Friede, Freude und freie Eierkuchen-Rezepte, Teil 2

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Linguisten und Sprachwissenschaftler jeder Art haben es allerdings noch schwerer. Es gibt ein paar freie Textkorpora – zum Beispiel auf Basis des Gutenberg-Projekts –, aber in der Masse sind Zusammenstellungen von "Sprache" interessanterweise nicht frei, weil diese Sammlungen auf Basis von Zeitungen und Büchern aus Verlagshand erstellt werden. Und die Verlage gestatten dies nur unter recht strikten Lizenzbedingungen.

Der Duden - deutsche Sprache unter Copyright

Neben dem Grimmschen Wörterbuch ist in Deutschland natürlich der Duden maßgeblich für die deutsche Sprache. Auf den Datenbestand kann man online zugreifen – nach Anmeldung und Abschluss eines kostenpflichtigen Abonnements. Wer auf den Webseiten stöbert, findet zwar eine Abteilung "Open Duden"; dabei handelt es sich aber um einen Jungjournalisten-Nachwuchs-Wettbewerb und nicht etwa um ein freies Online-Angebot. Natürlich ist "der Duden" schlicht ein Wörterbuch des ganz regulären Duden-Verlags; aber anders als beim Oxford English Dictionary oder Merrimam-Webster für US-Englisch existiert nicht einmal eine frei zugreifbare Online-Fassung.

Stöbern wir also beim Institut für Deutsche Sprache: Dort ist explizit und sehr deutlich vermerkt, dass es absolut unmöglich ist, Dritten Zugriff auf die Korpora zu ermöglichen – deren Preisklasse zwischen 200 und 2250 Euro liegen. Und selbst wenn man bezahlt, ist der Zugriff restriktiv und gestattet es beispielsweise nicht, einfach den kompletten Korpus handlich auf DVD nach Hause zu tragen. Woran das liegt? Die Textgeber – alles, was Rang und Namen in der Verlagslandschaft hat – haben dem IDS keine weiterreichenden Nutzungsrechte eingeräumt.

Das dritte große Projekt für Deutsche Sprache ist der Wortschatz der Uni Leipzig, ein Projekt, in dem Häufigkeit und Verbindungen der deutschen Sprache aus Online-Quellen aufbereitet und mit Graphen dargestellt werden. Lizenz: Im Web darf jedermann suchen – aber irgendeinen Korpus oder Daten zum Herunterladen gibt es nicht. Auch automatisierte Abfragen sind ausdrücklich nicht erlaubt.

Open Access findet sich dann auch auf keiner der genannten Webseiten – weswegen in vielen Sprachprojekten Korpora oder Wortlisten selbst kompiliert werden, die dann wiederum nicht für jedermann zur Verfügung stehen. Eine gute Idee wäre, gemeinsam mit Verlagen und Forschungseinrichtungen einen – nennen wir es einmal so – "Bundeskorpus der zeitgenössischen deutschen Sprache" zu erstellen, der für Forschung, Kunst, Erziehung und Privatgebrauch jedermann zur Verfügung steht – gern auch gegen eine bezahlbare Schutzgebühr. Schliesslich klagt vom Goethe-Institut bis zum deutschen Feuilleton jeder darüber, wie wenig deutsche Sprachpflege betrieben wird.

Wissenschaft besteht aus den drei Säulen Forschen, Publizieren und Lehren. Dementsprechend gibt es natürlich auch verschiedene Initiativen, Vorlesungsmaterial und Literaturverzeichnisse unter eine freie Lizenz zu stellen. Die Stichworte hierzu heißen Open Courseware (OCW) und Learning Objects. Das bekannste Projekt dieser Art dürfte die Open-Courseware-Sammlung des MIT sein, die sich übrigens nicht bloß mit Informatik, sondern mit auch mit allen möglichen anderen Fächern beschäftigt. Die Qualität der Unterlagen ist sehr verschieden: Manchmal handelt es sich im Grunde nur um den Terminplan der Vorlesung mit einem Literaturverzeichnis.

