Für Bier und Cider: Wie ein Teil des CO₂ neue Verwendung findet

Betreiber von Biogas-Anlagen in Großbritannien vermarkten ihr abgeschiedenes CO₂, das in Lebensmitteln verwendet werden kann. Das zeigt neue Perspektiven auf.

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Ein Tanklastzug dockt an die Lagertanks der Abscheide-Anlage an, um das reine CO2 umzufüllen.

(Bild: Martin Egbert)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Klaus Sieg

"Kein Bier zur EM" – mit derartigen Ankündigungen erschreckten die Boulevardblätter im Sommer 2021 die Briten. Der Grund für den drohenden Engpass: CO2-Knappheit, denn der Stoff wird als Kohlensäure Bier, Cider oder Softdrinks hinzugefügt – für das prickelnde Geschmackserlebnis.

Auch ansonsten ist das Klimagas ein viel gefragtes Produkt in Großbritannien. Entsprechend lässt sich mit 350 bis 450 Euro pro Tonne gut das Dreifache des vorher üblichen erzielen. "Wir haben die neue Abscheide- und Lageranlage für CO2 also zur richtigen Zeit in Betrieb genommen", sagt Sebastian Ganser. Hinter dem technischen Leiter der Biogasanlage der Rainbarrow Farm im Südwesten Englands fährt ein Tanklastzug an die noch blitzblanken Lagertanks. Mit einem lauten Zischen schließt ihn der Fahrer zur Befüllung an.

Die Betreibergesellschaft der Biogas-Anlage auf der Rainbarrow Farm, die JV Energen, geht mit der Abscheidung, Lagerung und Vermarktung von sogenanntem "Green CO2" neue Wege.

CO2 ist ein Abfallprodukt bei der Reinigung von Biogas zu Bio-Erdgas. Erst wenn Wasserdampf, Schwefel und Ammoniak ausgewaschen sowie CO2 abgeschieden sind, kann der erneuerbare Energieträger ins Erdgasnetz eingespeist werden. Bisher entweicht das Klimagas meist ungenutzt in die Atmosphäre. Die Vermarktung als Green CO2 dagegen verbessert die Klimagas-Bilanz der Biogas-Anlage und ermöglicht ein zusätzliches Einkommen.

Die Anlage auf der Rainbarrow Farm produziert pro Stunde 700 bis 750 Kilogramm CO2. Aufgrund seiner Reinheit von 99,7 Prozent ist dieses tauglich für Lebensmittel und nicht alleine für den Einsatz als sogenanntes technisches CO2 für Kühlungen, Feuerlöscher oder als Dünger in Gewächshäusern. Die beiden Tanks, in denen es unter einem Druck von 20 Bar bei einer Temperatur von minus 20 Grad lagert, fassen die Produktion von vier Tagen. "Viel lagern können wir also nicht", weiss Sebastian Ganser. Müssen sie auch nicht. "Was nicht an die beiden festen Abnehmer geht, kauft schnell der freie Markt."

In Großbritannien gibt es 685 Biogas-Anlagen. Das ist eine bescheidene Zahl im Vergleich zu rund 9.600 Anlagen in Deutschland. Dafür ist mit neunzig der Anteil der britischen Anlagen recht hoch, die ihr Biogas aufbereiten und ins Netz einspeisen anstatt es in einem Blockheizkraftwerk zu verstromen. Zehn dieser Anlagen verkaufen zusätzlich ihr CO2. Die meisten vermarkten es über den französischen Gasgiganten Air Liquide. Anders die Rainbarrow-Farm. Mit Biocarbonics hat sie eine Tochtergesellschaft für die Vermarktung ihres CO2 gegründet. Und geht damit abermals neue Wege. "Wir streben gemeinsam mit Anderen einen Club von Erzeugern an", sagt Ganser. Zurzeit versorgt Biocarbonics eine Cider-Brauerei sowie eine Obstfarm in der Nachbarschaft. Auch mit der Verwendung der eigenen Gärreste zeigt man sich im beschaulichen Cornwall erfindungsreich. Den daraus hergestellten Dünger gibt es mittlerweile landesweit in Gartencentern zu kaufen.

Seit ihrem Bestehen ist die Rainbarrow Farm Innovationstreiber. "Wir waren vor zehn Jahren die Ersten mit Biogas-Aufbereitung und Einspeisung in Großbritannien", sagt Sebastian Ganser. "Heute versorgen wir im Winter 9.000 Haushalte im benachbarten Poundbury, im Sommer sind es natürlich sehr viel mehr." Ganser blickt nickend in Richtung Norden. Dort befindet sich am Rande der Stadt Dorchester der Ortsteil Poundbury. Die Modellstadt folgt Grundsätzen nachhaltiger Gestaltung und Entwicklung, die der britische Thronfolger Prinz Charles entworfen hat. Ein Teil davon ist die Auflage, dass mindestens 20 Prozent der verbrauchten Energie erneuerbar sein muss. Dank der Rainbarrow Farm sind es mittlerweile 40 Prozent. Der Thronfolger ist auch wichtigster Anteilseigner der JV Energen.

Innovativ ist die Biogas-Branche in Großbritannien aber nicht nur mit royaler Unterstützung. Obwohl die britische Regierung sie in ihrer Strategie gegen den Klimawandel kaum berücksichtigt und die Einspeisetarife für Energie aus Biogas gesenkt oder sogar gestrichen hat.

Weit voraus sind die Briten zum Beispiel beim Einsatz von Bio-Erdgas bei Transport und öffentlichem Nahverkehr. Reisebusunternehmen, Speditionen, große Einzelhändler und Kommunen nutzen mit Bio-Erdgas betriebene Fahrzeugflotten, um ihren Betrieb zu dekarbonisieren.

"Unsere Bio-Erdgas betriebenen Doppeldeckerbusse vermeiden 8.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr im Vergleich zu Diesel-Fahrzeugen der Euro Norm 6", sagt Gary Mason von Nottingham City Transport. "Hinzu kommt die Vermeidung von 81 Tonnen Stickoxiden sowie 1,6 Tonnen Feinstaub." Hinter Mason herrscht reger Betrieb im Busdepot der Stadt. Es ist 19 Uhr. Die meisten Linien der Universitätsstadt werden nun ausgedünnt. Entsprechend viele Fahrzeuge kommen zum Befüllen. "Wir komprimieren das Bio-Erdgas aus dem Netz auf 300 bar, damit die Busse eine Reichweite von 250 Meilen haben." Das Bio-Erdgas stammt aus einer Anlage in der Nähe der Stadt, die mit Lebensmittelabfällen betrieben wird.

Seit 2019 fahren 120 Doppeldeckerbusse von Nottingham City Transport mit Bio-Erdgas. Im Februar 2022 kommen weitere 23 hinzu. Städte wie Bristol stellen ihre Busflotten ebenfalls um. Und das mit dem Bier bekommen sie auch noch hin in Großbritannien.

(jle)