Ewigkeitschemikalien: "Der Wechsel zu PFAS-frei ist kein Luxusprojekt"

PFAS, per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, verfolgen uns wohl Jahrhunderte. Umweltchemiker Martin Scheringer erläutert, was die Industrie jetzt tun muss.

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PFAS (Symbolbild)

PFAS (Symbolbild).

(Bild: dba87/Shutterstock.com/heise online)

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Inhaltsverzeichnis

Martin Scheringer ist Privatdozent im Fachbereich organische Umweltchemie an der ETH Zürich und Professor für Umweltchemie an der Masaryk-Universität in Brünn, Tschechien. Zusammen mit Mohamed Ateia hat er ein viel beachtetes Essay im Journal Science geschrieben, in dem Vorschläge gemacht werden, wie die Welt mit dem Problem der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) umgehen sollte, die uns als Ewigkeitschemikalien über Jahrhunderte verfolgen dürften.

Prof. Dr. Martin Scheringer.

(Bild: ETH Zürich)

heise online: PFAS galten einst als Wunderstoffe. Nahezu unzerstörbar, mit fantastischen materialwissenschaftlichen Eigenschaften. Wir verwendeten sie überall, sei es in der Küche in der Bratpfanne, beim Langlauf unter unseren Skiern oder in zahlreichen industriellen Anwendungen. Wann begann man damit, zu erkennen, dass die Stoffklasse ein Problem darstellen könnte?

Martin Scheringer: Dies war den großen Herstellern von PFAS, 3M und DuPont, bereits in den 1960er Jahren bekannt. Es gibt mittlerweile ausführliche Recherchen dazu, was die Firmen schon früh wussten – und es ist anhand interner Dokumente belegt, dass sie schon früh sehr viel wussten. Allerdings ist dieses Wissen nicht nach außen getragen worden. Die allgemeine wissenschaftliche Forschung begann erst um das Jahr 2000, PFAS zu untersuchen.

heise online: Wie weit verbreitet sind die Stoffe in der Natur? Passt das Begriff "Ewigkeitschemikalien" wirklich oder ist er auch ein bisschen schief?

Scheringer: Der Begriff ist vielleicht etwas salopp, aber er trifft die zentrale Eigenschaft von PFAS genau, nämlich ihre enorme Stabilität. Diese Stabilität – in der Umweltchemie nennt man sie "Persistenz" – bedeutet, dass PFAS tatsächlich über Jahrhunderte oder noch länger in der Umwelt verbleiben werden. Und es gibt keine natürlichen Quellen für diese Substanzen, sas heißt sie sind wirklich Fremdstoffe und bilden einen toxischen "Fußabdruck" menschlicher Aktivität.

heise online: PFAS umfassen eine große Gruppe von 10.000 Stoffen. Sind alle davon problematisch und in welcher Form?

Scheringer: Die einheitliche und auch problematische Eigenschaft aller PFAS ist ihre hohe Persistenz. Die Persistenz ist so problematisch, weil sie dazu führt, dass die Stoffe für sehr lange Zeiten präsent sind, und dies auch an Orten, die weit von den ursprünglichen Quellen entfernt sind (weil sie mit Wind und Wasser in der ganzen Welt verteilt werden). Solange PFAS in die Umwelt freigesetzt werden, steigen die Konzentrationen in der Umwelt und auch im Körper der Menschen immer weiter an, weil die PFAS eben nicht abgebaut werden.

Dies führt früher oder später dazu, dass auch Konzentrationen erreicht werden, bei denen toxische Effekte auftreten. PFAS können zu einem großen Spektrum von toxischen Effekten führen, zum Beispiel Leber- und Nierenschädigung, Hodenkrebs, Nierenkrebs, Schilddrüsenschädigung, Störungen des Fettstoffwechsels, Verminderung der Spermienzahl und eine verminderte Immunantwort nach Impfungen.

heise online: Haben Regulierer und Industrie rechtzeitig reagiert, mit dem Ende des Einsatzes zu beginnen? Ist er grundsätzlich überhaupt möglich?

Scheringer: Wenn man sich anschaut, welche Mengen an PFAS bereits in der Umwelt und auch im Körper von Millionen von Menschen vorhanden sind, kommt man zum Schluss, dass der Wechsel von PFAS zu fluorfreien Alternativen zu spät eingeleitet wurde. Ob und wie dieser Wechsel möglich ist, unterscheidet sich stark von Anwendungsgebiet zu Anwendungsgebiet. In manchen Gebieten ist er einfach und auch schon vollzogen worden, vor allem in Konsumentenprodukten, wo PFAS zur Imprägnierung eingesetzt wurden, und auch in Feuerlöschschäumen.

In anderen Gebieten ist er schwieriger, vor allem bei diversen Industrieanwendungen von PFAS. Ein Problem beim Wechsel ist, dass PFAS extrem breit und vielfältig verwendet werden, und daher gibt es hier keine einheitliche Antwort. In vielen Bereichen ist der Wechsel auf jeden Fall schon im Gange. Eine wichtige Frage ist hier auch, wieso das System der regulatorischen Stoffbewertung bei PFAS nicht früher eine rote Fahne gezeigt hat. Wir sind noch dabei, dieser Frage nachzugehen.

heise online: Aber reicht es einfach, problematische PFAS durch andere, unproblematischere Alternativen zu ersetzen?

Scheringer: In vielen Fällen ja. Vor allem in Konsumentenprodukten ist dies möglich, aber auch in sehr anspruchsvollen Anwendungen wie den besagten Feuerlöschschäumen, und zunehmend auch in Batterien und Brennstoffzellen. Es kommt aber sehr auf die Anwendung an, und weil es so viele verschiedene Anwendungen gibt, lässt sich die Frage nicht einheitlich oder nur kurz beantworten.

heise online: Was wissen wir von den Alternativen? Man tauscht nicht PFAS gegen PFAS, oder?

Scheringer: Nein, man sollte sicherlich nicht PFAS durch PFAS ersetzen, weil man dann den Aufwand des Wechsels hat, aber das Problem trotzdem nicht löst. Alternativen zu PFAS müssen natürlich ihrerseits gut untersucht und getestet werden. Dafür gibt es etablierte Vorgehensweisen, auf Englisch werden diese Methoden "Assessment of Alternatives" bezeichnet.