Fortschritt Marke Eigenbau

Katapultieren neue Produktionsverfahren Afrika in die Industrieproduktion des 21. Jahrhunderts? Vor einigen Jahren noch war die Frage absurd, nun sollte man sie ernsthaft diskutieren.

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Von
  • Eva-Maria Hommel
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Tom Baden ist zwar Entwicklungshelfer. Aber weil er vor allem Neurowissenschaftler und Tüftler ist, will er ärmeren Ländern auf ganz besondere Weise unter die Arme greifen. Er baut keine Brunnen, sondern will den 3D-Druck nach Afrika bringen. Genauer gesagt in Labore an afrikanischen Hochschulen. Denen fehlt es oft am Nötigsten für ihre Arbeit, etwa an einfachen Pipetten, Trichtern oder genau passenden Halterungen.

Badens Idee: Die Kollegen sollen sich das fehlende Material einfach ausdrucken. "Wenn die Ausstattung der Labore besser wäre, gäbe es einen Schneeballeffekt, und der Anschluss an die internationale Wissenschaft könnte gelingen." Begabte afrikanische Forscher würden dann ihre Länder voranbringen, statt abzuwandern.

Baden ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Tübingen, Anfang des Sommers wird er an die britische Universität Sussex wechseln. Seine Internetseite www.open- labware.net zeigt, was er und seine Kollegen mit 3D-Druck schon alles hergestellt haben: ein Mikroskop, eine Mikropipette oder auch eine Linse, mit der man ein Smartphone in ein Mikroskop verwandeln kann. Mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern hat er das Netzwerk "TReND in Africa" (Teaching and Research in Neuroscience for Development) gegründet. Die Gruppe hat bereits Workshops in Äthiopien, Tansania und Südafrika veranstaltet, finanziert von der Volkswagen Stiftung. Auf den Seminaren lernen afrikanische Forscher, wie man einen 3D-Drucker baut, bedient und repariert.

So kam Adedeji Kafilat zu einem nützlichen Hilfsmittel für ihr Labor. Die 27-jährige Pflanzenpathologin promoviert an der Universität von Ibadan in Nigeria. Sie will herausfinden, wie sich Krankheiten bei Nutzpflanzen vermeiden lassen. Im Workshop in Addis Abeba baute sie einen 3D-Drucker selbst, aus Sperrholz, Metallstäben, Motoren, Achsen, Heizelementen, Kontrollplatinen, Schaltern, Kabeln und Magneten. Jetzt kann sie so viele passgenaue Trichter oder Petrischalen drucken, wie sie braucht.

Bisher war es ein großes Problem, wenn mal eine Schale zerbrach: "Meine Universität ist schlecht ausgestattet, und Labormaterialien sind ziemlich teuer hier." Umgerechnet zwei Dollar koste eine einzelne Petrischale; das Ausdrucken sei im Vergleich günstiger. Das Filament, also das Rohmaterial aus Kunststoff, bekam sie im Workshop – in Nigeria gebe es das nicht zu kaufen, sagt Kafilat: "Ich würde gern einen Markt dafür aufbauen." Deshalb hält sie jetzt Seminare zum 3D-Druck, um Kollegen und Studenten von dem Verfahren zu überzeugen.

Die technologiebasierte Entwicklungshilfe hat eine neue Vision: 3D4D. Die Abkürzung steht für "3D for Development", 3D-Drucker für Entwicklung. Die Idee: Wo Fabriken und Transportmöglichkeiten fehlen, können sich die Menschen selbst ausdrucken, was sie brauchen, zum Beispiel Prothesen oder Fahrradersatzteile. Kleinunternehmer können damit Geld verdienen und der Armut entkommen, sagen Enthusiasten. Denn fest steht: Es ist einfacher, in einer unterentwickelten Region einen simplen 3D-Drucker für weniger als 1000 Euro aufzustellen als eine komplette Fertigungsanlage. Bauanleitungen schreibt man selbst oder lädt sie aus dem Internet herunter, dann braucht man noch das Rohmaterial.

Ein Drucker produziert zwar nicht so schnell wie eine klassische Industriemaschine, und ein einfaches Gerät schafft bis jetzt nur kleine, einfarbige Objekte aus Kunststoff. Zudem schwankt die Qualität. Es gebe auch nach wie vor viele Fehldrucke, warnt Jürgen Bertling, Leiter der Abteilung Systemische Produktentwicklung am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. Aber zu drucken ist oft günstiger, als Waren zu importieren – und oft einfacher, als für neue Ideen erst einen Produzenten zu suchen.

"Die Produkte könnten das bestehende Defizit in der Wertschöpfungskette überwinden", schreiben Fredrick Ishengoma und Adam Mtaho von der Universität von Dodoma in Tansania. Sie haben Beispiele in acht Entwicklungsländern untersucht: In Kenia haben Tüftler einen Venenfinder zur Behandlung von Säuglingen entwickelt, in Trinidad und Tobago haben sie anatomische Modelle geschaffen, um Operationen besser planbar zu machen. Und in Kolumbien gibt es gedruckte Mode. Für die Forscher ein Beleg, dass 3D-Druck neue Jobs schaffen kann.

Die Hoffnung: Kleinunternehmen könnten entstehen, die für den lokalen Markt produzieren und vielleicht sogar für den Export. So wie bei "Robohand" in Südafrika: Alles begann damit, dass sich ein junger Mann namens Richard van As bei Waldarbeiten die Finger seiner rechten Hand schwer verletzte. Er entwarf eine Prothese, fand Partner über das Internet. Inzwischen hat sein Unternehmen schon mehr als 200 Menschen künstliche Hände angepasst. Sie sind zwar nicht vergleichbar mit modernen Hightech-Prothesen, aber dafür für die Menschen in Afrika bezahlbar.