Fliegende Toaster: Der Windows-Screensaver-Boom

Anfang der 90er-Jahre ­entstand eine neue Programmgattung: Screen­saver schützten Monitore nicht mehr vor dem Einbrennen, sondern dienten der Unterhaltung.

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Der Windows-Screensaver-Boom

(Bild: Sierra On-Line/Dynamix)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Wischner
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John Socha, späterer Erfinder des Norton Commander, schrieb Mitte der 1980er ein kleines DOS-Tool: ScrnSave verdunkelt nach einer gewissen Zeit ohne erkennbare Nutzeraktivität den Bildschirm und lässt ihn nach einem Tastendruck wieder erwachen. Das sollte das Einbrennen des Elektronenstrahls in die Phosphorschicht der Bildröhre verhindern, wenn sich der Bildschirminhalt für längere Zeit nicht verändert.

In der Folge erschienen ähnliche Tools, von denen manche die Dunkelzeit ein wenig aufpeppten, etwa durch die Darstellung eines Nachthimmels mit sporadisch auftauchenden Punkten im Textmodus. Screensaver gab es auch auf Apples Lisa und auf Heimcomputern und Spielkonsolen von Atari, wo nach einer gewissen Zeit die Bildschirmfarben zyklisch durchwechselten.

Als sich die aufgrund besserer Leuchtstoffe und geringeren Kontrasts weit weniger einbrenngefährdeten Farbmonitore verbreiteten, wurden Screensaver weitgehend überflüssig. Und doch baute Microsoft ein solches Tool in Windows 3 ein, das zudem wahlweise den Bildschirm nicht nur einfach verdunkelt, sondern allerlei mehr oder weniger erbauliche Animationen oder eine frei belegbare Laufschrift ("Bin in der Kaffeepause") einblendet. Damit erhob Microsoft Bildschirmschoner zur Unterhaltungssoftware. Vielen Nutzern, die keine Computerspiele spielten, waren grafische Animationen auf dem Rechner neu.

Ein regelrechter Bildschirmschoner-Boom brach los, als eine kalifornische Firma namens Berkeley Systems die kostenpflichtige Screensaver-Sammlung After Dark veröffentlichte. Die erste Version erschien schon 1989 für den Macintosh, drei Jahre später in der Version 2.0 auch für Windows.

Ikone einer neuen Software-Gattung: Die fliegenden Toaster von Berkeley Systems After Dark läuteten den Screensaver-Boom ein.

Ähnlich dem Windows-eigenen Screensaver enthält After Dark eine Auswahl von Modulen, von denen eines Kultstatus erlangen sollte: Flying Toasters lässt bei Aktivierung des Bildschirmschoners eine einstellbare Zahl geflügelter Toaster und einzelner Brotscheiben geräuschvoll über den Bildschirm flattern. Geräuschvoll? Richtig – auch die Lautsprechermembranen wollen vor Schäden durch zu lange Untätigkeit geschützt werden.

Screensaver waren zur lukrativen Kunstform geworden. Berkeley Systems schob in den folgenden Jahren Dutzende von Zusatzmodulen und komplett neue Screensaver-Pakete nach. Nicht nur unter Trekkies beliebt war zum Beispiel das Themenpaket After Dark: Star Trek. Es spielt auf originelle Art mit Motiven aus der ersten Enterprise-TV-Serie. Der Bildschirm wird zum Beispiel zum bekannten Medical Monitor der Krankenstation, oder Spock wandert über den Windows-Desktop. Sogar die pelzigen Tribbles haben einen Auftritt. Dennoch: Das Markenzeichen von After Dark waren und blieben die flatternden Brotröstgeräte.

Berkeley Systems versuchte mehrfach, ihre fliegenden Toaster an Absurdität zu übertreffen, in der Version 3.0 etwa mäßig originell durch fliegende Toiletten nebst passenden Geräuschen.

Apropos flattern: Fünf Jahre nach dem Erscheinen der ersten Version von After Dark flatterte Berkeley Systems eine Klage der Band Jefferson Airplane ins Haus. Dem Softwareunternehmen wurde vorgeworfen, die Idee mit den fliegenden Toastern vom Cover des Albums "Thirty Seconds over Winterland" geklaut zu haben. Die Klage wurde jedoch abgewiesen, da die Band es dummerweise versäumt hatte, das Motiv schützen zu lassen.

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c't RETRO

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