Fahrdienste: Treffpunkt Auto

Lyft ist der größte Konkurrent von Uber. Das Unternehmen will aber keine Taxis ersetzen – sondern den eigenen Pkw.

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Von
  • Ryan Bradley

Mit seinem Auto fährt uns Alexandr durch Hollywood. Aus den Boxen dringt Techno, im Fond entwickelt sich eine Diskussion über Fotografie. Noch vor fünf Minuten hat keiner die anderen gekannt. Zusammengebracht hat uns eine App von Lyft. Logan Green, Gründer und CEO des Unternehmens, hält solche Begegnungen für die Zukunft des städtischen Verkehrs. Sie sollen ihn grüner und effizienter machen – und Lyft davor bewahren, von seinem großen Konkurrenten Uber überrollt zu werden.

Beide bringen per App private Fahrer und Fahrgäste zusammen. Doch während der eine ein Gigant ist, ist der andere noch ein Winzling. Uber ist in 61 Ländern aktiv, Lyft hingegen hat außerhalb der USA nur eine Partnerschaft mit einer chinesischen Mitfahrzentrale vorzuweisen. Uber besitzt mit 51 Milliarden Dollar den neunfachen Unternehmenswert und verfügt über ein Vielfaches der 100000 Fahrer von Lyft. In New York wickelt Uber 90 Prozent aller online bestellten Fahrten ab, Lyft nur sieben.

Doch das Unternehmen will nicht einfach der preiswerte Taxidienst im Schatten von Uber bleiben. Green hat ambitioniertere Ziele: Er will Staus und Umweltverschmutzung reduzieren, indem sich möglichst viele Menschen eine Fahrt teilen. Hierzulande ist das Prinzip als Mitfahrzentrale zwar schon lange bekannt. Lyft aber will es um einen entscheidenden Service bereichern: Die Gäste sollen nicht nur am Startpunkt der Reise zusteigen können, sondern auch zwischendrin. Und sie sollen für wesentlich kürzere Strecken zusammenfinden – auf alltäglichen Routen wie dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder zum Einkaufen. Für Green ist das eine ganz neue Kategorie zwischen öffentlichem und privatem Verkehr.

Der entsprechende Dienst heißt Lyft Line. Normale Lyft-Fahrten kosten ungefähr zwei Drittel des Taxitarifs. Lyft Line ist noch günstiger: Meine 35-Minuten-Tour durch Hollywood hat mich knapp 16 Dollar gekostet. Mit einem Taxi wären etwa 33 Dollar fällig gewesen.

Der heute 31-jährige Green wuchs in Los Angeles auf. Seine prägende Erfahrung war es, auf dem Schulweg jeden Tag drei Stunden im Stau zu stecken. Dabei beobachtete er, dass in vielen Autos nur ein einziger Mensch saß, obwohl die meisten in die gleiche Richtung wollten. "Dies muss die schlechteste Art sein, Menschen zu organisieren", dachte er damals schon.

Als Green an der University of California Wirtschaft studierte, saß er im Verkehrsrat von Santa Barbara. Dort versuchte er vergeblich, höhere Parkgebühren und mehr Geld für den öffentlichen Verkehr durchzusetzen. Aber die Mehrheit wollte einfach preiswert parken. Die Bequemlichkeit des eigenen Autos überwog alle anderen Überlegungen.

Eine Alternative fand Green während eines Urlaubs in Simbabwe. In der verkehrserstickten Hauptstadt Harare spielen private Wagen die Rolle städtischer Busse. Die Fahrer organisieren sich selber und machen ihre eigenen Regeln. Steigt der Bedarf, schließt sich jemand mit einem weiteren Wagen der informellen Flotte an. Wieder zu Hause, wollte er diese Lösung auf den amerikanischen Markt übertragen. Dazu gründete er 2007 gemeinsam mit John Zimmer das Start-up Zimride. (Wobei "Zim" für Zimbabwe steht, nicht für Zimmer.)

