Ewigkeitschemikalien: "Der Wechsel zu PFAS-frei ist kein Luxusprojekt"

Seite 2: "Ein schwieriges Problem"

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In manchen Fällen kann man PFAS auch aus einem Produkt oder Prozess eliminieren, ohne dass ein Ersatzstoff benötigt wird. Ein Beispiel hier ist Backpapier. Backpapier lässt sich fettabweisend machen, indem man bei der Papierherstellung das Holz anders mahlt und aufschließt. Das Papier wird dann ohne Zusatz von Imprägniermitteln wie PFAS fettundurchlässig.

heise online: Wie groß ist die Gefahr unbeabsichtigter Folgen bei einem solchen Austausch?

Scheringer: Da die Alternativen ausführlich getestet werden, ist diese Gefahr klein. In vielen Fällen ist umfangreiche Entwicklungsarbeit erforderlich, bei der man viel über die Alternativen lernt. Es gibt zahlreiche, oft kleinere, Unternehmen, die sehr viel in die Forschung und Entwicklung von Alternativen zu PFAS investieren, und das ist sehr wertvoll.

Es ist wichtig, diesen Unternehmen genügend Unterstützung zu geben. Neben diesen kleinen, innovativen Unternehmen sind es oft auch die großen Marken von Konsumentenprodukten, die den Wechsel vorantreiben, weil sie PFAS-freie Alternativen aktiv vermarkten und darin einen klaren Vorteil sehen.

heise online: Man bekommt als Beobachter teilweise das Gefühl, dass Unternehmen Stoffe, die in den Medien als negativ tituliert wurden, gerne gegen andere, unbekanntere Stoffe austauschen. Ich denke dabei etwa an Bisphenol A (BPA), das umstrittene Alternativen hat.

Scheringer: Dies ist ein schwieriges Problem. Stoffe, die dieselbe oder eine ähnliche Funktion wie eine problematische Substanz haben, haben oft auch ähnliche Nachteile. Man muss ein Produkt oder einen Prozess letztendlich anders aufbauen, wenn man mit wirklich anderen Substanzen arbeiten möchte (oder arbeiten muss).

Das bedeutet Aufwand für Forschung und Entwicklung, und auch Kosten. Allerdings verursacht ja auch die problematische Substanz, die ersetzt werden soll, Kosten und Probleme, sodass man nicht allein die Kosten des Wechsels betrachten darf, sondern auch die Kosten des Weitermachens wie bisher.

heise online: Wie unterscheidet sich der Umgang mit PFAS in den einzelnen Weltregionen, was machen EU, USA oder China anders? Kann man sich beim Austausch auf gemeinsame Ziele einigen?

Scheringer: In vielen Regionen der Welt hat man ganz ähnliche Probleme mit PFAS, vor allem die weiträumige Verschmutzung des Grundwassers und dann oft auch des Trinkwassers – und die daraus folgende Exposition der Bevölkerung und der Bedarf an Sanierungsmöglichkeiten. Insofern stehen Wissenschaft, Behörden und Industrie überall vor denselben Fragen, und es gibt viel Austausch und den Wunsch, von anderen Regionen zu lernen.

Da aber die rechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich sind, unterscheiden sich auch die konkreten Vorgehensweisen. Ungeachtet dessen bestehen die gemeinsamen Ziele darin, einerseits Möglichkeiten zum Umgang mit bestehenden Verschmutzungen zu finden. Und andererseits, Alternativen zu PFAS zu entwickeln.

heise online: Welches Vorgehen empfehlt sich für Firmen oder ganze Branchen bei diesem Wechsel?

Scheringer: Firmen sollten den Wechsel zu PFAS-freien Alternativen gemeinsam mit anderen aus derselben Branche angehen. Sie können sich bei der Suche nach Alternativen darüber austauschen, was funktioniert und was nicht funktioniert, und idealerweise profitieren sie dann wechselseitig voneinander. Natürlich gibt es den Bedarf, technische Entwicklungen nicht preiszugeben, aber ein Stück weit wären Austausch und wechselseitiges Lernen wohl dennoch möglich, teilweise auch organisiert durch Branchenverbände.

In vielen Bereichen ist der Wechsel zu Alternativen bereits im Gange und es gibt Erfahrungen mit Alternativen. Zentral ist immer die Frage, wie wichtig PFAS tatsächlich für ein bestimmtes Produkt oder einen Prozess sind. In vielen Fällen können PFAS relativ einfach ersetzt werden. Es gibt aber auch industrielle Anwendungen, z.B. in der Halbleiterindustrie, wo dies schwieriger ist. Aber auch in dieser Branche sind die Firmen dabei, Alternativen zu entwickeln und zu testen. Das "Chemicals Secretariat", ChemSec, bietet eine Menge an wertvoller Information zum Wechsel in verschiedenen Branchen.

heise online: Was ist zu tun, wenn PFAS-freie Alternativen nicht die gleiche Performance aufweisen wie PFAS?

Scheringer: Dies hängt sehr stark von der Funktion ab, die PFAS in einem Produkt oder Prozess haben. Es gibt viele Anwendungsbereiche, in denen die Alternativen mittlerweile so gut wie PFAS sind, vor allem in Konsumentenprodukten, die ich bereits erwähnt habe, etwa Imprägnierungs- und Reinigungsmittel. Andererseits gibt es aber auch Bereiche, wo die besonderen Eigenschaften von PFAS – wasser- und ölabweisend, sehr stabil und widerstandsfähig, stark oberflächenaktiv – von den Alternativen nicht im selben Umfang erreicht werden.

Dies ist allerdings nicht überraschend, da die Alternativen ja chemisch verschieden von PFAS sind – und dies ja gerade auch sein sollen. In diesen Fällen muss man prüfen, ob man die besonderen Eigenschaften von PFAS tatsächlich braucht, denn dies ist nicht immer der Fall. Möglicherweise muss man ein Produkt oder einen Prozess anders aufbauen oder organisieren, sodass eine Substanz mit weniger ausgeprägten Eigenschaften dann doch ausreichend ist.

heise online: Sie fordern in ihrem Essay, dass die Industrie aktiv vorgehen sollte – und sich auch Rat aus der Forschung holt, um Performance-Differenzen auszugleichen.

Scheringer: Die Unternehmen sollten eng mit Materialwissenschaftlern und Ingenieuren zusammenarbeiten, auch an Forschungsinstituten, welche aufgrund ihrer Erfahrung Vorstellungen davon haben, wie die Funktion von PFAS möglichst gut auf andere Art erfüllt werden können. Das ist natürlich ein iterativer Prozess, der Zeit benötigt – das gilt es zu akzeptieren.

Allerdings bestehen diese hohen Anforderungen nur in einigen Bereichen. In vielen Fällen ist die Leistungsfähigkeit von Alternativen nahe genug an der von PFAS. Mein Lieblingsbeispiel sind die erwähnten Feuerlöschschäume: Die sind zwar sehr anspruchsvoll, aber es war bereits im Jahr 2003 möglich, PFAS-freie Alternativen zu entwickeln, die gleichwertig sind.

Und schließlich: Der Wechsel zu PFAS-frei ist kein Luxus-Projekt gelangweilter Behördenvertreter und Wissenschaftler, sondern notwendig, weil Millionen von Menschen in ganz Europa mit PFAS belastet sind und auf Gemeinden und Wasserversorger enorme Kosten zukommen. Es gibt also sehr gute Gründe, den Verzicht auf PFAS zu fordern und voranzutreiben.

Das Interview wurde per E-Mail geführt.

(bsc)