Freier Flug für freie Elektronen

In Hamburger entsteht der stärkste Röntgenlaser der Welt. Damit wollen die Europäer der Forschungskonkurrenz aus Japan und den USA einen Schritt voraus sein.

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Von
  • Frank Grotelüschen
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Ein fades Industriegebiet am Stadtrand Hamburgs, daneben ein schlichter Acker. Rein gar nichts deutet darauf hin, dass hier in einigen Jahren eine der größten Wissenschaftsmaschinen Europas stehen wird: ein Riesenlaser, der ab 2013 das stärkste Röntgenlicht der Welt erzeugt und nahezu eine Milliarde Euro kostet. Am Montag wurde in der Hansestadt endgültig grünes Licht für den Bau der Riesenmaschine gegeben.

Basis des „XFEL“ ist ein drei Kilometer langer, in einen unterirdischen Betontunnel eingebauter Teilchenbeschleuniger, entwickelt vom Forschungszentrum DESY in Hamburg. Er ist ein so genannter Freie-Elektronen-Laser und bringt Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit, auf knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde. „Diese schnellen Elektronen jagen wir durch einen langen Spezialmagneten, der sie auf einen Slalomkurs zwingt“, erläutert DESY-Physiker Rolf Treusch. „Während des Slaloms verlieren die Elektronen Energie, die sie in Form von Laserstrahlung abgeben.“ Das Resultat sind ultrakurze, extrem starke Röntgenblitze, bis zu eine Milliarde Mal intensiver als bei den heute stärksten Röntgenquellen.

„Die neue Anlage wird einzigartig in Europa sein und faszinierende Perspektiven für die Wissenschaft bieten“, sagt DESY-Forschungsdirektor Jochen Schneider. Von der Superlampe sollen Forscher der verschiedensten Fachdisziplinen profitieren. So wollen Molekularbiologen detaillierte Bilder von einzelnen Eiweißmolekülen aufnehmen. Die Forschungsergebnisse – so die Hoffnung – sollen beim gezielten Design von Medikamenten helfen.

Physiker wollen mit Hilfe des Superlasers Reibungsprozesse haarklein analysieren, um das bislang nur mäßig erforschte Phänomen der Reibung grundlegend zu verstehen. Geoforscher haben vor, künstliche Schockwellen durch Gesteinsproben zu jagen und mit dem starken Röntgenlicht analysieren. Ihr Ziel: Die Experten möchten die im Erdkern herrschenden, gewaltigen Druckverhältnisse simulieren und herauskommen, was sich im Inneren unseres Planeten abspielt.

Chemiker schließlich hoffen, den Ablauf chemischer Reaktionen regelrecht filmen zu können und dabei in Zeitlupe zu erkennen, wie einzelne Atome miteinander reagieren. Die Erkenntnisse – so spekulieren die Experten – könnten für die Entwicklung neuer Abgaskatalysatoren im Automobil nützlich sein. „Wir können noch gar nicht genau abschätzen, was sich mit dieser Röntgenlampe alles anfangen lässt“, sagt DESY-Chef Albrecht Wagner. „Da werden sich sicher Möglichkeiten auftun, an die wir heute noch nicht einmal denken.“

„Es wird vor allem ein Werkzeug für die Grundlagenforschung sein“, betont XFEL-Projektleiter Massimo Altarelli. „Die Wirtschaft wird von den Ergebnissen erst später profitieren, vielleicht fünf oder zehn Jahre nach den ersten Experimenten.“

Ursprünglich hatte das DESY geplant, den Röntgenlaser in symbiotischer Verbindung mit einer noch viel größeren Anlage zu bauen, TESLA genannt. Dieser 33 Kilometer lange Mammutbeschleuniger sollte von Hamburg bis weit ins Schleswig-Holsteinische reichen und der Teilchenforschung dienen und grundlegende Fragen beantworten: Aus welchen Grundbausteinen besteht Materie überhaupt und was hält diese Bausteine zusammen? Der Röntgenlaser – so der Plan – sollte fester, integraler Bestandteil von TESLA sein. Doch seit 2003 steht fest: TESLA wird nicht gebaut, stattdessen haben sich die DESY-Physiker mit japanischen und amerikanischen Fachkollegen zusammengetan, um eine gemeinsame Maschine zu konstruieren, den „International Linear Collider“ (ILC).

Quasi als Trostpflaster darf das Hamburger Labor nun federführend den Europäischen Röntgenlaser bauen. Er beginnt auf dem DESY-Gelände in Hamburger Stadtteil Bahrenfeld, verläuft dann in Richtung Nordwest und endet just am Industriegebiet hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein. Ein geschickter Zug. Damit nämlich behalten die Physiker außer Hamburg ein zweites Bundesland im Boot, was insbesondere für die Finanzierung der Anlage wichtig ist: Je mehr Partner mitmachen, umso geringer fällt die Rechnung für jeden einzelnen aus. Hamburg und Schleswig-Holstein tragen zusammen immerhin 7,5 Prozent der Baukosten.