Fliegende Toaster: Der Windows-Screensaver-Boom

Seite 2: Storytelling im Screensaver

Inhaltsverzeichnis

Trotz des Booms gab es nur wenige Mitbewerber. Microsoft verkaufte in Folge mehrere Entertainment-Packs, bestehend aus ein paar Windows-Spielen und einem Screensaver-Paket namens Idlewild mit einer Handvoll mäßig origineller Module.

Spiele-Publisher Origin veröffentlichte mit OriginFX ein Screensaver-Paket, das unter anderem Figuren aus Spielen wie Ultima auftreten ließ und Zwischensequenzen aus Wing Commander 2 und Strike Commander zeigte. Letzteres klappt aber nur, wenn das Spielprogramm auf demselben Rechner installiert ist, da die originalen Animationsdateien verwendet werden.

Microsoft war es vermutlich nicht klar, dass sie durch den Einbau animierter Bildschirmschoner in Windows 3 eine neue Software-Kunstform schaffen sollten.

Eine praktische Nebenfunktion des Windows-Screensavers: Optional ließ sich ein Passwort festlegen, das man eingeben muss, um den Screensaver zu beenden und weiterarbeiten zu können. So ließ – und lässt – sich der Rechner während kurzer Arbeitspausen automatisch vor unbefugtem Zugriff schützen.

Einen völlig neuen Weg ging Sierra On-Line, ebenfalls ein bekannter Spielepublisher. 1996 veröffentlichte er Johnny Castaway, den "weltweit ersten Storytelling-Screensaver". Das Programm enthält nur ein einziges Modul. Bei Aktivierung des Screensavers wechselt der Bildschirminhalt zu einer im Comic-Stil gezeichneten Szene mit einer winzigen Insel im Meer, auf der nur eine Palme steht. Auf der Insel lebt der schiffbrüchige Johnny, dem man in vielen animierten Episoden bei seinem Einsiedlerleben beobachten darf. Mal sieht man ihm beim Fischen zu, mal beim Joggen rund um die Insel oder beim Versuch, eine Kokosnuss von der Palme zu schütteln. Meistens geht dabei irgendetwas schief.

Einen Höhepunkt des Screensaver-Hypes markierte Johnny Castaway von Sierra On-Line. Anstatt zu arbeiten, schaute man lieber dem schiffbrüchigen Johnny bei seinem tristen Leben auf der Insel zu.

Berichten zufolge sollen manche Nutzer stundenlang zugesehen und nach vielen Wiederholungen immer wieder neue Episoden entdeckt haben. Manche erscheinen nur an bestimmten Feiertagen, etwa zu Silvester oder dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag. Um die zu sehen, kann man freilich schummeln, indem man einfach die Systemuhr des Rechners auf ein entsprechendes Datum stellt.

Johnny Castaway war ähnlich bedrohlich für die Produktivität vieler Büroarbeiter wie das Windows-Kartenspiel Solitär, zumal der Verpackung ein Flaschenpostbrief beilag. Darin bittet Johnny inständig um die Rettung von der Insel, indem man für ein paar Minuten die Arbeit unterbricht (um den Screensaver zu aktivieren).

So plötzlich wie der Hype kam, verschwand er auch wieder. Aber: In Windows 10 gibt es Screensaver immer noch (am besten in der Suchzeile "Bildschirmschoner" eingeben), sogar mit einigen Motiven aus Windows 3. Allerdings mit zeitgemäßer Optik. (swi)