHT hat deren gleich zwei: einer steht im Haystack-Observatorium beim MIT in Massachusetts, ein anderer beim Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Zur exakten phasentreuen Überlagerung wäre eigentlich eine exakte Lokalisierung aller Teleskope auf Submillimetergenauigkeit nötig, die auch die Drehung der Erde mit berücksichtigt, was allerdings selbst mit GPS nicht gelingt. So muss der Korrelator nach dem besten "Fit" für die Signale suchen, ein Grund dafür, dass die Erstellung der Bilder fast zwei Jahre benötigte. Ein anderer war, dass die wichtigen Aufzeichnungen des Südpol-Teleskops erst im antarktischen Sommer ausgeflogen werden konnten.