Ähnlich wie die Creative-Commons-Webseite für freie Inhalte und die Science Commons für Wissenschaften gibt es die Open Educational Ressources (OER Commons) als zentrales Register für frei zugängliche Lehrmaterialen für Schulen und Universitäten. Auch hier sind mehr Fächer als nur Informatik und Naturwissenschaften versammelt.

Beim Stöbern wird man früher oder später außerdem über die Open University in England stolpern. Dabei handelt es sich nicht um eine Universität, sondern um eine Berufsakademie, an der jedermann studieren kann. Das Konzept ist ähnlich dem der Fernuniversität Hagen, die allerdings im Unterschied zur Open University staatlich anerkannt ist – und wesentlich günstigere Preise veranschlagt. Die Open University hat einige Lehrmaterialien unter CC zum Herunterladen veröffentlicht. Deren Qualität bewegt sich eher auf Volkshochschulniveau, was nicht grundsätzlich schlecht ist, aber nichts mit Universität und Forschung zu tun hat.

Auf jeden Fall lohnt sich ein gründliches Nachforschen nach Unterrichtsmaterialien bei einer der zentralen Link-Sammlungen wie Stingy Scholar, das regelmässig auf interessante Ressourcen hinweist. Eine komplette Recherche-Datenbank für Open Courseware findet man zum Beispiel bei iberry.com.

Leider ist Open Courseware in Deutschland als Label nicht sonderlich verbreitet – zwar stellen sehr viele Dozenten ihre Lehrmaterialien und Unterlagen ins Internet, aber eine zentrale Anlaufstelle und Recherchemöglichkeit fehlt bisher. In der Regel sind die Unterlagen auch nicht mit einer Lizenz versehen, geschweige denn im Sinne der CC vorrecherchiert und ausgewählt. Dadurch ergibt sich in Deutschland eine paradoxe Situation zwischen Umfang und Lizenz: Es gibt sehr viel Material, aber wieviel davon problemlos und legal kopier- und weiterverwendbar ist, ist größtenteils ungeklärt.

Frei zugängliches Bildmaterial lässt sich auch schaffen: Totenmaske aus Kolumbien, Ethnologisches Museum Berlin-Dahlem. Foto: Andreas Praefcke

Für französische Lehrmaterialien gibt es an der Paris-Tech eine längere Liste – hauptsächlich zu Informatik und Naturwissenschaften. Natürlich wird in Europa die Lage durch die Sprachvielfalt erschwert – ob etwa in Deutschland das Schlagwort "Open Courseware" überhaupt verwendet wird und wie das Pendant in anderen EU-Sprachen heißt, erleichtert das Auffinden nicht gerade.

Insgesamt bewegt sich einiges in der Wissenschaftslandschaft. Trotzdem werden viele Wissenschaftsbereiche noch sehr, sehr viel Geduld aufbringen müssen, bis eine ähnliche Verfügbarkeit wie in Mathematik oder Informatik erreicht ist. Dabei müssen sich besonders (deutsche) Geistes- und Gesellschaftswissenschaftlen – die seit Jahrhunderten wortreich über Freiheit und Gerechtigkeit und Gleichheit forschen – in absehbarer Zeit fragen lassen, wo eigentlich ihre Open-Access-Initiativen bleiben, denn wissenschaftliche Publikationen dieser Fachbereiche sind noch eher spärlich als Open Content zu finden. Ein wenig in Schutz nehmen muss man die Geisteswissenschaften dennoch, denn natürlich gibt es freien Zugang, der freilich nicht unter dem Mäntelchen Open Access daher kommt – allein Geschichtswissenschaft und Politik, Ethnologie, Achäologie und Kunstgeschichte präsentierten seit 100 Jahren einen Gutteil ihrer Erkenntnisse in Museen und Gedenkstätten.

Von dem Tag, an dem Professoren einfach eine URL angeben, wo die Lektüre fürs Seminar komplett zu finden ist, oder einem einfachen "Klar, warte, ich geb' dir die Aufsätze für das Thema auf 'nem USB-Stick mit!" sind wir allerdings noch sehr weit entfernt.

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