Es war eine Mitfahrzentrale für lange Trips von Stadt zu Stadt. Im Schnitt wurden dort allerdings acht Nachrichten zwischen Anbieter und Mitfahrern ausgetauscht, bis eine Verabredung stand. Um innerstädtische Fahrten per Smartphone schneller und unkomplizierter vermitteln zu können, entstand 2012 Lyft – zunächst als Nebenprojekt. Schon ein Jahr später verkauften die Gründer Zimride und konzentrierten sich ganz auf Lyft.

Es begann als lässigere Version von Uber. Die Fahrer kennzeichneten ihre Wagen mit pinkfarbenen Schnurrbärten, begrüßten ihre Gäste per Fauststoß und ließen sie vorn statt hinten Platz nehmen. Ansonsten war Lyft zunächst ein preiswerter privater Taxidienst. Erst mit Lyft Line, eingeführt 2014, kam Green seinem Ziel näher, möglichst viele Plätze in einem Auto zu besetzen. Dabei hilft unter anderem ein Feature, noch während der Fahrt neue Mitfahrer zu finden. Bei Uber gibt es zwar einen ähnlichen Dienst namens UberPool, aber der ist komplizierter.

Greens Strategie scheint aufzugehen: In San Francisco, Lyfts größtem Markt, macht Lyft Line bereits die Mehrheit aller Lyft-Fahrten aus. Und in San Antonio, wo die Behörden Uber, Lyft und ähnliche Dienste zunächst verboten hatten, ist Lyft seit August als einziger Anbieter wieder im Geschäft, nachdem es beim Bürgermeister heftig für seine Vision geworben hatte. Lyft argumentiert gegenüber den Städten, dass es zur Lösung ihrer Verkehrsprobleme beitragen könne und deshalb nicht wie ein normaler Taxidienst reguliert werden sollte.

Tatsächlich gibt es Hinweise dafür, dass Lyft die riesige Lücke zwischen öffentlichem und privatem Transport füllen kann. Viele Lyft-Line-Fahrten überbrücken die Strecke zwischen Bahn- oder Busstation und dem Zuhause – und damit genau jenen Weg, der Pendler oft von der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel abhält. In die gleiche Kerbe schlägt auch das Ende 2014 gestartete Programm "Lyft for Work": Unternehmen bezahlen Lyft dafür, die Mitarbeiter von den Bus- oder Bahnstationen zum Arbeitsplatz zu bringen. Airbnb zählt zu den ersten Testfirmen. Nun will Lyft auch öffentliche Verwaltungen und Schulen gewinnen.

Wenn aber ein Wagen möglichst viele Mitfahrer an verschiedenen Orten abholen soll, entsteht unweigerlich ein Problem: ungewisse Wartezeiten. Um sie zu reduzieren, testet Lyft gerade eine neue Idee: Die App soll Leute eine kurze Strecke zu Fuß an Orte lotsen, wo sie besser mitgenommen werden können. Eine andere Möglichkeit wäre es, Menschen einen Preisnachlass anzubieten, wenn sie dafür ein paar Minuten länger warten. So kann sich Lyft bei Bedarf mehr zeitliche Flexibilität erkaufen, um die Auslastung der Autos zu verbessern.

Mit der Zeit, glaubt Green, werden ohnehin autonome Fahrzeuge den Job übernehmen. Anfang Januar investierte General Motors 500 Millionen Dollar in Lyft, um gemeinsam dieses Ziel zu erreichen. Wenn autonome Wagen dann irgendwann einsatzreif sind, wäre Lyft Line eine Killer-App, um die verfügbare Flotte möglichst effizient auszunutzen. Ob mit oder ohne Fahrer – das Lyft-Prinzip bleibe das gleiche, argumentiert Green: "Wir sind die Alternative zum eigenen Auto." (bsc)