Gentechnik: Sicherheit durch Selbstmord

Die Angst vor einer unkontrollierten Ausbreitung gentechnisch veränderter Bakterien ist groß. Ins Erbgut eingebaute Notausschalter sollen die Kunstmikroben unter Kontrolle halten. Wie zuverlässig das funktioniert, ist jedoch fraglich.

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Von
  • Denis Dilba

Um Züge oder S-Bahnen möglichst sicher fahren zu lassen, müssen Lokführer seit 1967 im Abstand von 30 Sekunden ein Pedal oder einen Taster drücken. Tun sie das nicht, geht die Sicherheitsschaltung davon aus, dass der Fahrer mindestens handlungsunfähig oder im schlimmsten Fall tot ist. Das daher umgangssprachlich auch Totmannschaltung genannte System aktiviert dann die Bremsen, der Zug kommt ohne weitere Eingriffe automatisch zum Stehen. James Collins vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) will dieses Prinzip nun auf synthetisch hergestellte Mikroben übertragen – damit sie nicht außer Kontrolle geraten.

TR 6/2017

Denn in Zukunft, davon gehen alle Experten aus, werden solche künstlich optimierten Bakterienfabriken immer häufiger in Medizin und Umwelt zum Einsatz kommen. In der Industrie sind sie oft sogar schon Realität: Artemisin, ein wichtiger Wirkstoff gegen Malaria, menschliches Insulin oder auch Medikamente, mit denen sich die Bluterkrankheit behandeln lässt, werden auf diese Weise produziert.

Doch mit dem Einzug in Medizin und Ökologie stellt sich ein Problem, das die Branche bisher vermeiden konnte: Die neuen Schöpfungen lassen sich nicht in geschlossenen Tanks halten – sind sie doch genau dafür designt, in die Natur zu gelangen. Synthetische Organismen sollen Medikamente gleich im menschlichen Körper produzieren, und zwar nur dann, wenn sie nötig sind, und nur dort, wo sie wirken sollen. Denkbar sind auch gentechnisch veränderte Bakterien, die zur Diagnose von Krankheiten umprogrammiert werden oder Umweltgifte aufspüren und gezielt zersetzen, etwa nach einem Chemieunfall.

Wie aber lassen sich dann ökologische Risiken vermeiden? Genauso groß wie das Versprechen der synthetischen Biologie ist auch die Angst vor den künstlich hergestellten Organismen. Wissenschaftler wie Collins entwickeln daher Strategien, um zu verhindern, dass solche umprogrammierten Bakterien zu einer unkalkulierbaren Gefahr werden, wenn sie ihren Job getan und den Körper verlassen haben. Mit dem eingebauten Mechanismus des MIT-Forschers überleben Bakterien zum Beispiel nur, wenn eine bestimmte Substanz in ihrem Umfeld vorhanden ist.

Sobald sie fehlt, bilden sie ein Gift und töten sich selbst. In der Natur sei die Substanz, die den Selbstmordmechanismus unterdrückt, nicht zu finden, sagt Collins, ein unkontrolliertes Vermehren sei somit unwahrscheinlich. Synthetische Biologen nennen solche Notausschalter auch Kill-Switches. In den vergangenen beiden Jahren hat es dazu gleich mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen gegeben. Forscher um George Church von der Harvard University und Farren Isaacs von der Yale University haben etwa E.-coli- Bakterien genetisch so modifiziert, dass sie zum Überleben eine künstliche und außerhalb des Labors nicht auffindbare Aminosäure benötigen.

Mikhail Shapiro wiederum, Chemiker am California Institute of Technology, hat eine Methode entwickelt, mit der Bakterien über ihre Umgebungstemperatur an- und abgeschaltet werden können. Indem Shapiro Gewebe mit Ultraschallpulsen erwärmt, kann er so auf den Millimeter genau steuern, wo Mikroorganismen Medikamente freisetzen. In Versuchen mit Mäusen habe die Methode bereits funktioniert, berichtet der Chemiker. Denkbar sei aber ebenso, den Mikroben bei Temperaturen deutlich unter den 37 Grad Celsius des Körpers den Selbstmordbefehl zu geben. Noch sei zwar "völlig unklar, wann wir einen Stoffwechsel wirklich komplett umprogrammieren können", schränkt Markus Schmidt ein, Chef von Biofaction, einer auf dieses Themenfeld spezialisierten Forschungs-, Technikfolgen- und Wissenschaftskommunikationsfirma in Wien.

Dennoch sei es gut, sich schon jetzt mit der Biosicherheit von synthetisch hergestellten Organismen zu beschäftigen. Denn Kill-Switches zu finden sei nur der halbe Weg. Darüber hinaus müsse auch geklärt werden, wie sicher sie wirklich funktionieren. Die aktuellen Konzepte töten nämlich nicht alles ab: Durch Mutationen können veränderte Bakterien einen Weg zum Überleben finden – ähnlich wie es heute mit der Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen geschieht. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist Schmidt zufolge zwar vergleichsweise gering, aber sie ist eben nicht null.

"Natürlich wird es hundertprozentige Sicherheit nie geben, allerdings könnte es ausreichend sicher sein, wenn statistisch nicht mehr als ein solcherart veränderter Organismus von einer Billion überlebt", sagt er. Da wir heute aber weder diesen Grad an Sicherheit erreicht haben noch genau wissen, ob er ausreicht, gilt es, weiter in die Erforschung zuverlässiger Schutzmechanismen zu investieren.

Andere sehen das Problem deutlich weniger kritisch. Für Torsten Waldminghaus vom Zentrum für Synthetische Mikrobiologie der Philipps-Universität Marburg wird die Debatte um die Sicherheit zu aufgeregt geführt. Der Wissenschaftler vergleicht die synthetischen Organismen mit den wohlgenährten, leicht überzüchteten Kaninchen seiner Kinder. "Wenn die in den Wald ausbüxen und nicht mehr jeden Tag zur gleichen Zeit ihr Futter und Wasser bekommen, halten die keine drei Tage durch. Genauso verhält sich das aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit synthetisch hergestellten Organismen, wenn sie in die Umwelt gelangen", sagt Waldminghaus.

Mehr noch: "Je weiter der hergestellte Organismus von der Natur entfernt ist, umso besser für die Biosicherheit." Denn dann passen die Bauteile dieser Organismen mit den in der Natur vorkommenden einfach nicht mehr zusammen. Selbst Mutationen sind damit ausgeschlossen. Der Ansatz von Harvard-Forscher Church, bei dem die Bakterien auf eine künstliche Aminosäure als Nahrung angewiesen sind, gehe bereits in diese Richtung, sagt Waldminghaus.

Für den Biologen sind die viel interessanteren und wichtigeren Fragen, die die synthetische Biologie aufwirft, andere: "Was ist denn Leben tatsächlich? Und wollen wir das wirklich herstellen?" Wissenschaftler allein könnten das nicht beantworten. "Bei unseren Studenten gehört daher auch ein Seminar mit einem Theologen zur Ausbildung", sagt Waldminghaus. Das beantworte diese Fragen zwar nicht, sensibilisiere den Forschernachwuchs aber für die in jedem Fall notwendige gesamtgesellschaftliche Diskussion. (bsc)